"Unser Wasser- Kassel"
Initiative Bürgerbegehren gegen die Privatisierung von Wasser in der Region

HNA 2.8.2006


Debatte um Stadtwerke-Verkauf


Das Ende des Goldesels
Der Verkauf von Strom und Gas auf eigene Rechnung wird für die Stadt zum Risiko


Demonstration und Kundgebung am 12. Juni 2006
eigenes Foto

 

 

 

 

 

Von Jörg Steinbach

 

Kassel. So wie es ist, soll es nicht bleiben. Das gilt für die Beteiligung des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall an der Städtische Werke Aktiengesellschaft. Dem Energiemulti gehören derzeit 24,9 Prozent der Kasseler Stadtwerke.

Kassels Oberbürgermeister Bertram Hilgen und Stadtkämmerer Dr. Jürgen Barthel haben vorgeschlagen, über einen weiteren Verkauf von maximal 74,9 Prozent der Anteile an den Stadtwerken zu diskutieren. Beide SPD-Politiker packen das besonders für Sozialdemokraten heiße Eisen der Privatisierung nicht aus freien Stücken an. Der Grund für den in Kassel hitzig debattierten Vorschlag ist der Wunsch von Vattenfall, die Beteiligung in Kassel neu zu ordnen.

Ein konkretes Ziel gibt es dabei noch nicht, oder es wird bisher noch verschwiegen. Der Weltkonzern gibt sich ganz offen, was die vor wenigen Tagen aufgenommenen Gespräche mit dem Vorstand der Kasseler Stadtwerke und den politisch Verantwortlichen im Rathaus angeht (siehe Bericht unten).

Während Kritiker bereits gegen den Ausverkauf des Eigentums der Bürger mobil machen, sehen Befürworter der weiteren Privatisierung die Chance, einen ordentlichen Batzen zur Schuldentilgung erlösen zu können. Die Stadt Kassel ist völlig verschuldet, steht deshalb unter der Finanzaufsicht des Regierungspräsidenten und muss einen harten Sparkurs fahren. Rechnet man den Fehlbetrag im Verwaltungshaushalt, die Schulden der städtischen Eigenbetriebe sowie im Vermögenshaushalt zusammen, ergibt sich eine Gesamtverschuldung von über 900 Millionen Euro. Sollten die Zinsen steigen, verliert die Stadt auch den letzten verbliebenen finanziellen Spielraum und damit jede politische Gestaltungsmöglichkeit.

Das haben auch die beiden Sozialdemokraten im hauptamtlichen Magistrat erkannt. Für die Denkspiele um einen weiteren Anteilsverkauf gibt es zwei Eckpunkte: Kassel soll eine Sperrminorität von 25,1 Prozent behalten und die Trinkwasserversorgung soll komplett in den Händen der Stadt bleiben. Was die Verhandlungen zusätzlich erschwert, weil sich derzeit bereits ein Viertel der Wasserversorgung in den Händen von Anteilseigner Vattenfall befindet.

Weiterer wichtiger Grund für die Verkaufsdebatte: Die Städtischen Werke dürften als Goldesel ausgedient haben. Das seit Jahrzehnten funktionierende Modell der Stadtwerke als Garant für satte Gewinne zum Ausgleich von Defiziten beim Nahverkehr wird durch geplante Änderungen bei den Netzentgelten bedroht. Dürfen die Werke diese Netzentgelte nicht mehr im bisherigen Umfang an die Kunden weiterreichen, freuen sich die Verbraucher, während die Erträge im gleichen Maße sinken. Werden die von der hessischen Landesregierung und der Bundesnetzagentur anvisierten Kürzungen der Durchleitungsentgelte bei der Strom- und Gasversorgung in die Tat umgesetzt, ist mit einem Gewinneinbruch vom zehn Millionen Euro jährlich bei den Werken zu rechnen. Zudem hat sich in den vergangenen Monaten gezeigt, dass die Werke trotz Einkaufsgemeinschaft mit anderen Versorgern dem Preisdiktat der großen Strom- und Gasversorger hilflos ausgeliefert sind. Der Verkauf von Strom und Gas auf eigene Rechnung wird für Kommunen künftig zum Risiko.


 

Stichwort
Städtische Werke AG Kassel

Die Städtische Werke Aktiengesellschaft besteht seit dem Jahr 1929 und hat derzeit knapp über 900 Mitarbeiter. Die Stadtwerke beliefern annähernd 96 000 Kunden in der Stadt mit Strom, Gas und Fernwärme sowie alle Haushalte im Kasseler Stadtgebiet mit Trinkwasser. Im Auftrag der Stadt werden auch die drei Frei- sowie die drei Hallenbäder Kassels von den Stadtwerken betrieben. Im Jahr 2000 übernahm die Hamburgische Electricitäts-Werke AG (HEW) 24,9 Prozent der Aktien. Durch die Übernahme der HEW landete dieses Aktienpaket bei Vattenfall Europe, einer 100-prozentigen Tochter der schwedischen Vattenfall AB. Im Jahr 2005 lag der Umsatz der Stadtwerke bei 308,5 Mio, der Gewinn bei rund 16 Mio Euro. Davon flossen annähernd 4 Millionen Euro an Vattenfall, an den Kasseler Verkehrs- und Versorgungskonzern wurden knapp zwölf Millionen Euro zur Deckung der Millionenverluste der Kasseler Verkehrsgesellschaft (KVG) weitergereicht. (ach)

Aktienpaket unter Kontrolle

Vattenfall darf das Kasseler Aktienpaket nur mit Zustimmung der Stadt verkaufen. Auch das ist ein Grund für die derzeitigen Verhandlungen. Eine Aufstockung des Anteils wäre für den Energiekonzern durchaus attraktiv, weil er sein Marktgebiet ausweiten . Genauso denkbar ist ein Tausch von Anteilen mit E.ON, was besser in die Gebietskulissen der beiden Großkonzerne passen würde. Die frühere EAM war am Kasseler Markt höchst interessiert, was nach der 73,3-prozentigen Übernahme auch für E.ON gelten dürfte. E.ON liefert schon heute eine großen Anteil des in Kassel verbrauchten Stroms. Wandert das Aktienpaket im Tausch gegen eine andere Beteiligung zu E.ON, wird die Stadt auch dort offene Ohren für ein weitergehendes Verkaufsangebot finden. Für einen Zugriff von über 50 Prozent würden die Konzerne vermutlich tief in die Kriegskasse langen. Richtig Geld könnte die Stadt erlösen, wenn ein noch höherer Anteil verkauft würde. (ach)

 

Stadtparlament trifft die Entscheidung

In Sachen Beteiligung sind jetzt die verschiedensten Varianten in der Diskussion und Verhandlung. Entscheidend dabei ist die Frage, ob sich für ein Verhandlungsergebnis auch eine politische Mehrheit in der Kasseler Stadtverordnetenversammlung findet. Denn das Stadtparlament hat über einen eventuellen weiteren Anteileverkauf zu entscheiden.

Für einen Verkauf eines weiteren Viertels auf dann insgesamt rund 50 Prozent Fremdbeteiligung als Kompromiss scheint eine breite Mehrheit aus den Reihen von SPD, CDU, Bündnisgrünen und FDP denkbar. Auf 74,9 Prozent zu gehen, dürfte vielen Kommunalpolitikern dagegen bereits schwer fallen. Damit die Stadtverordneten auf dem Laufenden bleiben, wurde ein Unterausschuss gegründet, der über alle Details der Verhandlungen informiert wird. (ach)


 

Ganz offen, aber nicht zufrieden
Vattenfall bekundet Interesse an einer stärkeren Beteiligung in Kassel


 

Stichwort
Vattenfall AB Schweden

Vattenfall AB gehört zu 100 Prozent dem schwedischen Staat, ist der größte Stromerzeuger in den nordischen Ländern und das fünftgrößte Energieunternehmen in Europa. Der Konzern produziert, verteilt, handelt und vertreibt Energie an etwa sechs Millionen Kunden. Das Unternehmen ist entlang der gesamten Wertschöpfungskette in der Energiewirtschaft aktiv – von der Braunkohleförderung bis zur Steckdose. Kunden in den Hauptmärkten Schweden, Finnland, Dänemark, Deutschland und Polen sind private Haushalte, Industrieunternehmen, Stadtwerke und Regionalversorger. Die Vattenfall-Gruppe hat rund 32 200 Beschäftigte. Der Umsatz lag 2005 bei 13.7 Milliarden Euro, der Gewinn vor Steuern bei 2,8 Milliarden Euro. (ach)

Kassel / Berlin. „Wir sind ganz offen“, sagt Thomas Lottermann im Berliner Büro der Holding Vattenfall Europe. Für den Energiekonzern sei allerdings klar: Der jetzige Zeitstand mit der 24,9-prozentigen Beteiligung an den Kasseler Stadtwerken gilt als unbefriedigend.

Lottermann, der selbst an den Verhandlungen mit Kassel beteiligt ist: „Entweder man gestaltet eine Beteiligung intensiv, oder man lässt es sein.“ Derzeit könne jedenfalls keiner der beiden Partner richtig zufrieden sein. Deshalb solle die Beteiligung strategisch weiterentwickelt werden. Das habe auch damit zu tun, „dass die Zeiten härter und die Regulatoren stärker werden“.

Als Minimum für eine weitere Beteiligung in Kassel nennt Lottermann über 25 Prozent. Für den schwedischen Konzern sei Kassel („eine Region eher auf Wachstumskurs“) durchaus interessant. Vattenfall wolle weiter wachsen und Kassel sei dabei ein „kleiner, aber wichtiger Baustein in Deutschland“.

Von einer stärkeren Kooperation könnten beide Partner profitieren, sagt Lottermann. Vattenfal gewinne neue Absatzmärkte, die Stadtwerke könnten am Wissen, „wie man gut Strom einkauft“ und der Marktmacht eines starken Partners partizipieren.

Vattenfall würde weiterhin einen fairen Umgang miteinander garantieren und habe auch nicht vor, Arbeitsplätze bei den Kasseler Stadtwerken abzubauen. An der bisherigen guten Partnerschaft werde sich nichts ändern. (ach)


 
Kaum Chancen für kompletten Verkauf

Ein kompletter Verkauf der Stadtwerke ohne die Trinkwasserversorgung wäre für die großen Energiekonzerne ein äußerst interessantes Angebot. Das könnte den Verkaufserlös zu Gunsten des Schuldenabbaus beträchtlich steigern. Der Gesamtwert der Stadtwerke war vor dem Anteileverkauf im Frühjahr auf etwa 250 Millionen Euro taxiert worden. Bei einem 100-prozentigen Verkauf wäre deutlich mehr denkbar. Für den Komplettverkauf spräche neben der Risikominderung auch, dass hinter Vattenfall keine geldgierigen Aktionäre stehen, sondern mit Schweden ein hoch entwickelter Sozialstaat, der zur Verantwortung gegenüber Menschen, Umwelt und Arbeitsplätzen steht. Aber: ein Komplettverkauf wäre derzeit politisch wohl kaum durchsetzbar. (ach)

 

Rückkauf der Aktien von Vattenfall scheidet aus

Das Aktienpaket, das Vattenfall an den Kasseler Stadtwerken hält, hat einen Werkt von schätzungsweise 60 Millionen Euro. Ein Rückkauf dieser Aktien scheidet deshalb faktisch aus. Die Städtische Werke AG hat für einen Rückkauf dieser Größenordnung jedenfalls keine Mittel.

Auch die völlig überschuldete Stadt kann ihrem Unternehmen das Geld für einen Rückkauf der Aktien nicht bereitstellen – der Kasseler Regierungspräsident als Finanzaufsicht würde das verhindern.

Eine Bürgerprivatisierung scheint angesichts dieser immensen Summe ebenfalls illusorisch. Dass Kasseler Bürgerinnen und Bürger 60 Millionen Euro aufbringen, um Aktien der Stadtwerke von Vattenfall zurückzukaufen, ist äußerst unwahrscheinlich. (ach)