"Unser Wasser- Kassel"
Initiative Bürgerbegehren gegen die Privatisierung von Wasser in der Region

BBU-Wasserrundbrief Nr. 787 vom 6.2.2005

„Wie eine Bombe eingeschlagen“ ...


 

... hat auch in der Wasserwirtschaft ein Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) von Anfang Januar 2005. Stadt- und Wasserwerke und ihre Verbände zeigen sich schwer erschüttert. Bei juristischen Fachleuten hat Kaffeesatzlesen auf höchstem Niveau eingesetzt. Denn unklar ist immer noch, welche Konsequenzen das Urteil für die deutsche Wasserwirtschaft haben könnte – und ob die Wasserwirtschaft von dem Urteilsspruch der EuGH-Richter überhaupt betroffen ist.

Um was geht es? Die Stadt Halle an der Saale hatte im Jahr 2001 die Firma „Recyclingpark Lochau GmbH“ damit beauftragt, eine Müllverbrennungsanlage zu bauen. Die „Recyclingpark Lochau GmbH“ (RPL) gehört über die „Stadtwerke Halle GmbH“ zu 75,1 Prozent der Stadt Halle. Mit 24,9 Prozent ist die RWE Umwelt Sachsen Anhalt GmbH an der RPL beteiligt. Und jetzt kommt der entscheidende Punkt: Die Stadt Halle hat den Auftrag zum Bau der Müllverbrennungsanlage ohne öffentliche Ausschreibung an ihre kommunale Tochter vergeben. Dass der Auftrag nicht EU-weit ausgeschrieben worden war, hatte einen Wettbewerber derart erzürnt, dass er gegen die Vergabe vor Gericht gezogen war. Das Oberlandesgericht Naumburg sah sich wegen der EU-rechtlichen Implikationen der angefochtenen Auftragserteilung nicht in der Lage, in diesem strittigen Verfahren selbst einen Urteilsspruch zu erlassen. Das OLG Naumburg reichte das Verfahren deshalb wie eine heiße Kartoffel weiter an den Europäischen Gerichtshof (EuGH).Und der EuGH kam zu einem derart eindeutigen Urteil, dass alle Beobachter mächtig überrascht waren.

Die EuGH-Richter vertraten nämlich die glasklare Auffassung, dass auf eine EU-weite Ausschreibung nur in einem Fall verzichtet werden kann – wenn nämlich die Kommune den Auftrag an ein kommunales Tochterunternehmen erteilt, dass sich zu 100 Prozent im Besitz der Kommune befindet! Sobald ein privates Unternehmen ebenfalls über Anteile an einer kommunalen Tochter verfügt, muss nach Ansicht der EuGH-Richter davon ausgegangen werden, dass die gemischt-wirtschaftlichte Tochter („privat-public-partnership“ - ppp) nicht mehr eindeutig kommunale Interessen verfolgt (vgl. einen gleichlautenden Urteilsspruch der Vergabekammer Düsseldorf im RUNDBR. 627/2).

Die EuGH-Richter stützten damit die Vorbehalte der ppp-kritischen Bürgerinitiativen und Städtebündnisse. Dort ist nämlich schon immer gemutmaßt worden, dass sich in gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen die Kapitalverwertungsinteressen der privaten Partner durchsetzen werden – und dass die kommunale Daseinsvorsorge in privat-public-partnerships zumindest auf lange Sicht den Bach runter gehen wird.

Hintergrund der EuGH-Entscheidung waren allerdings mitnichten antikapitalistische Intentionen. Der EuGH folgte nur dem absoluten Willen der EU-Kommission, alle Wirtschafts- und Dienstleistungsbereiche in der EU einem ungehemmten Wettwerbsregime zu unterwerfen. Das bedeutet, dass kommunale Töchter bei privater Kapitalbeteiligung bei einer Auftragsvergabe wie jeder anderer x-beliebige Wettbewerber zu behandeln sind. Eine EU-weite Ausschreibung von kommunalen Aufträgen ist Pflicht – selbst dann, wenn privates Kapital nur mit einem Prozent an einer kommunalen Tochter beteiligt wäre.

Der vollständige Urteilsspruch kann im Internet unter
http://curia.eu.int/jrisp/cgi-in/ form.pl?lang=de
ausfindig gemacht werden
(Aktenzeichen C-26/03 eintippen)


Kommt jetzt der Trend zur Rekommunalisierung? 
 

 

„Das Urteil könnte zu einer Rekommunalisierung führen“, wird in der FTD vom 17.01.05 ein Fachjurist zu dem oben erwähnten EuGH-Urteil zitiert.

In der ersten Aufregung über das Urteil wurde gar gemutmaßt, dass die Geschäftsmodelle der THÜGA AG und der RHENAG ins Wanken kommen könnten. Die EON-Enkelin THÜGA und die RWE-Tochter RHENAG haben sich auf den Aufkauf von Minderheitsbeteiligungen an Stadt- und Wasserwerken spezialisiert (s. RUNDBR. 764/2). Während sich die beiden Unternehmen zunächst gelassen zeigten, meinten Vergaberechtler lt. FTD, dass auf der Basis des EuGH-Urteils auch bestehende Teilprivatisierungsmodelle angegriffen werden könnten: „So könnten Wettbewerber versuchen, laufende Verträge mit Hinweis auf die fehlende Ausschreibung für nichtig erklären zu lassen“.

Und ein im FTD zitierter Sprecher des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) meinte, dass viele Kommunen „künftig vor privaten Partnern zurückschrecken“ würden. Mittlerweile scheint man beim VKU das EuGH-Urteil wieder etwas tiefer zu hängen. Denn der EuGH habe sich bei seinem Urteil auf die EG-Vergaberichtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG gestützt. Die EG-Vergaberichtlinien würden aber Dienstleistungskonzessionen gar nicht betreffen. „Daher könnten gemischtwirtschaftliche Unternehmen auch weiterhin ohne Vergabeverfahren mit Dienstleistungskonzessionen beauftragt werden“, gab EUWID WASSER/ABWASSER 3/05 die Meinung des VKU wieder. Im übrigen seien die „Sektorenbereiche“ Strom, Gas, Wasser, Wärme und Nahverkehr ohnehin von dem Urteil nicht tangiert, weil für diese Sektoren spezielle – erleichterte - Regelungen gelten.

Gleichwohl herrscht in der etablierten Wasserszene über den „Paukenschlag“ des EuGH weiterhin große Verunsicherung. Denn letztlich scheint doch noch keiner der Auguren genau zu wissen, welche Konsequenzen sich aus dem EuGH-Urteil für die Kommunalwirtschaft ableiten lassen.