Le
Monde diplomatique 11.3.2005
DOSSIER WASSER
Rückschläge
für das französische Modell
|
Privatisierung
gilt als Allheilmittel zur Modernisierung der Wasserversorgung.
In
Frankreich teilen sich drei Konzerne den größten
Teil des Geschäftes. Ihr Vorgehen ist oft dubios, und international
scheitern sie immer wieder.
Von MARC LAIMÉ
|
|
|
Journalist
und Autor: "Dossier de l'eau. Pénurie, pollution,
corruption", Paris (Le Seuil) 2003 |
|
|
DIE
Wasserversorgung und die Abwasserbeseitigung ist weltweit auch
heute noch zu 95 Prozent in öffentlicher Hand. Aber die
Großen der Branche versuchen, sich überall dort, wo
eine Privatisierung ansteht, möglichst große Teile
des Wassermarktes zu sichern. Von den vier weltgrößten
Wasserversorgern kommen mit Veolia, Ondeo und Saur allein drei
Konzerne aus Frankreich; der vierte ist das deutsche RWE (siehe
Kasten). Angesichts des Widerstands, den Millionen Bürger
in aller Welt dieser Politik entgegensetzen, hat Veolia seinen
Mitarbeitern einen Argumentationsleitfaden für die Auseinandersetzung
mit den Globalisierungsgegnern an die Hand gegeben(.1)
Frankreich
spielte beim Einstieg von Privatunternehmen in die Wasserversorgung
jahrzehntelang eine Vorreiterrolle; inzwischen wurde es allerdings
von Chile, England und Wales überholt, die ihre Wasserversorgung
vollständig privatisiert haben. Acht von zehn Franzosen
beziehen ihr Wasser von einem privaten Anbieter, in den städtischen
Ballungsgebieten sind es sogar neun von zehn. Das "französische
Modell der Wasserwirtschaft" ist heute ein fester Begriff.
Die
Einbeziehung privater Unternehmen in die Wasserversorgung hat
in Frankreich eine lange Tradition. Schon um die Mitte des 19.
Jahrhunderts konnten französische Gemeinden private Unternehmen
mit der Wasserversorgung beauftragen. Der rasante Aufstieg der "drei
Schwestern", wie Veolia, Ondeo und Saur genannt werden,
setzte jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Das rasche
Wachstum der Bevölkerung, die zunehmende Industrialisierung
und eine verstärkte Urbanisierung erforderten einen rasanten
Ausbau der Infrastrukturen. Die Wasserressourcen waren damals
scheinbar unerschöpflich und leicht zu nutzen, und für
Umweltverschmutzung oder Umweltschutz interessierte sich ohnehin
kein Mensch.
Noch
aus der Französischen Revolution stammt das Vorrecht der
kommunalen Versorgungsbetriebe, für Wasserversorgung und
der Abwasserbeseitigung zuständig zu sein. Doch sie waren
häufig schlecht verwaltet und hoch verschuldet. Das lag
vor allem an Regelungen, die es den öffentlichen Betrieben
verboten, Rücklagen für Investitionen zu bilden. Gleichzeitig
gab es einen riesigen Bedarf, den die öffentlichen Betriebe
nicht bedienen konnten. 1954 deckte die öffentliche Wasserversorgung
in Frankreich nur 31,6 Prozent der Haushalte ab.
Die
privaten Unternehmen stürzten sich auf diese Lücke.
Dies war umso leichter, als die
Unternehmen über Know-how und Kompetenz verfügten, die den öffentlichen
Betrieben
abgingen. Zu wahrer Meisterschaft brachten sie es alsbald in dem Bereich, der
heute als Finanztechnik bezeichnet wird. Bei der Wasserversorgung gibt es stets
eine öffentliche Grundfinanzierung. Das heißt: Egal ob es sich um
kommunale Betriebe oder um eine Übertragung an private Unternehmen handelt,
nicht die Aktionäre der Konzerne, sondern die Verbraucher zahlen.
Die
privaten Unternehmen setzten jedoch alles daran, ihre Finanzierung
zu optimieren, zu ihrem eigenen Vorteil, häufig jedoch auch
zum Nutzen der Gemeinden, mit denen sie Konzessionsverträge
abschlossen. Diese finanztechnische Kompetenz wurde bald mindestens
ebenso wichtig wie die technische Beherrschung der Wasserwirtschaft.
Wobei die Gemeinden, wenn sie mit einem der großen Wasserkonzerne
ins Geschäft kamen, schnell Gefahr liefen, über den
Tisch gezogen zu werden.
Seit
den 1950er-Jahren zahlten die Unternehmen den Gemeinden bei Vertragsabschluss
häufig eine Art Eintrittsgebühr, die - in heutiger
Währung - zwischen einer und mehreren Millionen Euro betragen
konnte. Diese Praxis wurde erst 1995 gesetzlich untersagt. Dieses "Eintrittsgeld" wurde
jedoch nicht in die Wasserversorgung und die Abwasserbeseitigung
gesteckt, sondern diente den Gemeinden dazu, ihre Haushaltslöcher
zu stopfen oder den Bau öffentlicher Einrichtungen wie von
Sportplätzen oder Schwimmbädern zu finanzieren - also
für alles Mögliche, nur nicht für das Wasser.
Die Verbraucher mussten die Zeche also über ihre Wasserrechnung
bezahlen - und finanzierten, ohne es zu wissen, auch das Antrittsgeschenk
des Wasserunternehmens an die Gemeinde. Im Grunde wird die Wasserrechnung
damit zum Ersatz für die Gemeindesteuer. Und die gewählten
Amtsträger auf Gemeindeebene wussten dieses politische Kapital
natürlich zu nutzen.(2)
Diese
Praktiken der Wasserwirtschaft à la française haben
den Boden für verhängnisvolle Fehlentwicklungen bereitet,
als da sind: mangelnde Transparenz der Vertragsinhalte, saftige
Preiserhöhungen und Monopolpraktiken. So kommt es, dass
Veolia und Suez Lyonnaise auch heute noch über etliche gemeinsame
Tochterfirmen verfügen, die sich in mehreren französischen
Großstädten die Wasserkonzession teilen, obwohl der
Wettbewerbsrat bereits 2002 die Auflösung dieser Firmen
gefordert hatte. Und die Gemeinden sind praktisch außerstande,
nachzuprüfen, wie viele Mitarbeiter des privaten Unternehmens
tatsächlich für ihre Belange abgestellt sind oder wie
hoch die tatsächlichen Bürokosten sind, die auf die
Wasserrechnung aufgeschlagen werden. Auch versuchen hunderte
von Gemeinden herauszufinden, was genau mit den Investitionsrücklagen
passiert, die theoretisch für die Instandhaltung und Erneuerung
ihres Wassernetzes vorgesehen sind. Dabei geht es um Milliardenbeträge.
Solche
Missstände, die seit Jahren durch öffentliche Untersuchungen
aufgedeckt wurden, zeigen zweifellos eine Form der strukturellen
Korruption. Diese Form ist sehr viel stärker verbreitet
als die Fälle von persönlicher Bereicherung und verdeckter
Parteienfinanzierung durch die Unternehmen, die zu Beginn der
1990er-Jahre im Zuge einiger spektakulärer Finanzskandale
ans Licht kamen. Das macht einen erschreckenden Mangel an Kontrolle
deutlich, die bei einer so wesentlichen öffentlichen Dienstleistung
unverzichtbar ist. In diesem Fall haben die demokratisch gewählten
Organe, um nicht zu sagen die Politik insgesamt, kläglich
versagt.(3)
Natürlich
kann angesichts des Quasimonopols der drei Schwestern nicht wirklich
von einer Liberalisierung des Wassermarktes gesprochen werden.
Den rund 15 000 Wasserzweckverbänden, die es in Frankreich
gibt und die von den Kommunen verwaltet werden, stehen Unternehmen
gegenüber, die ihnen in vielen Belangen haushoch überlegen
sind - zum Beispiel hinsichtlich Technologie, betriebswirtschaftlicher
Erfahrung, Forschung, Verwaltung, Management, Finanzierung und
Kundenservice. Auf der einen Seite steht eine einzelne Körperschaft,
die nicht über die erforderlichen technischen Mittel und
das Personal verfügt, auf der anderen Seite ein mächtiges
Oligopol, ein Global Player - ein denkbar ungleiches Kräfteverhältnis.
Dieses
Ungleichgewicht wurde in den 1980er-Jahren noch krasser. Verschiedene
Faktoren begünstigten die immer stärkere Beteiligung
der Multis: immer strengere europäische Normen, die eine
stärkere Spezialisierung erforderten, der Rückzug des
Staates aus der einschlägigen Forschung und die wachsende öffentliche
Verschuldung. Die Märkte explodierten und damit auch die
Gewinne der Unternehmen.
In
den 1990er-Jahren begannen die Konzerne, in fast alle Bereiche öffentlicher
Grundversorgung hineinzudrängen, die bis dahin die Kommunen
erbracht hatten: Wassernetz und Abwasserbeseitigung, aber auch
Energieversorgung, Fernheizung, Abfallentsorgung, Verkehr, Gemeinschaftsverpflegung
in den Kantinen öffentlicher Einrichtungen, Gesundheitsfürsorge,
Bestattungswesen und die Bewirtschaftung von Parkplätzen
und Parkhäusern. So hat zum Beispiel der Stadtverband Lyon
(la Courly) die Trinkwasserversorgung einer Tochtergesellschaft übertragen,
die zu 90 Prozent Veolia und zu 10 Prozent Ondeo gehörte;
die Abwasserbeseitigung ging je zur Hälfte an Dégremenot
(Veolia) und OTV (Ondeo). Für die Heizung und Kühlung
der städtischen Gebäude sorgt Dalkia, eine andere Veolia-Tochter.
Und auch die Abfallentsorgung wird zu 50 Prozent von Firmen der
beiden Gruppen übernommen.
In
den 1980er-Jahren begannen diese Konzerne, sich auch in den Medien
zu engagieren: Bouygues (Saur) stieg bei TF 1 ein, Vivendi (Veolia)
bei Canal Plus und Lyonnaise (Ondeo) bei M 6. Dieses Engagement
hat die Unternehmen noch schlagkräftiger gemacht. Zudem
haben sie die pantouflage, den personellen Wechsel von leitenden
Managern aus der staatlichen Bürokratie in die freie Wirtschaft,
zu einem Qualitätsmerkmal hochgeredet. So war Anne Hidalgo
von 1995 bis 1997 die Nr. 2 der Abteilung Humanressourcen bei
der Générale des Eaux, bevor sie 2001 zur ersten
Beigeordneten des Bürgermeisters von Paris ernannt wurde.
Der ehemalige Vorsitzende der Sozialistischen Partei in Lille,
François Colin, gehörte zum Stab von Sozialministerin
Martine Aubry, bevor er 1998 zu Vivendi Universal (VU) wechselte.
Eric
Besson, wirtschaftspolitischer Sprecher im Wahlkampfteam von
Lionel Jospin für die Präsidentschaftswahlen 2002 und
Abgeordneter der Sozialistischen Partei, stand in den Jahren
1998 bis 2002 an der Spitze der Vivendi-Stiftung. Ein Exberater
von Verteidigungsminister Charles Hernu, Jean-François
Dubos, wurde 1997 Generalsekretär von Vivendi Universal.
Alain Marsaud, jetzt Abgeordneter der konservativen UPM für
das Département La Haute-Vienne, war seit 1997 bei Vivendi
Universal für die langfristige Prognose der Wirtschaftsentwicklung
zuständig.(4) Jean-Pierre Denis, Chef von Dalkia, der Energiesparte
von Vivendi Environnement, blieb auch nach seinem 1998 erfolgten
Rücktritt als Vizegeneralsekretär des Élysée-Palastes
ein Berater von Jacques Chirac. Kein Wunder, dass man in Frankreich
in Anspielung auf die Edelhochschule ENA spottet, Vivendi sei
in Wirklichkeit eine Abkürzung für "VIVier pour
ENarques en DIsponibilité", "Rekrutierungsbecken
für verfügbare ENA-Absolventen".
Bei
Suez sieht es nicht viel anders aus. Der Generaldirektor des
Konzerns, Yves Thibault de Silguy, ist ehemaliger EU-Kommissar.
Mathias Hautefort war technischer Berater für Energiefragen
von Christian Pierret, Staatssekretär im Industrieministerium,
bevor er 2000 in den Suez-Konzern wechselte. Auch der Politikwissenschaftler
Gérard Le Gall, Berater von Ministerpräsident Jospin
für Meinungsumfragen, quittierte im Juli 2004 seinen Universitätsposten
und wechselte zu Suez.
Die
klassischen Gegensätze staatlich/privat oder rechts/links
spielen heute keine Rolle mehr. Die großen Akteure der
Wasserwirtschaft kommen aus den berühmten Hochschulen -
den Écoles Nationales - für Bergwesen, für Straßen-
und Brückenbau, für Wasser- und Forstwirtschaft und
ländliche Entwicklung (Engref), für das Finanzwesen
und für Verwaltung, also jener berühmten École
Nationale d'Administration (ENA). Diese Leute bilden eine abgeschottete
kleine Gruppe. Ein klassisches Beispiel ist der Chef von Suez
Lyonnaise - der Konzern ist die Nummer drei oder vier in der
französischen Unternehmenshierarchie: Er lehrt an der École
nationale für Straßen- und Brückenbau, die in
jedem Jahrgang 120 Ingenieure ausbildet. Gleichzeitig leitet
er den Bereich Kommunikation im Fachverband für die Berufe
der Wasserwirtschaft - einer gemeinschaftlichen Gründung
von Suez, Vivendi und Saur - und rühmt sich, einer Linksregierung
angehört zu haben. Dasselbe gilt für seinen Kollegen
bei Veolia, der die "Antwort" des Unternehmens auf
die Kritik der Globalisierungsgegner verfasst hat. Auch er ist
Mitglied der Sozialistischen Partei.
All
dies erklärt, warum die politischen und wirtschaftlichen
Eliten in Frankreich kaum Interesse zeigen, diesen Unternehmen,
deren Einfluss in den letzten Jahren ständig zugenommen
hat, stärker auf die Finger zu sehen. Zudem verfügen
solche multinationalen Konzerne über Werbeetats, die sie
zu begehrten Anzeigenkunden der Medien machen. Mit diesen Etats
können sie sich auch die Dienste von Public-Relations-Agenturen
wie Image 7 und DGM Conseil Strategic leisten, die für ihre
aggressiven Lobbyingkampagnen bekannt sind.(5)
|
Sponsoring
und Werbekampagnen
|
|
AUCH
in anderen Bereichen sind die Wasserkonzerne aktiv. Ein Beispiel
ist die Werbekampagne, die Veolia an französischen Schulen
gestartet hat. Im Frühjahr 2004 erhielten 23 000 Grundschuldirektoren
eine Ausgabe der Zeitung Mon Quotidien für Jugendliche zwischen
9 und 13 Jahren, die ein Poster des Konzerns enthält. Auf
diesem erläutert "Victor", das Maskottchen von
Veolia, wie Jugendliche schon durch kleine Maßnahmen zugunsten
des Umweltschutzes zum Erhalt der Gesundheit beitragen können.
Ebenso wurde 22 000 Allgemeinmedizinern eine Gratisausgabe von
Le Quotidien du médecin zugestellt. Gleichzeitig verteilte
Veolia an tausende französische Schulklassen der Stufen
CE2, CM1 und CM2 eine neue Ausgabe ihres "Unterrichtsmaterials",
das erstmals 1995 aufgelegt wurde und 15 naturwissenschaftliche
und technische Experimente enthält, aber auch Material für
Kunst, Geschichte und Geografie, Staatsbürgerkunde und Französisch.
Suez
wiederum sponsert seit über zehn Jahren das "Festival
international de géographie" von Saint-Dié,
die größte Veranstaltung dieser Art in Frankreich.
An diesem "Geografie-Festival" - eine Idee von Christian
Pierret, dem ehemaligen sozialistischen Staatssekretär im
Industrieministerium - nehmen jedes Jahr hunderte von Lehrern
teil, denn es ist in die Lehrerfortbildung integriert. Und natürlich
ist es kein Zufall, dass die Teilnehmer mit Informationen über
Wasser nachgerade zugeschüttet werden.
Nachdem
der französische Markt gesättigt war, zog es die drei
Schwestern ungeachtet der vielen Korruptionsskandale in die große,
weite Welt hinaus. Zu Beginn der 1990er-Jahre knüpfte Jérôme
Monod, der Präsident von Suez Lyonnaise und heutige Berater
von Präsident Chirac, Kontakte zu Weltbankpräsident
James Wolfensohn an. Innerhalb weniger Jahre entstand ein gewaltiges
internationales Netz von Leuten, die sich für die Förderung
einer Wasserwirtschaft à la française einsetzten.
Das Zauberwort hieß öffentlich-private Partnerschaft.
Viele Einrichtungen, voran der Weltwasserrat, begannen, die internationalen
Finanzinstitutionen in diesem Sinne zu missionieren. Mit Erfolg,
denn heute gilt allenthalben das Dogma: Nur die öffentlich-private
Partnerschaft kann unseren Planeten retten!
Dieses
Credo verbreiten auch die Empfehlungen des "Camdessus-Berichts",
die kurz vor dem Kioto-Gipfel im März 2003 formuliert wurden.(6)
Dabei geht es darum, öffentliche Mittel zu mobilisieren
und neue Instrumente zu schaffen, die den Schutz der privaten
Investitionen garantieren. Beispielsweise vor Wechselkursrisiken,
um zu verhindern, dass sich Ereignisse wie der Börsenkrach
von Argentinien wiederholen, bei dem Suez 600 Millionen Euro
verlor. Ein weiteres Beispiel ist die Absicherung gegen alle
politischen oder sozialen Veränderungen, die Gewinne gefährden
könnten, mit denen der Konzern bis zum Ende der Vertragslaufzeit
gerechnet hat.
Diese
Konzerne sind jedoch nicht nur erwiesene Meister der politischen
Machenschaften. Sie zapfen routiniert alle verfügbaren internationalen
Kreditfonds an und verlangen gleichzeitig überhöhte
Gebühren. Doch die Betroffenen lassen sich immer weniger
gefallen. Denn die praktizierte Wasserpolitik gerät mittlerweile
immer stärker in die Kritik.(7)
Im
Februar 2002 musste sich Vivendi Hals über Kopf aus den
Komoren zurückziehen, wo der Konzern 1997 das Elektrizitätsnetz übernommen
hatte. Obwohl internationale Kreditgeber fast 80 Millionen Franc
(etwas mehr als 12 Millionen Euro) als Anfangsfinanzierung zur
Verfügung gestellt hatten, wurde die Stromversorgung innerhalb
kurzer Zeit immer schlechter. Im Januar 2003 beschloss die Verwaltung
der US-Metropole Atlanta, den Konzessionsvertrag mit United Water
(Suez) zu kündigen, den sie im Januar 1999 für eine
Laufzeit von zwanzig Jahren geschlossen hatte. Nur 14 Tage später
gab Suez-Ondeo seinen Rückzug aus Manila bekannt mit der
Begründung, die städtischen Behörden hätten
eine Tariferhöhung verweigert.
Bei
dem Vertrag mit der philippinischen Hauptstadt ging es um die
größte private Wasserkonzession weltweit. Die 1997
für 25 Jahre abgeschlossene Konzession sollte die Wasserversorgung
von 6 Millionen Menschen sicherstellen. Der Vertrag wurde anfangs
als Paradebeispiel für eine erfolgreiche Privatisierung
der öffentlichen Dienstleistungen in Entwicklungsländern
gefeiert, denn endlich sollten auch die Armen mit Wasser versorgt
werden. Das Privatisierungsprojekt entsprach auch den Forderungen
der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds, denn
die städtischen Wasserbetriebe hatten es nicht geschafft,
die Versorgung aller Bewohner sicherzustellen.
Die
Privatisierung führte jedoch zu katastrophalen Resultaten.
In nur fünf Jahren schnellte der Wasserpreis um 500 Prozent
in die Höhe. 2003 mussten die Familien ein Zehntel ihres
gesamten Haushaltseinkommens für die Wasserversorgung ausgeben.
Die Zahl der Haushalte, die an das Wassernetz angeschlossen wurden,
nahm nicht wie erwartet zu. Und im November 2003 brach im Stadtteil
Tondo, der von dem Konsortium verwaltet wurde, eine Choleraepidemie
aus. Sieben Menschen starben, und 700 erkrankten schwer.
Im
Februar 2003 erließ der Gouverneur des brasilianischen
Bundesstaates Paraná ein Dekret, das dem Unternehmen Vivendi
Environnement und seinen lokalen Partnern die Lizenz für
die Abwasserentsorgung entzog. Und im Juni 2003 kündigte
Suez an, aus dem Vertrag für die Abwasserentsorgung von
Halifax in Kanada auszusteigen. Der Vertrag hatte ein Volumen
von 341 Millionen Dollar und eine Laufzeit von 30 Jahren. Wie
das Unternehmen selbst erklärte, war man zu dem Schluss
gekommen, dass Mehrkosten in Höhe von 20 Millionen Dollar
erforderlich wären, um Auflagen zu erfüllen.
Seit
diesen Pannen scheint alles schief zu gehen. In Buenos Aires
verhandelt die Suez-Tochter Aguas Argentinas seit mehreren Jahren
mit der Regierung über einen neuen Rahmen für Tarife
und Investitionen. Doch nun droht Präsident Nestor Kirchner
mit der Aufkündigung des Vertrags. Suez fordert eine Tariferhöhung,
die in dieser Höhe von den argentinischen Behörden
abgelehnt wird. Im Januar 2005 hat die argentinische Regierung
den französischen Wassermulti und den Stromkonzern EDF zu
Strafzahlungen in Höhe von umgerechnet 500 000 Euro wegen
Nichteinhaltung ihrer Investitionsverpflichtungen und wegen Qualitätsmängeln
verdonnert. Außenminister Dominique de Villepin musste
bereits im Mai 2004 intervenieren, um seine argentinischen Freunde
daran zu erinnern, welchen finanziellen Belastungen die französischen
Unternehmen "in dieser schwierigen Zeit" ausgesetzt
waren.(8) Damit spielte Villepin auf die Tatsache an, dass Frankreich
die Argentinier bei ihren Umschuldungsverhandlungen mit dem Internationalen
Währungsfonds im März 2004 weitgehend unterstützt
hatte.
In
Soweto versucht Suez seit Jahren, im Auftrag der Regierung von
Johannesburg Wassergebühren durchzusetzen. Der Konzern stößt
dabei auf den massiven Widerstand der Bewohner von Soweto, die
nicht einsehen, dass sie für die Wahrnehmung eines Rechts
bezahlen sollen, das die südafrikanische Regierung in die
Verfassung aufgenommen hat. Rückblickend sehen einige Analysten
die euphorischen Markterwartungen, die Ende der 1990er-Jahre
auch die Spekulationsblase in der IT-Branche ausgelöst hatten,
als Ursache für das ein oder andere Fiasko, das die Wassermultis
auf den internationalen Märkten erlitten haben, vor allem
in Ländern, die wie Argentinien in einer Währungskrise
stecken. In Zukunft werden sich die Multis wahrscheinlich aus
zahlreichen Projekten zurückziehen, die für sie zu
riskant geworden sind. Was nach der marktwirtschaftlichen Lehre
ziemlich paradox ist, der zufolge Geschäfte notwendigerweise
mit "Risiken" behaftet sind .
Heute
ist der Wassermarkt, den es ja durchaus gibt, in einer Umstrukturierung
begriffen. Neue Akteure treten auf den Plan. Dazu gehören
ironischerweise auch öffentliche Betriebe, die bereits auf
dem Wassersektor präsent sind, wie etwa die mächtigen
deutschen Stadtwerke oder staatliche Unternehmen in Italien.
Das gilt auch für Firmen, die im Bausektor und bei öffentliche
Projekten engagiert sind, und neue Firmengruppen aus unterschiedlichen
Branchen, die vor allem aus Südostasien auf den Markt drängen,
aber auch aus Deutschland oder Spanien. Umstritten ist inzwischen
auch der Ehrgeiz der großen privaten Konzerne, alle möglichen
Leistungen von der Produktion bis zur Distribution aus einer
Hand anbieten zu wollen. Deshalb kommen private Unternehmen derzeit
nur noch punktuell zum Zuge, wenn irgendwo Engpässe auftauchen.
Insgesamt haben die französischen Multis in der Wasserbranche
starke Konkurrenz bekommen, zum Beispiel durch US-amerikanische,
deutsche, japanische und britische "Engineering"-Spezialisten.(9)
Verstärkte
Konkurrenz im Geschäft mit dem Fließwasser bedeutet
auch der Mineralwassermarkt, der zweistellige Wachstumsraten
verzeichnet. Doch er befindet sich in der Hand von großen
Lebensmittelkonzernen wie dem Marktführer Nestlé (mit
77 Marken von Vittel bis San Pellegrino) oder Danone (Evian,
Volvic) und hat auch längst die Aufmerksamkeit von US-Konzernen
wie Coca-Cola und Pepsi erregt. Die Macht der drei französischen
Wassermultis ist heute keineswegs mehr so unbestritten, wie es
aussieht. Selbst in Frankreich scheint sich ihr goldenes Zeitalter
seinem Ende zuzuneigen.(10) Unter dem Druck der Verbraucher fordern
viele Kommunen mehr Transparenz.
Doch
führende Vertreter von Veolia setzen immer noch auf die
alten Reflexe. Seit einigen Jahren sind die ehemaligen kommunistischen
Staaten Osteuropas zum Eldorado geworden. "Die Infrastrukturen
sind vorhanden, sie müssen lediglich erneuert werden. Was
die Kunden betrifft, so haben wir es hier mit einem Markt von
100 Millionen Verbrauchern zu tun, die in 10 bis 15 Jahren den
Lebensstandard der übrigen Europäer erreicht haben
werden", meint ein Manager im Gespräch. Wegen der vielen
ehemaligen Apparatschiks, die als potenzielle Ansprechpartner
nur darauf warten, von den Wohltaten des Liberalismus zu profitieren,
und auch dank der EU-Fonds, auf die sie bequem zurückgreifen
können, sei er zuversichtlich: "Wir haben dort noch
eine Menge guter Jahre vor uns."
|
Fußnoten:
|
|
-
"Le
mouvement altermondialiste - Quelles réponses". Internes
Dokument, Veolia Water, Abteilung öffentliche Körperschaften,
November 2003. "De l'eau potable pour tous",
der Beitrag von Veolia Water, November 2004.
-
"Prix de l'eau: la plainte", Toulouse Métropole, 25. Juni
2003. Am 24. Juni 2003 wurde ein Verfahren gegen die Stadt Toulouse eingeleitet,
die von der Compagnie Générale des Eaux ein "Eintrittsgeld" in
Höhe von 437,5 Millionen FF entgegengenommen hatte. Der Verbraucherschutz
schätzt, dass die Bewohner von Toulouse bis zum Jahr 2020, wenn der Konzessionsvertrag
ausläuft, fast 220 Millionen Euro an die CGE zurückgezahlt hätten.
-
Marc
Laimé, "Le Dossier de l'eau, pénurie, pollution,
corruption", Le Seuil, März 2003. Zur Verantwortung der Politik siehe
ebenfalls Laetitia Guérin-Schneider und Dominique Lorrain, "Les
relations puissance publique- firmes dans le secteur de l'eau et de l'assainissement", "La
Gazette des communes, Paris, 9. August 2004.
-
Er
machte im Herbst 2004 Schlagzeilen mit einer Affäre zwischen Veolia
und Vivendi Universal. Siehe Nicolas Cori und Renaud Lecadre, "Le marché de
l'eau en Arabie finit en baston au George-V", "Libération,
8. Dezember 2004.
-
Bruno
Fay und Laurent Olivier, "Le Casier judiciaire de la République",
Ramsay, Paris, 2002.
-
Michel
Camdessus (Hg.), "Financer l'eau pour tous", Bericht des
Weltpanels über die Finanzierung der Wasserinfrastrukturen, März
2003. Siehe dazu auch Martine Bulard, "Les fourberies de M. Michel Camdessus", "Le
Monde diplomatique, Januar 2005.
-
Catherine
Baron, "Société civile et marchandisation
de l'eau", Sciences de la Société,
CNRS, Lereps Toulouse 1, 25. Februar 2005.
-
Vittorio
de Filippis und Christian Losson, "Suez ravi de conserver
l'eau et les égouts de Buenos Aires", "Libération,
6. Mai 2004.
-
Dominique
Lorrain, "Les 4 compétitions dans un monopole naturel.
Qu'est-il en train d'arriver au secteur de l'eau?", "Flux
(CNRS), Paris, Nr. 52-53, September 2003.
- Martine
Orange, "Les champions de l'eau français sont en crise", "Le
Monde, 29. Januar 2004.
deutsch
von Sonja Schmidt
|
Die
drei Schwestern
|
|
VON
den vier globalen Marktführern im Bereich Wasserversorgung
sind allein drei französische Unternehmen: Veolia, ehemals
Vivendi, das aus der 1853 gegründeten Compagnie Générale
des Eaux (CGE) hervorgegangen ist; Ondeo, eine Tochter der Suez
Lyonnaise des Eaux, gegründet 1880; und die kleine Saur,
die bis zum November 2004 zum Mischkonzern Bouygues gehörte.
Innerhalb von kaum 20 Jahren ist es den französischen Wassermultis
gelungen, sich weltweit an die Spitze der privaten Wasserversorger
zu setzen.
Ondeo ist mit 125 Millionen Kunden weltweit die Nummer eins. Der Branchenzweite
Veolia versorgt weltweit 110 Millionen Kunden mit Wasser. Veolia
ist allerdings die Nummer eins in Frankreich, wo das Unternehmen
für die Trinkwasserversorgung von 26 Millionen und die Abwasserbeseitigung
von 19 Millionen Menschen zuständig ist. Das brachte 2003
einen Umsatz von rund 11 Milliarden Euro, 30 Prozent des Gesamtumsatzes
von Veolia Environnement.
Insgesamt
beschäftigt das Veolia Environment 309 000 Mitarbeiter in
mehr als 80 Ländern, davon 2 800 in China, 4 000 in Australien,
14 000 in Deutschland, etwa 13 000 in Großbritannien, 12
000 in Tschechien und 9 000 in Schweden. Die Saur hat sich ebenfalls
im Ausland engagiert, wo sie 29 Millionen Menschen mit Wasser
versorgt (gegenüber 6 Millionen in Frankreich).
Zurzeit
kontrollieren die drei Schwestern rund 40 Prozent des weltweiten
privaten Wassermarktes und sind insgesamt in mehr als 100 Ländern
präsent. Ihr einziger echter Rivale ist der deutsche Konzern
RWE (Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk), der
in den letzten Jahren, auch dank seiner britischen Tochter Thames
Water, zum drittgrößten Wasserversorger der Welt aufgerückt
ist. Mit dem Kauf des größten amerikanischen Wasserversorgers
American Water Works konnte sich RWE außerdem auf dem amerikanischen
Markt etablieren. |
|