Le
Monde diplomatique 11.3.2005
DOSSIER WASSER
Wie
viel Wasser für wen
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Im
Dossier auf den folgenden Seiten geht es um die verschiedenen
Aspekte der
Ressource Wasser. Wasser wird immer knapper. Ursachen sind
das weltweite Bevölkerungswachstum, aber auch wasserintensive
industrielle Herstellungsverfahren, verschwenderische Wasserwirtschaft
und eine kurzsichtige Ausbeutung von Grundwasserreserven. In
vielen Regionen der Welt ist es deshalb schon zu Konflikten gekommen.
Das folgende Kapitel aus dem aktuellen Bericht vom Wuppertal
Institut für Klima, Umwelt, Energie gibt eine Einführung
in das Thema. |
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Auszug aus: "Fair Future. Begrenzte Ressourcen und globale
Gerechtigkeit". Ein Report, herausgegeben vom Wuppertal
Institut für Klima, Umwelt, Energie unter Leitung von
Dr. Wolfgang Sachs und Tilman Santarius, © Verlag C.
H. Beck oHG, München 2005. Das Buch erscheint am 5.
Mai 2005. |
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NIRGENDS
werden Konflikte um Ressourcen ihrem Namen so gerecht wie im
Fall von Wasser. Denn der Begriff "Ressource" leitet
sich aus dem lateinischen Wort surgere, "hervorquellen" ab.
Er ist als Metapher für Leben zu verstehen.(1) Und bei Konflikten
um Wasser geht es unmittelbar um Leben - und Überleben.
Rund 20 Prozent aller Menschen haben keinen Zugang zu sauberem
Wasser, und gar 40 Prozent der Weltbevölkerung leiden an
Wasserknappheit. Schätzungen zufolge werden im Jahre 2050
im schlimmsten Fall sieben Milliarden Menschen, im besten Fall
zwei Milliarden Menschen an Wasserknappheit leiden.(2)
Auf
den ersten Blick mag Süßwasser noch keine globale
Ressource sein. Zwar werden zunehmend Ansprüche wasserarmer
Weltregionen an wasserreiche laut, und bereits heute wird Wasser
mittels Tankern, Pipelines oder Flaschen zwischen Staaten gehandelt;
dennoch spielen direkte Wassertransfers internationalen Ausmaßes
bislang eine untergeordnete Rolle. Indirekt allerdings findet
global ein beträchtlicher Zugriff auf lokale Wasserressourcen
statt: etwa durch den Export von Gütern, zu deren Erzeugung
Wasser vonnöten ist, oder durch die Verschmutzung von Wasser
bei der industriellen Produktion. Auch dabei machen Unternehmen
und Konsumentinnen ferner Länder eine knappe Ressource jenen
streitig, die sie für ihren täglichen Lebensunterhalt
benötigen.
Bei öffentlich
ausgetragenen Konflikten um Trinkwasser stehen gegenwärtig
regionale Auseinandersetzungen im Vordergrund. Sie spiegeln den
Streit zwischen den regionalen Eliten und der lokalen Bevölkerung
wider. Immer spielen dabei Investitionen in konkrete Projekte
eine Rolle, die erst die Strukturen hervorbringen, um Wasser
von einem Ort zur Vereinnahmung an einem anderen transferieren
zu können. Durch Investitionen in Infrastrukturen wie Staudämme,
Kanäle oder Pipelines wird Wasser aus den Landgebieten in
die kaufkräftigen Zentren umgeleitet; durch Investitionen
in die verarbeitende Industrie, die Wasser im Produktionsprozess
verwendet, wird es der lokalen Bevölkerung entzogen oder
verschmutzt und unbrauchbar gemacht; durch Investitionen in die
exportorientierte Landwirtschaft wird Wasser in Form von Feldfrüchten
zu fernen Verbraucherinnen transportiert. Den Unternehmen, welche
die Investitionsprojekte ausführen, geht es in erster Linie
um ihren Geschäftsgewinn. Den Regierungen, welche diese
Investitionen vorantreiben, geht es um Prestigeprojekte wie auch
um die Förderung der urbanen Mittel- und Oberklasse und
des Wirtschaftswachstums. Obwohl solche Investitionen oft als
Entwicklungsprojekte angekündigt werden, die vor allem den
Armen nützen sollen, führen sie im Ergebnis häufig
zu einer Verschlechterung der Lebenssituation der lokalen Bevölkerung.
Durchweg
weisen die Konflikte um Wasser gemeinsame Merkmale auf. Es geht
darum, eine lebenswichtige Ressource und die von ihr abhängigen Ökosysteme
gegen die Nutzungsansprüche nichtansässiger Akteure
zu verteidigen. Nicht so sehr aus Motiven des Naturschutzes,
sondern weil die jeweiligen Naturräume - die Feuchtlandschaften,
die Flüsse, ihre Täler und ihre Deltas - Lebensraum
für eine menschliche Gemeinschaft bieten. Quellen, Seen
und Flüsse sind ja auch ein integraler Teil jener Kulturräume,
die eine Verbindung zu den Vorvätern wie zur Götterwelt
herstellen. Schwerwiegende Eingriffe in diese Naturräume
haben daher nie nur ökologische, sondern immer auch soziale
Bedeutung. Aus der Bedrohung der Gemeinschaft erwächst der ökologische
Widerstand, "der Umweltschutz der Armen",(3) der die
eigenen Lebensrechte gegenüber den fern lebenden Anwärtern
der transnationalen Verbraucherklasse verteidigt. Im Zentrum
der Auseinandersetzungen steht immer die Frage: Wem gehört
dieses Wasser? Und: Haben wir ein Existenzrecht dort, wo wir
hingehören?
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Gefangenes
Wasser
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Konflikte
und Proteste gegen den Zugriff auf Wasser zeigen sich am deutlichsten
beim Bau von Staudämmen. Die Umformung der Natur nimmt hier
besonders dramatische Formen an. Talsperren, teils riesigen Ausmaßes,
fangen Wasser regelrecht ein, verändern Flussläufe,
versenken Täler und zerstören bestehende Ökosysteme.
Bis 1949 sind ungefähr 5 000 große Staudämme
gebaut worden, drei Viertel davon in Industrieländern; am
Ende des Jahrhunderts gab es schon 45 000 Staudämme in der
Welt, zwei Drittel davon in Ländern des Südens.(4)
Sie wurden hauptsächlich gebaut, um die industrielle Landwirtschaft
zu bewässern, aber auch, um Strom zu erzeugen und Trinkwasser
für Städte zu sammeln.
An
erster Stelle der dadurch ausgelösten Konflikte steht die
Verdrängung von Familien und Dorfgemeinschaften. Allein
zwischen 1986 und 1993 mussten schätzungsweise vier Millionen
Menschen den Dämmen weichen. Die von der Weltkommission
für Dämme (WCD) zusammengeführten Fallstudien
zeigen: Die negativen Auswirkungen treffen vor allem Subsistenzbauern,
indigene Gruppen, ethnische Minoritäten und vor allem die
Frauen unter ihnen, während die positiven Auswirkungen in
erster Linie Stadtbewohnern, Großlandwirten und Industriebetrieben
zugute kommen.(5) Über die Ressource Wasser werden Gewinner
und Verlierer aussortiert. Besonders die Konflikte um Staudammprojekte
in China entfachten eine öffentliche Diskussion. In China
ist Wasser ein knappes Gut; denn China besitzt nur sechs Prozent
des weltweit verfügbaren Süßwassers, aber mehr
als ein Sechstel der Weltbevölkerung. Das größte
Problem stellt dabei die Verteilung von Wasser und Bevölkerung
dar: Mehr als drei Viertel der Wasserressourcen befinden sich
im Jangtse oder südlich davon, während rund 400 der
600 großen Städte im Norden unter Wasserknappheit
leiden. Daher plant die chinesische Regierung eine Reihe gigantischer
Projekte, um mittels Kanälen und Pipelines Wasser aus den
ländlichen Gebieten im Süden in die Ballungsräume
im Norden umzuleiten.(6)
Neben
den schwer abschätzbaren ökologischen Folgen solcher
Umleitungsprojekte erfordern sie massive Umsiedlungen wie beispielsweise
beim Dreischluchtenstaudamm. Nach offiziellen Angaben sollen
für seinen Bau 1,13 Millionen Menschen umgesiedelt worden
sein; kritische Stimmen sprechen gar von bis zu 1,9 Millionen.
Die Versprechen, Land und Arbeitsstätten bereitzustellen,
wurden oft nicht eingehalten. Wenn neues Land angeboten wurde,
war es häufig von schlechterer Qualität als das zuvor
besessene. Angebotene Kompensationsleistungen wurden nicht in
voller Höhe ausgezahlt. Von der Umsiedlung Betroffene mussten
mitunter neue Wohnstätten kaufen, die viel teurer waren
als die erhaltenen Kompensationen. Da entgegen den Planungen
die Ansiedlung der heimatlos gewordenen Menschen aufgrund zu
großer Bodenerosionen nicht in der Dreischluchtenregion
möglich war, zwang die Regierung ca. 125 000 Menschen, sich
in entfernter liegenden Regionen anzusiedeln. Diese Menschen
haben neben allen anderen Problemen noch mit der Eingewöhnung
in eine neue, für sie ungewohnte physische und soziale Umgebung
zu kämpfen.(7)
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Virtuelles
Wasser
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Nutzungskonflikte
entstehen auch, wenn Wasser bei der Produktion von Gütern
in großen Mengen gebraucht wird. "Virtuelles Wasser" ist
der Begriff, der angibt, welche Menge Wasser in einem Produkt
enthalten oder zur Fertigung eines Produkts verwendet wird. In
Anlehnung an den ökologischen Rucksack, der den gesamten
Materialaufwand umfasst, wird mit dem Begriff des virtuellen
Wassers sozusagen der aquatische Rucksack von Gütern und
Dienstleistungen ausgedrückt.
Nahezu
jedes Produkt enthält virtuelles Wasser. Die Produktion
eines 2 Gramm schweren 32-Megabyte-Computerchips erfordert etwa
einen Wasserverbrauch von 32 Litern; die Fertigung eines Automobils
verschlingt bis zu 400 000 Liter. Der größte Wasserverbrauch
findet in der Landwirtschaft statt, auf die 65 bis 70 Prozent
des globalen Süßwasserverbrauchs zurückgeführt
werden können. In einem Kilo Getreide stecken rund 1 000
bis 2 000 Liter virtuelles Wasser - je nach dem Klima der Anbauregion.
In die Produktion von einem Kilo Käse fließen 5 000
bis 5 500 Liter, in ein Kilo Rindfleisch gar bis zu 16 000 Liter
Wasser ein. Der Wasserverbrauch von Nationen muss daher eine
Bilanz des virtuellen Wassers umfassen; und der individuelle
Wasserverbrauch von Konsumentinnen kann nicht nur am direkten
Wasserverbrauch für Getränke, Duschen oder Autowaschen
festgemacht werden. Denn ein durchschnittlicher Bürger der
USA etwa nutzt allein für seinen Rindfleischkonsum täglich
rund 2 000 Liter Wasser.(8)
Der
Export von Gütern mit hohem virtuellem Wasseranteil birgt
ein besonderes Konfliktpotenzial, wenn Regionen ohnehin an Wasserknappheit
zu leiden haben - so etwa bei der Blumenzucht in Kenia. Kenia
produzierte im Jahr 2001 52 Millionen Tonnen Blumen für
den europäischen, japanischen und nordamerikanischen Markt,
während drei Millionen Kenianer unter Wasserknappheit litten.
Allein die Europäische Union importierte im Jahr 2000 aus
Kenia insgesamt Blumen im Wert von 153 Millionen Euro. Die Blumen
werden vorrangig mit Wasser aus dem See Naivasha bewässert,
einem ökonomisch und ökologisch wichtigen Gewässer.
Im und um den See leben 350 Vogelarten, Nilpferde, Büffel,
Affen und andere seltene Tiere, und das Wasser dient als Tiertränke
der Massai-Nomaden. Nicht nur die Verknappung des Wassers, auch
seine Vergiftung durch Dünger und Pflanzenschutzmittel stellt
für sie eine Bedrohung dar. Ohne es zu wissen, schmälern
die Blumenliebhaber ferner Länder so jenem Teil der lokalen
Bevölkerung, der nicht an den Erlösen der Blumenproduktion
teilhat, die Existenzgrundlage.(9)
Der
Entzug von Wasser als virtuellem Wasser bringt nicht nur an den
Rändern des Weltmarkts und im Süden existenzielle Probleme
für die lokale Bevölkerung mit sich. Sie kann auch
Menschen mitten im Norden, in den Hinterhöfen der globalen
Verbraucherklasse bedrohen. Ein eklatantes Beispiel findet sich
um die Black-Mesa-Kayenta-Kohlemine im Südwesten der USA.
Dort zerkleinert die Peabody Western Coal Company, der weltweit
größte private Kohleproduzent, die Kohle nach dem
Abbau, vermengt sie mit (Trink-)Wasser und pumpt sie anschließend
durch riesige Pipelines nach Nevada, wo sie verarbeitet oder
abtransportiert wird. Die Pipeline transportiert täglich
etwa 43 000 Tonnen Kohleschlamm, wofür Peabody stündlich
rund 480 000 Liter Wasser zuführen muss; der jährliche
Wasserverbrauch summiert sich auf rund 5 Milliarden Liter Wasser.
Das Wasser wird dem Navajo-Aquifer entnommen, der in der Gegend
der einzige Aquifer mit Trinkwasserqualität ist. Außerdem
speist es die Mehrzahl der Quellflüsse des Black-Mesa- Gebiets.
In dieser weithin trockenen Region ist es das Wasser der Quellen,
um das sich das soziale, spirituelle und kulturelle Leben der
dort lebenden Hopi dreht. Sie nutzen die biologische Vielfalt
der Feuchtgebiete für ihre Zeremonien und verehren eine
in den Quellen lebende Art der Wasserschlange. Um die größeren
Quellen herum bewirtschaften sie einige Felder, während
sie von dort gleichzeitig ihr Trinkwasser beziehen. Die Quellen
versiegen zusehends, was zu einer Gefährdung des sozialen
Lebens sowie der Landwirtschaft der Hopi führt. Untersuchungen
gelangten bereits 1995 zu der Überzeugung, dass etwa zwei
Drittel der Absenkung des Grundwasserspiegels auf das Konto von
Peabody und seiner Kohleproduktion gehen. Bis zum Jahre 2011
ist mit dem völligen Austrocknen einer Vielzahl der Quellen
der Hopi zu rechnen.(10)
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Verschmutztes
Wasser
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Umweltverschmutzung
- so argumentieren noch heute zahlreiche Regierungen ärmerer
Länder auf internationalen Umweltkonferenzen - ist in erster
Linie ein Problem der Industrieländer; Umweltschutz ist
daher ein Luxus, der erst mit einem gewissen ökonomischen
Wohlstand erreichbar ist. Tatsächlich aber leiden vor allem
die Armen überall auf dem Globus unter der Umweltverschmutzung.
Denn für sie, die oft unmittelbar von der Natur leben, ist
die Qualität ihrer natürlichen Umgebung gleichbedeutend
mit ihrem Zugang zu sauberem Trinkwasser.
Die
Verschmutzung von Wasser stellt derzeit eine Bedrohung für
etwa 1,2 Milliarden Menschen dar und führt jährlich
zum Tod von rund 15 Millionen Kindern.(11) Verschmutzung von
Wasser kann lokale Ursachen haben, wie etwa die Einleitung ungeklärter
Abwässer oder giftiger Rückstände aus der nahe
gelegenen Landwirtschaft. Aber Abwässer und Rückstände
können auch in der Ferne entstehen, und die Kontamination
kann auch von Städten und Industrien am Oberlauf herrühren.
Je ferner dem eigenen Leben die Verschmutzung ist und je weiter
entfernt die Nutznießer den Folgen ihres Tuns sind, desto
geringer ist in der Regel das Interesse an einem nachhaltigen
Gebrauch von Wasser.
Extrem
sind Wasserverschmutzungen durch Industrien, die Rohstoffe zum
Export aus dem Boden ziehen und anschließend verarbeiten.
Ein Beispiel ist der Abbau von Bauxit in der Nähe des Dorfs
Kinari im indischen Staat Orissa. Dort schürft die indische
Firma Sterlite Industries India Limited (SIIL) Bauxit und verarbeitet
es zu Aluminium. Das Mineral wird im Tagebau gewonnen und dafür
der Nyamgiri-Hügel abgeholzt. Die Entwaldung beeinträchtigt
die Aufnahmefähigkeit des Bodens für Niederschläge
und bedingt dadurch eine Absenkung des Grundwasserspiegels, was
die Austrocknung zweier nahe gelegener Flüsse sowie weiterer
kleinerer Wasserläufe nach sich zieht. Während der
Aluminiumproduktion entstehen toxische Substanzen in einem unlöslichen
roten Schlamm, der das Wasser verseucht und die Böden unfruchtbar
macht. Das Grundwasser, die Flüsse und die Ländereien
sind aber die einzigen Lebensmittel der ansässigen Bevölkerung.(12)
Ein
anderes Beispiel betrifft die Erdölgewinnung im Regenwald
Ecuadors. Aus etwa 300 Quellen ergibt sich eine Jahresproduktion
von knapp 20 Millionen Tonnen Öl, 0,4 Prozent der Weltproduktion.
Die an multinationale Konzerne vergebenen Konzessionen betreffen
Gebiete von rund 1,2 Millionen Hektar Regenwald und liegen oft
in Territorien indigener Völker. Sie sind vorwiegend Subsistenzgesellschaften
und damit auf die Naturräume der Wälder, der überfluteten
Gebiete und der Flussufer angewiesen, wobei der Landbau mit Jagen,
Sammeln und Fischen kombiniert wird. Das Zusammenspiel von Wald
und Wasser macht die Region zu einer der artenreichsten der Welt.
Die Folgen der Wasserverschmutzung durch die Ölförderung
sind daher besonders schwerwiegend. Über zahlreiche Lecks
in den Leitungsrohren sickert Öl in Boden und Wasser; in
den letzten zwanzig Jahren flossen aus über dreißig
Brüchen im Pipelinesystem mehr als eine halbe Million Barrel Öl
in Ecuadors Flussläufe, die den Einwohnern als Trinkwasser
dienen. Krankheiten nehmen zu, Mangelernährung, sozialer
Niedergang und schließlich Vertreibung sind die Folgen.(13)
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Lukratives
Wasser
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Preissteigerungen
der Ressource Wasser treffen am stärksten arme Bevölkerungsgruppen,
vor allem in den Städten. Denn sie haben gewöhnlich
keine Möglichkeit, auf Preiserhöhungen mit einer anders
geordneten Nachfrage zu reagieren. Höhere Wasserpreise gefährden
darum unmittelbar ihre Lebensmöglichkeiten.
In
den letzten Jahren kam es in den Metropolen des Südens zu
Auseinandersetzungen um die Privatisierung der öffentlichen
Wasserversorgung. Unternehmen kaufen Wasserrechte auf, und wenn
Kunden nicht zahlen können, ist Abschalten an der Tagesordnung.
Entsprechend heftig sind die Proteste, etwa in Städten wie
Cochabamba, Soweto, Jakarta oder in Manila. Bis in die 1990er-Jahre
hinein hatten etwa 30 Prozent der Menschen in Manila keinen Wasseranschluss,
eine städtische Kanalisation existierte praktisch nicht.
Das öffentliche Versorgungsunternehmen Manilas war durch
die geringen Einnahmen und eine hohe Schuldenlast nahezu handlungsunfähig
geworden. Daher versprach sich die Stadtregierung viel von der
Privatisierung ihrer Wasserversorgungsrechte, die 1997 an die
Unternehmen Maynilad Water Services International und Manila
Water Company Inc. vergeben wurden. Sie versprachen, Altschulden
abzubauen und Investitionen zu tätigen; sie gelobten niedrigere
Tarife und eine flächendeckende Wasserversorgung in spätestens
zehn Jahren. Zwar konnten sie bis Ende 2002 mit ihrem "Wasser
für die Gemeinschaft"-Programm Erfolge verbuchen, da
mehr Menschen als zuvor nun über einen Wasseranschluss verfügen.
Alle aber, die den Preis für den Anschluss nicht aufbringen
können, stehen jetzt schlechter da. Denn die öffentlichen
Wasserstellen sind geschlossen worden, und Nutzer illegaler Anschlüsse
werden von den Unternehmen konsequent als Wasserdiebe angezeigt.
So werden die Ärmsten und unter ihnen vor allem auch Frauen
gezwungen, sich auf stundenlange Wege zu begeben, um an Wasser
zu gelangen. Hinzu kommt, dass die Unternehmen nicht, wie versprochen,
in die marode Infrastruktur investierten, sondern die Leitungsverluste
durch eine Erhöhung der Wassertarife zu kompensieren suchen.
Nun zahlen die Endverbraucher nicht nur den teuren Anschluss,
sondern auch höhere Preise. Im Jahre 2002 betrugen sie bereits
dreimal so viel wie 1997, für 2003 wurden Steigerungen auf
das Fünffache erwartet.(14)
Neben
der Privatisierung der öffentlichen Wasserversorgung haben
sich andere Wege gefunden, Geld aus dem knappen Gut Wasser zu
schlagen: im Markt für Flaschenwasser. Dass der weltweite
Boom des Flaschenwassers zum Nachteil ganzer Bevölkerungsteile
werden kann, lässt sich am Beispiel der Ortschaft Plachimada
im südindischen Kerala verdeutlichen. Hier hat Coca-Cola
mit der Hindustan Coca-Cola Beverages Private Ltd. eine Fabrikanlage
gebaut und pumpt aus den eigens dafür angelegten 65 Bohrlöchern
täglich bis zu 600 000 Liter aus der Erde. Dies führte
zu einem rapiden Abfall des Grundwasserspiegels in der Gegend
und damit zu unlösbaren Problemen. Zum einen ist das Wasser,
dessen Härtegrad durch den beständigen Raubbau fortwährend
steigt, nur schwer genießbar und wird sowohl für den
menschlichen Konsum als auch für die Landwirtschaft zunehmend
unbrauchbar. Hinzu kommt, dass Coca-Cola den Anwohnern lange
Zeit empfohlen hat, die von der Fabrik produzierten schlammigen
Abfälle als Dünger zu nutzen. Dies führte zu Missernten.
(...) Wer sauberes Wasser möchte, muss sich auf den Weg
zu einer drei Kilometer entfernten Quelle machen. Durch die Missernten
fehlen den Menschen Einnahmen. Sie können es sich nicht
mehr leisten, Arbeiter auf den Ländereien anzustellen, und
viele sehen sich in die saisonale Arbeitsmigration gedrängt;
eine Katastrophe für eine Gegend, in der die Mehrheit von
landwirtschaftlicher Lohnarbeit abhängig ist. Im Dezember
2003 zwang der Gerichtshof Keralas Coca-Cola, nach Alternativen
zu seiner bisherigen Wasserversorgung zu suchen und nur so viel
Wasser zu nutzen, wie es ein Landbesitzer mit ähnlich großer
Landfläche dürfte. Im März 2004 stellte Coca-Cola
die Produktion ein, da die Produktionsgenehmigung nicht verlängert
wurde.(15 )
Die
Konflikte, die durch Verschmutzung von Wasser, zu hohe Wasserpreise
und die reale oder virtuelle Umleitung von Wasser auftreten,
entziehen vor allem den in der Eigenversorgungswirtschaft Lebenden
und den Armen die Existenzgrundlage. Existenzrechte umfassen,
was Personen als Lebensmittel zur Realisierung ihrer grundlegenden
Menschenrechte brauchen: genießbares Wasser, fruchtbaren
Ackerboden, ausreichend Nahrung, ein Dach über dem Kopf
und so weiter. Im Konflikt um natürliche Ressourcen wie
Wasser ist es darum vor allem wichtig, den ökologischen
Lebensraum dieser Bevölkerungen zu sichern. Die Achtung
der Existenzrechte verlangt, die Rechte der lokalen Gemeinschaften
auf ihre Ressourcen anzuerkennen und zu stärken. Schließlich
sind Seen, Flüsse und Grundwasser die unentbehrlichen Quellen
für Nahrung, Gesundheit und Hygiene - und damit auch unabdingbare
Grundlage für Freiheit und für ein Leben in Würde.
Die Existenzrechte zu stärken ist daher zentraler Bestandteil
einer Strategie, die bei begrenzten Ressourcen auf globale Gerechtigkeit
abzielt.
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Fußnoten:
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