Le
Monde diplomatique 11.3.2005
DOSSIER WASSER
Quellen,
Pipelines, Grenzkonflikte und Wasserrechte
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Um die Wasserkrise
zu beherrschen und die Kriege zu vermeiden, die als Folge von
Konflikten
um die Wassenutzung drohen, favorisieren
viele Experten rein technologische Lösungen. Die Idee, Wasser
dort aufzufangen, wo es sich vorfindet, und dorthin zu transportieren,
wo es gebraucht wird, hat für die Befürworter solcher
Projekte - zumeist Ingenieure und Unternehmen, die von staatlichen
Aufträgen leben - den Vorzug, dass sie furchtbar einfach aussehen.
Doch die massiven Wassertransfers, die im 20. Jahrhundert in vielen
Regionen als Patentlösung galten, sind nur selten verträglich.
Das gilt nicht nur für Projekte, die zu internationalen Krisen
führen, weil sie die Interessen mehrerer Länder betreffen.
Auch wenn das Wasser im eigenen Lande verbleibt, können die
Folgen für die Umwelt wie für die langfristige Wirtschaftsentwicklung
verhängnisvoll sein.
Von FRÉDÉRIC
LASSERRE *
und PHILIPPE REKACEVICZ
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Professor für Geografie an der Universität Laval
(Québec), in Zusammenarbeit mit Luc Descroix Autor
von "Eaux et territoires: tensions, coopérations
et géopolitique de l'eau", Presses de l'Université du
Québec, 2003. |
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1.
Die Versorgung der Städte
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Viele
Ballungsgebiete können ihren Wasserbedarf nur dank der Umlenkung
großer Wassermengen befriedigen. Solche Transfers zur Versorgung
der Stadtbevölkerung sind seit alters bekannt und in zahlreichen
Fällen bewährt. Auf diese Weise werden zum Beispiel
Paris, Marseille, Athen, Helsinki, Algier, Tokio, New York und
Los Angeles seit langem versorgt. Mit dem schnellen Wachstum
der Städte vor allem in den Entwicklungsländern erreicht
die Versorgungsproblematik heute jedoch ganz andere Dimensionen.
So
wuchs die Einwohnerzahl von Mexiko-Stadt zwischen 1940 und 1980
von 1,6 auf 12,9 Millionen Menschen. Die Stadt muss die nötige
Infrastruktur - von der Müllabfuhr über Abwasserkanäle
bis hin zu Frischwasser- und Stromleitungen - schneller ausbauen,
als es ihre finanziellen Kapazitäten erlauben. Möglich
ist dies nur, wenn auch in unzureichender Weise, indem man immer
weiter entfernte Wasserressourcen in Beschlag nimmt. Dies führt
zwangsläufig zu Konflikten mit den Gemeinden, auf deren
Gebiet diese Vorkommen liegen.
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2.
Die Versorgung der Intensivlandwirtschaft
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Wasser
gibt es im Westen der USA genug. Doch um die immer größeren
Anbauflächen zu bewässern, muss es über weite
Distanzen herangeschafft werden. Als demonstratives Zeichen technologischer
Naturbeherrschung wurden ganze Flüsse umgeleitet, begradigt,
verrohrt und zu riesigen Reservoirs aufgestaut - die beiden Stauseen
am Colorado River, der Lake Mead und der Lake Powell, fassen
35 beziehungsweise 33,3 Milliarden Kubikmeter. Ihr Wasser wird
in die Städte und auf die Felder geleitet.
In
Zentralasien entstanden zur gleichen Zeit Wasserbauten von ebenfalls
pharaonischen Ausmaßen. So leitet Turkmenistan Jahr für
Jahr 11 Milliarden Kubikmeter aus dem Fluss Amu Darja in den
Karakum-Kanal um. Auf seinen 1 100 Kilometern verliert er wegen
mangelhafter Wartung bis zu 50 Prozent des eingespeisten Wassers.
Mit dem Bau der Wasserleitung nach Los Angeles begann 1913 in
Kalifornien, Arizona und Utah die Ära der großen Wasserbauprojekte
am Colorado. Dadurch trocknete der Lake Owens in Kalifornien
aus, und die Gemeinden des Owens-Tals verloren jede Hoffnung
auf eine Zukunft. Solche massiven Wassertransfers dienen nicht
der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, sondern allein
der Maximierung der Agrarproduktion.
Heute
erreicht der Colorado wie auch der Syr und der Amu Darja in Asien
nur sporadisch das Meer, was zu verheerenden Umweltkatastrophen
geführt hat: zur Austrocknung der Sumpfgebiete im Colorado-Delta
und zum allmählichen Verschwinden des Aralsees. Letzterer
schrumpfte zwischen 1960 und 2001 um 80 Prozent, während
sich der Salzgehalt vervierfachte und die meisten der einst vorhandenen
Lebensformen abstarben. Die Salze, Pestizide und anderen Giftstoffe,
die sich auf dem ehemaligen Meeresboden abgelagert haben und
jetzt vom Wind fortgetragen werden, machen die Böden im
Umkreis von hunderten Kilometern unfruchtbar. Die einheimische
Bevölkerung erkrankt an Anämie und Leberleiden, denn
das Blut wird mit Pestiziden und Schwermetallen kontaminiert.
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3.
Wassertransfers von Kanada in die USA
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Bereits
in den 1960er-Jahren gab es im Westen der Vereinigten Staaten
die ersten Anzeichen dafür, dass die bisherige Wasserpolitik
der unbegrenzten Selbstbedienung an natürliche Grenzen stößt.
Als der Oberste US-Gerichtshof 1963 entschied, dass Kalifornien
auf einen Teil des dem Colorado entnommenen Wassers zu verzichten
habe, wuchs die Angst vor einem baldigen Wassermangel. In jener
Zeit feierte die Ingenieurskunst Triumphe; zugleich herrschte
die Meinung vor, angesichts der Erschöpfung der lokalen
Ressourcen lasse sich die Nachfrage nur durch ein höheres
Angebot befriedigen. Fachleute und politische Instanzen brachten
daraufhin massive Wassertransfers aus dem Columbia River im Nordwesten
und dem Mississippi ins Gespräch. Als sich die betroffenen
US-Staaten gegen ein solches Projekt sperrten, favorisierte man
die Idee, das Wasser dort zu holen, wo es im Überfluss vorhanden
ist: aus dem noch viel weiter entfernten Kanada.
Die
kanadische Öffentlichkeit lehnte und lehnt derartige Projekte
grundsätzlich ab. Zwar sind umfangreiche Wassertransfers
in Kanada keineswegs unbekannt. Doch die Vorstellung, die Kontrolle über
das eigene Wasser abzugeben, beunruhigt die Kanadier, die sehr
auf ihre Souveränität gegenüber dem großen
Nachbarn im Süden bedacht sind.
Gegen
die geplante Neuauflage solcher Projekte wenden Gegner beiderseits
der Grenze ein, dass sie keine nachhaltige Lösung darstellen.
Ohne eine Änderung unserer Konsumgewohnheiten wird das Problem
nur verlagert, und das zu einem hohen Preis. Die kanadische Regierung
will in dieser sensiblen Souveränitätsfrage auf keinen
Fall nachgeben und das verschwenderische Wassermanagement der
USA unterstützen. Im Jahr 2000 befand die "International
Joint Commission", ein amerikanisch-kanadischer Ausschuss,
der sich mit den Grenzstreitigkeiten zwischen den beiden Ländern
befasst, massive Wassertransfers seien nur als absolute Notlösung
gerechtfertigt. Aber auch in solchen Fällen müssten
mindestens 95 Prozent des Wassers nach Gebrauch - nach neuestem
technischem Standard aufbereitet - in das Herkunftsgebiet zurückgeleitet
werden.(1)
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4.
Wahnwitzige Konkurrenz um Wasser
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Ein überaus
riskantes Projekt ist die Wasserversorgung für die senegalesische
Hauptstadt Dakar. Seit mehreren Jahren zapft die Stadt hauptsächlich
das Grundwasser im näheren Umland an. 1999 stammten 80 Prozent
des Wasserverbrauchs aus der Gegend zwischen dem noch nahe gelegenen
Kap Verde und dem 250 Kilometer entfernten Guiers-See am Fluss
Senegal.
Seit über
zehn Jahren ist jedoch der Cayor-Kanal in Planung, der Dakar
mit zusätzlichem Wasser aus dem Senegal-Fluss versorgen
soll. Das Projekt, dem die Regierung höchste Priorität
zumaß, wurde nun jedoch auf unbestimmte Zeit vertagt. Der
Grund sind vor allem die ständigen Spannungen zwischen Senegal
und Mauretanien über die Aufteilung des Wassers aus dem
Grenzfluss. Obwohl die diplomatischen Beziehungen zwischen den
beiden Staaten eigentlich intakt sind, kommt es immer wieder
zu abrupten Krisen, die sich mehr aus der Empfindlichkeit der
Regierenden als aus realen Problemen erklären lassen.
Obwohl
die Sahelzone seit 35 Jahren immer wieder von Dürren heimgesucht
wird, hat der von der "Organisation für die Erschließung
des Senegal" (OMVS) betriebene Bau des Manantali- und des
Diama-Staudamms am Senegal-Fluss die Wassersituation in Senegal,
Mauretanien und Mali nachhaltig verbessert. Zumindest zeitweilig
- denn seit den schweren Ausschreitungen in den beiden Hauptstädten
Dakar und Nouakchott, die sich 1989 in der Folge eines Grenzzwischenfalls
ereigneten, schlägt die mauretanische Regierung jedes Mal
scharfe Töne an, wenn Dakar ein neues Projekt zur Nutzung
des Senegal-Flusses auf den Tisch bringt. Dabei nutzen beide
Länder derzeit nur einen Bruchteil der Wassermengen - Senegal
20 Prozent, Mauretanien knapp 5 Prozent -, die ihnen die OMVS
nach Fertigstellung der geplanten Stauanlagen zugebilligt hat.
Die symbolische Bedeutung von Wassertransfers in entferntere
Gebiete - sie gelten den Anrainern als Diebstahl - sorgt immer
wieder für politischen Sprengstoff.
Ein ähnliches
Projekt ist für die Wasserversorgung von Nouakchott in Planung.
Der 170 Kilometer lange Kanal zwischen der mauretanischen Hauptstadt
und dem Senegal-Fluss soll einmal ein 150 000 Kubikmeter fassendes
Aufbereitungsbecken und ein zur Hälfte unterirdisches Reservoir
mit einem Fassungsvermögen von 5 000 Kubikmetern speisen.
Damit soll sich die Tagesproduktion bis 2020 verdreifachen. Das
vom Afrikanischen Entwicklungsfonds sowie von Kuwait und Saudi-Arabien
finanzierte Projekte umfasst auch eine Kläranlage. Manche
Spezialisten befürchten jedoch, aufgrund der Unterdimensionierung
der Abwässerleitungen könnte es zu Überschwemmungen
kommen, die für die Gesundheit der Bevölkerung gravierende
Folgen hätten. So ist etwa ein erneuter Ausbruch der Cholera
zu befürchten.
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5.
Grundwassernutzung
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Der
Fall Libyen. 1983 initiierte Libyen ein titanisches Wasserbauprojekt,
um die unter dem Wüstenboden lagernden Wasserreserven für
die Bewässerung der küstennahen Anbauflächen zu
erschließen. Die Kosten für den Bau des "Großen
künstlichen Flusses" werden mit 32 Milliarden Dollar
veranschlagt und sollen vollständig durch Erdöleinnahmen
finanziert werden. Die gigantische Ausgabe erscheint umso merkwürdiger,
als die unterirdischen Reserven in vergleichsweise kurzer Zeit
aufgebraucht sein dürften.
Die
Grundwasserbestände im Süden Libyens bildeten sich
vor 6 000 bis 12 000 Jahren, als auf das Gebiet der heutigen
Sahara erheblich mehr Niederschläge fielen. Doch so groß sie
auch sein mögen - sie erneuern sich nicht. Den Beständen
sollen Jahr für Jahr 2,2 Milliarden Kubikmeter Wasser entnommen
werden, womit die Vorräte in rund 50 Jahren erschöpft
sein werden. Die Gestehungskosten liegen insgesamt heute schon
in der Größenordnung der Kosten für die Meerwasserentsalzung,
die wiederum in den vergangenen zwanzig Jahren um 70 Prozent
gesunken sind.
Offiziell
verfolgt Libyen mit diesem Projekt das Ziel, bei der Nahrungsmittelversorgung
durch verstärkten Getreideanbau vom Ausland unabhängig
zu werden und sich wirtschaftlich ein wenig zu diversifizieren.
Doch diese Begründung kann nicht überzeugen. Der Aufbau
eines Agrosektors mit geringer Wertschöpfung - hauptsächlich
wird Getreide angebaut - ist unter diesen Bedingungen ökonomisch
irrational. Wahrscheinlicher ist, dass Libyen das Wasserbauprojekt
als Mittel zu einem ganz anderen Zweck vorgesehen hat. So war
es auch im Fall Saudi-Arabien, das in den 1980er-Jahren mit Hilfe
der unterirdischen Wasserreserven in der Wüste Getreide
anbauen wollte, wobei es vor allem darum ging, die Beduinenstämme
sesshaft zu machen. Für Tripolis war das wahrscheinliche
Motiv dagegen, unter dem Druck internationaler Embargos von Nahrungsmittelimporten
unabhängiger zu werden. Doch dieser Grund ist inzwischen
entfallen, denn das Embargo wurde im September 2003 aufgehoben.
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Fußnoten:
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- International
Joint Commission, Protection of the Waters of the Great Lakes.
Final Report to the Governments of Canada and the United
States, 2000. www.ijc.org/php/publications/html/finalreport.html.
- (2) Luc
Descroix, "Dakar: une capitale dependant d'approvisionnements lointains",
in: "Les transferts d'eau massifs. Outils de développement ou instruments
de pouvoir?", Presses de l'Université du Québec (erscheint
2005).
deutsch
von Bodo Schulze
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