Frau Barlow, wie steht es um unser Wasser?
Maude
Barlow:
In
den nächsten zehn Jahren wird die Nachfrage das Angebot um
56 Prozent übertreffen. in den so genannten heißen Flecken
geht das Wasser aus: im Nahen Osten, in 22 Ländern Afrikas,
in Teilen des US-amerikanischen Mittelwestens, in Mexiko-Stadt.
Für ihr Wirtschaftswunder haben die Chinesen Wasser aus dem
Norden umgeleitet, 400 von 600 Städten in Nordchina leiden
unter akuter Wasserkanppheit. Die Weltbank sagt, das könne
2025 für zwei Drittel der Welt gelten. Ein Drittel der Weltbevölkerung
wird gar keinen Zugang zu Wasser haben. 75 Prozent aller Flüsse
und Seen in Russland sind vergiftet, in China 80 Prozent. Beim
Zugang zu Trinkwasser herrscht dramatische Ungleichheit. Alle
acht Sekunden stirbt deshalb ein Kind.
Und
ausgerechnet durch Wasserprivatisierung will man Abhilfe schaffen?
Maude
Barlow:
Die Entwicklungsländer sollen ihre Grenzen für die Wassermultis öffnen. Die Weltbank,
regionale Entwicklungsbanken, Entwicklungshilfeagenturen und leider auch Teile
der UNO machen mit ihnen gemeinsame Sache. Ihre Welt-Wasser-Foren wirken wie
UN-Konferenzen, sind aber Handelsmessen.
Ist
die Front geschlossen?
Maude
Barlow:
Ziemlich. Aber es gibt einen Widerspruch: in den meisten Industrieländern sind
die Wassersysteme noch öffentlich. Es ist empörend, dass die EU bei den GATS-Verhandlungen
in der Welthandelsorganisation verlangt, dass über 70 Länder ihren Wassersektor
öffnen sollen - und das für ihre Mitgliedsländer ablehnt. Begründung: Die hätten
gute öffentliche Systeme. Die Dritte Welt schaffe das nicht, das müssten die
Privaten regeln.
Korruption
ist ein Riesenproblem - nicht nur in den Ländern des Südens.
Maude
Barlow:
Ja, das ist das beste Argument der Multis. Dazu kommt die hohe Auslandsverschuldung.
Ich finde jedoch, die Alternative zu einer schlechten Regierung ist langfristig
eine gute Regierung.
Warum
sind die Wasserfirmen gerade so scharf auf Lateinamerika?
Maude
Barlow:
Lateinamerika ist das Testgelände. Aufgrund des Wasserreichtums müssten wir hier
die weltgrößte Pro-Kopf-Zuteilung von Trinkwasser haben. Aber wir haben die geringste.
Die Multis wollen den Zugriff auf das noch unverseuchte Süßwasser an der Oberfläche
und in den Reservoirs. Die haben die Rückendeckung der Weltbank, die die Entwicklung
der Wasserresourven nur finanzieren will, wenn die Länder Private hereinlassen.
Ich nenne sie Wasserjäger: Suez, Vivendi, RWE, Nestlé, Coca-Cola.
Und
die US-Militärs reden von "leeren Räumen" etwa in Amazonien oder
Patagonien.
Maude
Barlow:
Wo die Mächtigen ein Vakuum sehen, gehen sie rein. In Indien bekommt Coca-Cola
von den US-Militärs Satellitenbilder über die Trinkwasserreserven. Dann schauen
sie, wo indigene Völker sind - und errichten ihre Abfüllfabrik, wo sie am wenigsten
Widerstand erwarten. Ähnlich ist es in Lateinamerika. Ganze Landstriche werden
aufgekauft, nicht wegen des Landes, sondern wegen des Grundwasser.
Wie
verhalten sich die lateinamerikanischen Regierungen?
Maude
Barlow:
Viele haben es mit einer ziemlich auafgebrachten Bevölkerung zu tun. Die Wasserprivatisierung
in Buenos Aires etwa war ein komplettes Desaster. Wir achten genau darauf, was
Präsident Lula macht. Vor der Wahl sollte er die Privatisierungen rückgängig
machen. Aber sobald du Staatschef wirst, wirst du Mitglied eines Clubs mit immensem
Anpassungsdruck. Die Regierenden des Südens stammen aus den Eliten, anders als
Lula, der ist hin- und hergerissen. Das ist ein wichtiger Testfall, weil Brasilien
das größte Land Lateinamerikas ist. Wir hoffen, Lula wird nicht weich! Ich beneide
keine Regierung der Dritten Welt, die das Richtige für ihr Volk tun will. An
wen soll sie sich denn wegen Krediten weden, ohne Bedingungen zu akzeptieren,
die die Ungleichheit vergrößern?
Liegt
die Lösung in den Public-Private-Partnerships?
Maude
Barlow:
Nein, das sind nur Privatisierungen mit einem hübscheren Namen. Mit dem alten
Modell sind die Neoliberalen auf die Nase gefallen. Jetzt soll die Kontrolle
angeblich bei den Betroffenen und beim öffentlichen Sektor liegen, aber das Wasser
sollen immer noch die Privaten liefern. Die brauchen Dividenden für ihre Aktionäre,
also kürzen sie Arbeitspätze oder bauen Sicherheitsstandards ab. Oder sie erhöhen
die Preise, sodass sich die Leute das Wasser nicht mehr leisten können - oder
alles drei zusammen. Wenn es schief geht, gehen die Privatfirmen weg, die Bevölkerung
zahlt die Zeche. Regierungen kann man wenigstens in die Pflicht nehmen.
Wie
lautet ihre Alternative?
Maude
Barlow:
Umweltschutz und Wassergerechtigkeit gehören zusammen. Kein Multi kann es sich
leisten, nach diesen zwei Prinzipien zu funktionieren. Damit lässt sich kein
Geld verdienen. Wir möchten, dass Wasser zu einem Menschenrecht erklärt wird.
Warum?
Maude
Barlow:
Ein Menschenrecht darf man nicht verkaufen. Eine derartige UNO-Wasserkonvention
wäre ein nützliches Werkzeug. Unser Vorbild sind die Uruguayer, die das Wasser
als öffentliches Gut und Menschenrecht per Volksabstimmung in ihre Verfassung
aufgenommen haben.
Wie
stehen die Chancen für eine solche UNO-Konvention?
Maude
Barlow:
Wir sind dabei, den Kampf um die Öffentlichkeit zu gewinnen. Das spüren unsere
Gegner und reagieren entsprechend. Im letzten Jahr hat die Weltbank ihre Kredite
für Privatisierungen vervielfacht. Ich bin gespannt, was sie als Nächstes probieren.
|