Alle reden vom Klima. Und vergessen
dabei das Wasser. Meint jedenfalls ein Großteil der HydrologInnen, die sich jährlich Ende
August mit Politik, Wirtschaft und Nichtregierungsorganisationen
zur "Internationalen Stockholmer Wasserwoche" treffen.
Die diesjährige ist die fünfzehnte; seit Montag steht
die globale Wasserkrise im Zentrum. Beleuchtet aus unterschiedlichsten
Blickwinkeln, vor allem aber mit den Schwerpunkten effektivere
Wasserwirtschaft und sichere Trinkwasserversorgung für alle
Menschen.
Die Zahlen sind erschreckend: Eine runde Milliarde
Menschen hat keinen Zugang zu Trinkwasser, die Hälfte der Menschheit lebt,
was Wasser- und Abwasserversorgung angeht, noch wie im europäischen
Mittelalter. "Den wohl größten politischen und
moralischen Skandal unserer Zeit" nennt das der Wasserwissenschaftler
Anders Berntell vom "Stockholm International Water Institute" (SIWI).
Die Folge des Skandals: Mehr als 5 Millionen Menschen sterben jährlich
wasserbedingt. Erkrankungen wegen schlechten Wassers verursachen
jährlich 325 Millionen Krankheitstage.
Größte Verursacherin der Wasserknappheit ist die Landwirtschaft.
Die schluckt nämlich global 70 Prozent der Süßwasserreserven,
in manchen Ländern aufgrund ineffektiver Bewässerungssysteme
sogar bis 90 Prozent. Wasser war neben Düngemitteleinsatz
hauptsächlich für die "grüne Revolution" der
letzten Jahrzehnte verantwortlich, die enorme Ertragssteigerung
in der Landwirtschaft.
Um das notwendige Nass bereitzuhalten, wurden
in den letzten 50 Jahren weltweit mindestens 30.000 Staudämme mit einer Höhe
von über 15 Metern gebaut. Zusammen mit großen Kanalisierungsprojekten
ein gewaltiger Eingriff in den natürlichen Wasserhaushalt
- mit zum Teil katastrophalen Folgen. Zum Beispiel der Aralsee,
dessen Zuflüsse für Bewässerungsprojekte buchstäblich
abgegraben wurden. Heute existieren vom einst viertgrößten
See der Welt nur noch drei kleine Lachen. "Die meisten dieser
Bewässerungs- und Dammprojekte sind unverzichtbar", urteilt
die Hydrologieprofessorin Malin Falkenmark vom SIWI. Weshalb sie
auch den Mammutstaudamm am chinesischen Jangtsekiang aus Wasserversorgungsgesichtspunkten
verteidigt: Auch wenn 1,5 Millionen Menschen Haus und Heim verlieren,
würde das Gesamtprojekt über eine Milliarde Menschen
ausreichenden Wasserzugang sichern. Falkenmark: "Bei solchen
Fragen muss man Realist sein." Die Alternative zu dieser Regulierung
sei ein noch intensiverer Rückgriff auf Grundwasser. Was schon
jetzt in vielen Ländern zu stetig sinkendem Grundwasserniveau
führe.
Wirtschaftlich ist der Wassersektor unglaublich
attraktiv. Das SIWI hat kürzlich eine Studie vorgestellt, nach der jeder
in die Wasserversorgung investierte Dollar zwischen 3 und 34 Dollar
Gewinn einbringt. Entsprechend groß ist der Privatisierungsdruck
in der Wasserwirtschaft.
Die UN-Generalversammlung hat den Zehnjahreszeitraum
von 2005 bis 2015 zur Dekade "Water for Life" ernannt. Ziel: 500
Millionen Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser zu gewährleisten.
Am 15. September tagt die Generalversammlung zum Thema. Der bekannt
gewordene 34-seitige Vorschlag für die Abschlusserklärung
behandelt ausführlich das Klima, während das Wasserthema
in einem kurzen Punkt abgehandelt wird. "Typisch", meint
Berntell: "Das Wasserproblem betrifft arme Menschen ohne politische
Lobby, während die Klimafrage auch die reichen Länder
betrifft." Und sich deshalb viel einfacher auf der internationalen
Tagesordnung platzieren lässt.
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