"Unser Wasser- Kassel"
Initiative Bürgerbegehren gegen die Privatisierung von Wasser in der Region

HNA 29.4.2005

Experte: Wasser sparen ist kostspieliger Unsinn

Rückläufiger Verbrauch kommt Deutsch teuer zu stehen

 

Frank Thonicke

 

Kassel. Die Deutschen verbrauchen immer weniger Wasser - mit dramatischen Folgen. Denn das sparen kommt teuer zu stehen: Die Wasserpreise steigen bei sinkendem Konsum - trockene Rohre und Kanäle müssen gespült und mit hohem Aufwand saniert werden. Dabei gibt es in Deutschland reichlich Wasser - es ist eines der regenreichsten Länder der Welt. Der Grundwasserspiegel ist nicht gefährdet, und trotzdem sind wir Vizeweltmeister im Wassersparen - nur die Belgier verbrauchen noch weniger.

Daher fordern immer mehr Experten ein Umdenken: Niemand soll mehr ein schlechtes Gewissen haben, wenn er Wasser verbraucht. "Wasser sparen in Deutschland ist Unsinn", sagt zum Beispiel der Wissenschaftler Hans-Jürgen Leist von der Universität Hannover. Der gleichen Meinung ist seit langem Dieter Sternagel, früher Chef der Kasseler Entwässerungsbetriebe. "Wir haben genug Wasser."

In Südhessen hat sich mittlerweile eine Bürgerinitiative gegründet, die für höheren Wasserkonsum eintritt. Ausgerechnet im hessischen Ried ist sie zu Hause. Dort hatte man befürchtet, dass die Region durch den Wasserbedarf Frankfurts austrocknen würde. Das Gegenteil ist nun der Fall: Hausbesitzer, deren Keller wegen des hohen Grundwasserspiegels ständig nass sind, haben sich in der Bürgerinitiative "Trockenes Nauheim" zusammengetan.

Nicht nur deren Vorsitzende Helga Kraft meint, dass das Wassersparen aus ideologischen Gründen den Menschen eingetrichtert wurde. Noch immer gibt es etwa an Schulen Infoveranstaltungen zum sparen. Die frühere hessische rot-grüne Landesregierung habe den extrem trockenen Sommer 1990 zum Anlass genommen, um ein Horrorszenario zu entwerfen. Eine Grundwasserabgabe wurde eingeführt. Es gab früher sogar Prämien für Waschmaschinen, die wenig Wasser verbrauchen.


Verbraucher sparen, Werke spülen
Interview mit dem Wasserexperten Hans-Jürgen Leist: Genug Grundwasser vorhanden

Von Frank Thonicke

 

Mit Wasser, sagt Hans-Jürgen Leist, Diplomingenieur und Sozialwissenschaftler aus Hannover, muss niemand knausern. Das Fünffache dessen, was wir verbrauchen, sagt der Experte, erneuere sich in der Natur.

Herr Leist, Sie sagen, Wasser sparen in Deutschland ist Unsinn. Warum?

Hans-Jürgen Leist:
Es gibt genügend Grundwasser. Grundwasser muss man sich ja als einen unterirdischen See vorstellen. Durch die Oberfläche sickert Regenwasser nach und das Grundwasser läuft im Prinzip über wie der Bodensee in den Rhein. Die Flüsse werden in trockenen Perioden zu 80 Prozent von Grundwasser gespeist. Das ist ein beständiger erneuerbarer Vorgang. Dieser Grundwasser-See bleibt vollkommen erhalten.

Nun sagen Sie, das sparen ist auch Unsinn, weil es teuer ist.

Leist:
Ja. Zum einen gibt es das Rohrleitungssystem der Trinkwasserversorgung. Die Röhren müssen eine bestimmte Größe haben, weil zum Beispiel da auch das Löschwassersystem der Feuerwehr dranhängt. Wenn nun weniger Wasser verbraucht wird, fließt das Wasser langsamer durch die Rohre. Im schlimmsten Fall kommt es zum Stillstand. Dann kann sich Korrosion in den Rohren bilden. Es kann, wenn das Wasser länger drin steht, sogar zu Verkeimungen führen. Es ist einfach nicht gut, wenn das Wasser lange im Rohrsystem steht. Man muss sich das vorstellen wie Milch. Je schneller die beim Verbraucher ist, umso besser.

Sie sehen auch Probleme beim Abwasser ...

Leist:
Wasser und Abwasser sind gekoppelte Systeme. Wenn zu wenig Trinkwasser genutzt wird, wird zu wenig Abwasser produziert. Dann kann es zu Ablagerungen im Kanalnetz kommen. Da kann sich dann Schwefelsäure bilden, die die Kanalisation schädigt. Die muss dann saniert werden. Das ist teuer. Oft müssen aufgrund des geringen Verbrauchs beide Rohrsysteme gespült werden. Das ist paradox: Der Verbraucher spart, und die Wasserwerke und Abwasserbetriebe nehmen das Wasser und müssen spülen. Das wird dann alles auf den Preis umgelegt.

Also muss niemand ein schlechtes Gewissen haben, der sich mehrmals in der Woche eine Badewanne voll Wasser gönnt?

Leist:
So ist es. Beim Wasser sind wir in Deutschland vollkommener Selbstversorger. Wir verbrauchen insgesamt nur 20 Prozent der Menge, die sich jährlich erneuert. Bei Energie wie Öl und Gas sieht das anders aus. Das importieren wir zu 80 Prozent. Man sollte nur darauf achten, dass man möglichst wenig warmes Wasser verbraucht. Um das herzustellen, ist Energie nötig.

Ist das schlechte Gewissen beim Wasser den Deutschen aus ideologischen Gründen eingeredet worden?

Leist:
Vor 15, 20 Jahren gab es Prognosen, dass der Wasserverbrauch kräftig ansteigen würde. Da war das Geschrei groß. Die Netze wären zu klein, da müsse man kräftig investieren. Das würde aber zu teuer, die Leute sollten also sparen. In den letzten zehn Jahren ist der private Wasser-Verbrauch aber um zehn Prozent, in der Industrie sogar um 20 Prozent zurückgegangen. Die befürchtete Entwicklung ist gar nicht eingetreten. Man hat aber leider nun versäumt, etwa in der Umweltbildung in den Schulen auf diese Entwicklung zu reagieren.

Nun ist ja auch der Konsum von Flaschenwasser, das um bis zu 200 000 Prozent teurer ist als das Leitungswasser, seit 1970 um das Zehnfache gestiegen. Und eigentlich ist ja in den Flaschen nichts anderes drin als im Leitungswasser. Wie erklären Sie sich das?

Leist:
Wasser ist ja ein besonderer Rohstoff, man spricht ja vom Lebenselixier. Wasser ist kostbar, heißt es immer. Selten hingegen heißt es: Luft ist kostbar, obwohl man es nur ein paar Minuten ohne Luft aushalten kann. Wasser wird übersteigert dargestellt. Und dass es heilsam ist, greift natürlich die Werbung dankbar auf. Manche Menschen misstrauen auch dem Leitungswasser. Dabei hat Wasser unheimlich niedrige Grenzwerte, was die Belastung mit Schadstoffen angeht. Wenn da mal ein Grenzwert wegen Pflanzenschutzmitteln im Wasser überschritten wird, heißt es sofort: Das Wasser ist nicht trinkbar. Aber die Lebensmittel, die direkt mit den Pflanzenschutzmitteln in Kontakt kommen, enthalten teilweise das Hunderttausendfache dieser Schadstoffe. Bei den Lebensmitteln ist der erlaubte Grenzwert einfach wesentlich höher. Die werden dann bedenkenlos gegessen.

Hans-Jürgen Leist (53) ist Diplomingenieur und Sozialwissenschaftler. Er arbeitet an der Forschungsstelle für Recht, Ökonomie und Umwelt der Universität Hannover. Seine Spezialgebiete sind Wasser und Energie.


Kommentar zum Tage:

Ab in die Badewanne Frank Thonicke über den Wasserverbrauch

 

  Jahrzehntelang wurden wir von Ideologen zum Wassersparen erzogen. Wer das "Lebenselixier" verschwendete, galt als gewissenloser Umweltrüpel, der unsere Lebensgrundlage vorsätzlich zerstörte. Das Ergebnis unseres schlechten Gewissens ist zwiespältig: Für die Nutzung der Toilette oder Waschmaschine erscheint uns das gute Wasser zu teuer, zum Trinken ist es zu billig. Da kaufen wir lieber Mineralwasser. Es ist höchste Zeit zum Umdenken: Wir können unser Wasser nicht verbrauchen. Es befindet sich im Kreislauf und erneuert sich ständig.

Also ab in die Badewanne mit ruhigem Gewissen? Nicht ganz. Denn: Heißes Wasser kostet Energie. Deren Verbrauch führt zur globalen Erwärmung. Die sorgt dafür, dass es dort mehr regnet, wo es sowieso schon feucht ist, während in Trockengebieten die Niederschläge zusätzlich abnehmen. Das sagen keine Ideologen, sondern Wissenschaftler. Man sollte mal drüber nachdenken.