"Unser Wasser- Kassel"
Initiative Bürgerbegehren gegen die Privatisierung von Wasser in der Region

HNA 31.8.2006


"Fallen wie Äpfel vom Baum"

Senkung des Netzentgeltes bei Strom und Gas
würde die Stadtwerke an den Rand des Ruins treiben

Von Martina Wewetzer

Demonstration und Kundgebung am 12. Juni 2006
eigenes Foto

 

 

 

 

 

Die Energieversorger haben derzeit keine guten Schlagzeilen: Steigende Preise bei Strom und Gas, zu hohe Netzentgelte, die Matthias Kurth, Chef der Bundesnetzagentur, beschneiden möchte. In der Kritik stehen auch die Stadtwerke. Geht es nach Kurth, sollen sie die Netzgebühren, die ein Drittel des Energiepreises ausmachen, bis 2015 schrittweise senken. Nach Hochrechnungen des Verbandes der Elektrizitätswirtschaft würden sich die Durchleitungskosten dadurch um insgesamt 65 Prozent reduzieren.

Das bliebe bei den Stadtwerken nicht ohne Folgen. Denn den dicksten Posten in ihrer Kalkulation stellen mit rund 40 Prozent die Personalkosten. Es droht: Investitionsstopp, Stellenabbau und Qualitätsverlust.

"Fragwürdiger Wettbewerb"

"Eine Kostensenkung in dieser Größenordnung ist nicht möglich", sagt Karl-Heinz-Schleiter, Geschäftsführer der EGF-Energie-Gesellschaft in Frankenberg. Personal müsste abgebaut werden. Damit rechnet auch Heribert Hausmann, Geschäftsführer der Northeimer Stadtwerke. Käme diese Kostensenkung, würde mit diesem "Prozentsatz der Exitus vorbereitet", ergänzt Birgit Raphael, Sprecherin der Städtischen Werke Kassel.

Deutlicher wird Martin Rühl. "Eine entsprechende Senkung könnte nur durch Entlassung aller Mitarbeiter in Verbindung mit einem Reparaturstopp dargestellt werden", sagt der Geschäftsführer der Stadtwerke Wolfhagen. Einsparungen in der Größenordnung setzen "Ineffizienzen gepaart mit exorbitanten Gewinnen für den Eigner" voraus. "Realistisch erscheinen zehn bis 15 Prozent", ergänzt Wolfgang Grunewald, Betriebsleiter der Stadtwerke Bad Sooden-Allendorf. "Wir haben schon immer mit einer geringen Personaldecke gearbeitet."

Denn die Realität ist eine andere. Beispiel Korbach. "Bereits in den vergangenen Jahren zwangen Rationalisierungen die EWF faktisch zum Einstellungsstopp", sagt Heike Bayerköhler, Sprecherin der Energie Waldeck-Frankenberg GmbH. Nun bestehe der Mitarbeiterstab "fast ausnahmslos aus erfahrenen und langjährig angestellten Mitarbeitern". Für sie gilt quasi Kündigungsschutz. Personalabbau sei auch deshalb nicht möglich, weil die Grundversorgung dann nicht mehr in vollem Umfang gewährleistet werden könne, ergänzt Herbert Höttl, Geschäftsführer der Stadtwerke Bebra. "Einsparpotential liegt nur vor, wenn Aufgaben ausgegliedert werden könnten", sagt Markus Lecke, Geschäftsführer der Stadtwerke Eschwege. Für überlegenswert hält er eine Zusammenarbeit mit anderen Versorgern, um Synergien zu heben. Wie man es auch dreht: Werden die Netzgebühren gesenkt, muss mit Gewinneinbruch gerechnet werden, stellt Reinhold Koch, Geschäftsführer der Stadtwerke Fritzlar fest.

Doch über die Gewinne finanzieren die Stadtwerke in den Kommunen den Nahverkehr oder die Schwimmbäder - dort würde der Rotstift zuerst angesetzt. "Letztlich ist der kommunale Querverbund gefährdet", urteilt Rechtsanwalt Christian Theobald von der Berliner Kanzlei Becker Büttner Held. Die Energiekonzerne schweigen bislang. Theobald: "Sie können die absehbare Durststrecke bei gestiegenen Erzeugerpreisen verkraften, außerdem hofft man darauf, dass als Folge in ein, zwei Jahren viele Stadtwerke wie reife Äpfel vom Baum in ihren Schoß fallen; noch dazu preisgünstig, da deren Ertragswert nach unten reguliert wurde."

Ironie des Schicksals: Der Wettbewerb wäre mangels Akteuren am Ende, meint Theobald. Rühl ergänzt: "Gewachsene Strukturen und Synergien werden hier zum Wohle eines fragwürdigen Wettbewerbs geopfert."


Kommentar

Wahrlich grotesk
Martina Wewetzer zu den Stadtwerken

 
Es ist eine vertrackte Situation: Die Energiepreise müssen fallen, denn weder kann der Verbraucher auf Dauer diese Kosten schultern, noch werden die Unternehmen höhere Belastungen wegstecken, wenn die Produktion jenseits der Grenzen günstier ist.

Erstaunlich ist, dass sich die Diskussion um Energiepreise auf den Nebenschauplatz Netzentgelt verschoben hat – kein Wort seitens der Politik über die hohen Steuern und Abgaben, die mittlerweile 37 Prozent des Preises ausmachen und ab Januar um weitere drei Prozentpunkte Mehrwertsteuer steigen werden. Einzig über die Netzgebühren soll die Wettbewerbsidee zünden, deshalb stehen sie auf dem Prüfstand.

Währen die großen Energieversorger wie E.On, Vattenfall, RWE und EnBW ihre Einbußen beim Netzentgelt über die Erzeugungskosten regulieren können, werden sich die Stadtwerke nach der Decke strecken müssen. Doch es darf nicht passieren, dass sie lediglich auf den Personalabbau und auf die Beschneidung notwendiger Investitionen ausweichen. Das wäre Raubbau an der Versorgungssicherheit.

Doch was bleibt noch, wenn den Stadtwerken die Einnahmequelle Netz beschnitten wird, zumal sie mit diesen Erträgen kommunale Aufgaben mitfinanzieren? Ausfälle in Millionenhöhe bei Städten und Gemeinden. Die kommunale Querfinanzierung wird zum Auslaufmodell.

Denn die Stadtwerke sind nur Verteiler. Ihr Wert steckt im Netz und hängt am Entgelt. Senkt man dieses, wird der Wert der Stadtwerke nach unten reguliert. Irgendwann rechnet sich der Energieverteiler für die Kommune nicht mehr. Bleibt einzig der Verkauf für einen Bruchteil des jetzigen Wertes an einen der großen vier Energieversorger. Das wahrlich Groteske daran: Angetreten war die Politik mit dem Ziel, mehr Wettbewerb zu schaffen. Doch aus Mangel an Akteuren würde dieser dann ausfallen.