aus
dem BBU-Wasser-Rundbrief
Nr. 829 vom 22.Juli 2006
Von der „Modernisierung“ der
Wasserwirtschaft
zur Flurbereinigung der Wasserwerke
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Im
März 2002 hat die Bundesregierung
ihren Bericht zur „Modernisierungsstrategie für
die deutsche Wasserwirtschaft und für ein stärkeres
internationales Engagement der deutschen Wasserwirtschaft“ vorgelegt
(Bundestags-Drucksache 16/1094). Der Bericht geht zurück
auf einen Beschluss des Bundestages (14/7177) vom März 2002
(s. RUNDBR. 637/1-2). Damals hatte die rot-grüne Koalition
die Bundesregierung aufgefordert, in Kooperation mit den Ländern
und den Fachverbänden eine Modernisierungsstrategie für
die deutsche Wasserwirtschaft zu entwerfen.
Weniger
in den beiden BT-Drucksachen, dafür aber um so mehr im medialen Begleitkonzert und in
den Stellungnahmen aus dem Bundeswirtschaftsministerium wurde
als „Modernisierung“ vorwiegend eine Flurbereinigung
in den über 6.000 Wasserversorgungsbetrieben in Deutschland verstanden:
Aus der Vielzahl von Wasserunternehmen sollten sich schlagkräftige
und potente Unternehmen herauskristallisieren, die fähig
wären, auf dem „Weltwassermarkt“ den dort agierenden
Global Players Paroli zu bieten.
Die „Flurbereinigung“ im
Wassersektor scheint jetzt zu kommen - aber anders als zunächst
gedacht. Über die vom Bundeswirtschaftsministerium und von
der Bundesnetzagentur geplanten „Anreizregulierung“ soll
jetzt nämlich die in Stadtwerken und Regiebetrieben organisierte
kommunale Energieversorgung abgewürgt werden. Damit wird
in einem Aufwasch auch gleich die ebenfalls in Stadtwerken und
Regiebetrieben bewerkstelligte kommunale Wasserversorgung der „Konsolidierung“ eingedampft. Über
die voraussichtlich höchst einschneidenden Folgen der „Anreizregulierung“ für
die kommunale Versorgungswirtschaft informieren die nachfolgenden
Notizen.
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„Anreizregulierung“:
Konzentrationswelle erfasst Wasserwerke! |
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Spätestens seit dem das Bundeswirtschaftsministerium im Jahr 2000
zum Blindflug ins aquatische Wunderland des Neoliberalismus angesetzt
hatte (s. RUNDBR. 599), ist es erklärter Wille aller Bundesregierungen
und Bundestagsmehrheiten, eine große Flurbereinigung im Kleinklein
der kommunalen Wasserwerke und Abwasserbetriebe anzureizen. So
richtig erfolgreich war aber keiner der Bundes- und Länderwirtschaftsminister
mit diesem gebetsmühlenartig vorgetragenen Ansinnen. Was man mit
der vermeintlichen „Modernisierung der deutschen Wasserwirtschaft“ auf
dem direkten Weg nicht erreichen konnte, scheint man jetzt auf indirekten
Weg aber um so erfolgreicher bewerkstelligen zu können.
Alles spricht dafür, dass mit der „Anreizregulierung“ der
Bundesnetzagentur die bislang größte Konzentrationswelle
in der deutschen Stadtwerkelandschaft in Gang gesetzt werden
wird. Bei der Deckelung der Netzdurchleitekosten für
Strom und Gas ist von Wasser nie die Rede. Aber wenn die kleinen
und mittleren Stadtwerke durch die ruinöse Politik der
Bundesnetzagentur stranguliert werden, wird auch der Wassersektor
der Stadtwerke der „Konsolidierung“ anheim gegeben.
In der Juliausgabe 2006 der „Zeitung für kommunale
Wirtschaft“ (Zfk, s. 776/4) wird in einer Fülle
von Kommentaren und Artikeln erläutert, wie die Preisvorgaben
(„Anreizregulierung“, siehe Kasten) der Bundesnetzagentur
auf eine Flurbereinigung bislang unbekannten Ausmaßes
in der deutschen Stadtwerkelandschaft hinauslaufen werden
(s. RUNDBRIEF 828/2-3).
Die nachfolgenden Notizen basieren (sofern nicht anders angegeben)
auf den Darstellungen in der Zfk, die dem Verband kommunaler
Unternehmen (VKU) nahe steht. Bemerkenswert ist, dass seitens
der Umweltverbände die Rasenmäherpolitik der Bundesnetzagentur
kommentarlos hingenommen wird. Der mit dem populistischen Schlachtruf
der Wirtschaftsminister nach niedrigeren Strom- und Gastarifen
durchgesetzten „Anreizregulierung“ wird bislang in
der Zivilgesellschaft nur von den Personalräten der Stadtwerke
Widerstand entgegengesetzt.
Wie funktioniert die „Anreizregulierung“?
Die Bundesnetzagentur
(BNA) verpflichtet die Betreiber von Strom- und Gasnetzen
(vom großen Energieversorgungsunternehmen (EVU)
bis zum kleinen Stadtwerk) die Kosten für die
Durchleitung von Strom und Gas zu senken. Hierzu
hat die BNA am 30. Juni 2006 ein Konzept vorgelegt,
das der Bundesregierung als Basis einer entsprechenden
Verordnung dienen soll. Die von der BNA vorgesehene „Anreizregulierung“ soll
ab 2008 zu kontinuierlich sinkenden Durchleitekosten
führen und sich beim Endkunden in niedrigeren
Strom- und Gaspreisen niederschlagen. Bei der künftig
vorgesehen „Anreizregulierung“ deckelt
die Agentur die Durchleitegebühren. Dies soll
für die Unternehmen einen Anreiz setzen, ihre
Netze so effizient wie möglich zu betreiben. Nur
den Unternehmen, denen es gelingt, kostengünstiger
als die gedeckelten Durchleitegebühren zu wirtschaften,
können dann noch eine Rendite im Netzbetrieb erwirtschaften. Die
gedeckelten Durchleitegebühren sollen pro Jahr
um mindestens 1,5 bis zwei Prozent sinken. Damit
soll auf die Unternehmen ein kontinuierlicher Druck
ausgeübt werden, fortlaufend die Effizienz ihres
Netzbetriebes zu steigern. Diese „Spirale
der Effizienzsteigerung“ soll mittelfristig
eine Senkung der Netzentgelte von bis zu 40 Prozent
bewirken. Das Konzept sei ein „Fitness-Programm“ für
die Unternehmen, behauptet BNA-Chef MATTHIAS KURTH
(HB, 03. u. 04.07.06). Bereits vor dem Anlaufen der
Anreizregulierung im Jahr 2008 hat die BNA begonnen,
zahlreiche EVU zu zwingen, ihre Durchleitegebühren
bis zu 15 Prozent zu senken.
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„Anreizregulierung“:
Datenhunger überfordert
kleine Netzbetreiber
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Schon allein mit völlig überzogenen
Daten- und Statistikabfragen gelingt es der Bundesnetzagentur,
die kleinen und mittleren Netzbetreiber an die Wand zu drücken.
So haben in NRW nahezu alle kleinen Netzgenossenschaften bereits
das Handtuch geworfen. Der Aufwand für die Datenabfrage
durch die Regulierungsbehörde war für die ehrenamtlich
geführten Genossenschaften nicht mehr zu bewältigen.
Und selbst mittlere Stadtwerke klagen inzwischen darüber,
dass die Regulierung von den Stadtwerken einen Aufwand verlange,
der kaum zu tragen sei. Beispielsweise sind bei den Stadtwerken
Baden-Baden zwei Mitarbeiter „allein damit beschäftigt,
die Datenanforderungen der Behörden zu erfüllen“.
Im Oktober 2005 hat die Bundesnetzagentur einen „ehrfurchtsgebietenden
Erfassungsbogen“ an die Netzbetreiber geschickt. In
16.000 (!) Eingabefeldern mussten die Netzbetreiber die unsinnigsten
Auskünfte - zurückreichend bis ins Jahr 1945 - übermitteln.
Der Datenhunger der Bundesnetzagentur und der darauf basierende
Regulierungsansatz „sei ohne Bezug zur Realität“ kritisiert
THOMAS MAHLBACHER, Geschäftsführer der Stadtwerke Fellbach,
in einer in der Zfk veröffentlichten Abrechnung mit der
Politik der Bundesnetzagentur.
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„Anreizregulierung“:
Kleine Netzbetreiber werden platt gemacht |
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Bei der Anreizregulierung legt die Bundesnetzagentur
zudem von der kleinen Netzgenossenschaft bis zu den großen
Energieversorgern wie EON und RWE die gleichen Maßstäbe
an. Das kleine Gogomobil und der große Kieslaster werden
von der Bundesnetzagentur über den gleichen Kamm geschoren.
Das Rasenmäherprinzip der Bundesnetzagentur bei der Regulierung
der Netze nimmt den Kleinen die Luft. Angesichts der „massiven
Benachteiligung kleinerer Netzbetreiber“ (VKU) könne
von einer auch nur ansatzweisen Chancengleichheit keine Rede mehr
sein. Der von der Bundesnetzagentur beschworene „Wettbewerb“ wird
damit enden, dass kleine Netzbetreiber trotz aller Innovationen
und Kreativität platt gemacht und aus dem Markt gedrängt
werden.
Profitieren werden damit von der zweiten „Liberalisierungswelle“ die
Gleichen, die bereits ihren Gewinn aus der ersten „Liberalisierungswelle“ gezogen
haben: Nämlich das trotz aller Wettbewerbsideologie gefestigte
Oligopol von REW, EON, VATTENFALL und EnBW sowie vielleicht zwei
Dutzend Regionalversorger und große Stadtwerke. In einer
Polemik zur Rasenmäherpolitik der Bundesnetzagentur schreibt
DIETMAR PAUTZ, Geschäftsführer der Stadtwerke Finsterwalde
GmbH, dass Politik und Regulierer „derzeit nur einen
Kundentyp“ berücksichtigen würden - „den
Schnäppchenjäger“. Und weiter: „Die einseitige
Ausrichtung auf den niedrigsten Preismaßstab“ lasse
aber „eine Nivellierung aller Unternehmen auf Billig-Niveau
befürchten“. Die gegenüber allen Einwändungen
offenbar ignorante Bundesnetzagentur sei darauf aus, die Stadtwerke
einer rigorosen „Hungerkur“ zu unterziehen,
so die Klage von MICHAEL WÜBBELS, stv. Hauptgeschäftsführer
des VKU in einem bitteren Leitkommentar in der ZfK.
Um dem Kostendruck und den Effizienzvorgaben der
Netzagentur einigermaßen standhalten zu können, sehen
sich die Stadtwerke inzwischen gezwungen, einen radikalen Rationalisierungskurs
auf Kosten der Beschäftigen zu fahren, was auch der Geschäftsführer
der Stadtwerke Fellbach beklagt:
„Gerade die kleineren
Stadtwerke sind fast traditionell effizienter als die großen
EVU. knapper Personaleinsatz und flache Hierachien bestimmen
das Bild. Zusätzliche Effizienzsteigerungen bedeuten
dann zu Lasten der viel beschworenen Versorgungssicherheit
und des Kundendienstes zusätzlichen Personalabbau.“
Allmählich dämmert auch den Personalräten
der Stadtwerke, was da an Rationalisierungsdruck auf sie zukommt.
Wenn alle Effizienzpotenziale aufgebraucht sind, bleibt das Personal
noch „die einzige Stellschraube, um Kosten zu reduzieren“,
wird der Personalrat der Stadtwerke Hanau in der FR vom 12.07.06
zitiert. Die Personalräte der südhessischen Stadtwerke
und Energieversorger hatten deshalb für den 12. Juli zu
einer Demo in Frankfurt/Main gegen die Politik der Bundesnetzagentur
und den Populismus der Länderwirtschaftsminister aufgerufen.
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„Anreizregulierung“:
Kommunales Vermögen wird entwertet |
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Hinzu
kommt, dass die von der Bundsnetzagentur angestrebte Wertberichtigung
der Netze nicht nur zu unmittelbaren
Erlöseinbußen bei den Stadtwerken, „sondern
auch zu einer Entwertung kommunalen Eigentums im großen Stil“ (VKU)
führen wird. Da die Netze der Stadtwerke im Hinblick auf die „Anreizregulierung“ der
Bundesnetzagentur in vielen Fällen nicht mehr wirtschaftlich
zu betreiben sind, müssen sie weit unter Wert verkauft werden,
befürchtet MAHLBACHER, der hierzu weiter ausführt:
„Da die Netze der
Stadtwerke aber mit hohem Aufwand von den Kommunen errichtet
oder gekauft wurden, bedeutet dies den erheblichen wenn
nicht völligen Wertverfall des Netzeigentums.“
Dies
werde „unmittelbare Auswirkungen
auf den kommunalen Haushalt“ haben. Sarkastisch beendet
MAHLBACHER seinen Zfk-Kommentar mit folgendem Ausblick:
„Wenn
erst einmal ein Teil der Stadtwerke vom Markt verschwunden
ist, wenn
die Netze zusammengespart wurden und sich unsere Netz-Ausfallraten
dem internationalen Durchschnitt anpassen, dann will es
keiner gewesen sein. Die Parlamentarier nicht und die Netzagenturen
erst recht nicht. Die wollten ja immer nur unser Bestes.“
Ein
Wirkmechanismus der ruinösen Politik
der Bundesnetzagentur funktioniert auch dadurch, dass mit diesem
Abwürgkurs zusätzlich die Bonität der Stadtwerke
gegenüber den Banken drastisch reduziert wird. Wenn
die Ratingeinstufungen der Stadtwerke zurückgesetzt werden,
müssen die Banken nach den Rahmenbedingungen von „Basel
II“ bei der Kreditvergabe die sinkende Bonität mit
höheren Kreditzinsen ausgleichen. („Basel II“ bewirkt,
dass die Eigenkapitalunterlegung bei der Kreditvergabe durch
Banken nach der Ausfallwahrscheinlichkeit eines Kredits differenziert
werden muss.) Über diesen negativen „Rückkopplungsprozess“ werden
die Überlebenschancen der kleinen und mittleren Stadtwerke
noch weiter nach unten gedrückt.
Wie Stadtwerke ruiniert werden
Die
Politik der Bundesnetzagentur läuft
darauf hinaus, die Netzbetreiber zu zwingen, alles Effizienzreserven
in nur sechs bis acht Jahren auszuschöpfen. Das
ist nach Ansicht des VKU nicht möglich.
„Schließlich
haben wir es mit einer anlagenintensiven Branche
zu tun, und
diese technischen Anlagen haben eine durchschnittliche
Lebensdauer von 30 Jahren und mehr.“
Zudem sieht das Konzept der Bundesnetzagentur
vor, dass Effizienzvorgaben auch auf bereits getätigte
Investitionen gemacht werden sollen. Netzbetreiber
werden dadurch gezwungen, einen Teil ihrer Netze sofort
abzuschreiben. Auf diese Weise würde „unter
dem Deckmantel der Anreizregulierung kommunales Vermögen
in Millionenhöhe vernichtet“, warnt der
VKU. Um die Daumenschrauben gegenüber den Netzbetreibern
weiter anzuziehen, ist die BNA auch nicht bereit, kalkulatorische
Kosten, wie z.B. die Gewerbesteuer, in voller Höhe
anzuerkennen.
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„Anreizregulierung“:
Öffentlicher Nahverkehr auf das
Abstellgleis |
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Ein „Nebeneffekt“ der „Anreizregulierung“ wird
nicht nur eine Konzentrationswelle bei Stadt- und Wasserwerken
sein, sondern auch eine drastische Angebotsminderung beim Öffentlichen
Nahverkehr. Denn die bislang überwiegend aus dem Netzbetrieb
resultierenden Gewinne der Stadtwerke und Regiebetriebe wandern über
den „Querverbund“ größtenteils in den chronisch
defizitären Nahverkehr. Schätzungen des Deutschen Städtetages
zufolge werden jährlich etwa eine Milliarde Euro aus den bislang
gewinnträchtigen Strom- und Gasnetzen in den Betrieb der Straßenbahnen
und Busse transferiert (HB, 04.07.06). Die auf kaltem Weg über
die „Anreizregulierung“ erzwungenen Einschnitte beim Öffentlichen
Nahverkehr werden sich auf die Takteinschränkungen und die
Streichung ganzer Linien aufsatteln, die sich jetzt daraus ergeben,
weil die Bundesregierung ihre Zuschüsse für den Öffentlichen
Nahverkehr drastisch gekürzt hat.
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„Anreizregulierung“:
„ Spiel mit dem Feuer“ |
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Unter dieser Überschrift haben 26 Bürgermeister
und Oberbürgermeister parteiübergreifend eine ganzseitige
Anzeige im HANDELSBLATT (HB) vom 03.07.06 geschaltet. In der
Anzeige warnen die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister,
dass die „Anreizregulierung“ die „Existenz
vieler der rund 700 kommunalen Unternehmen der Energiebranche
und ihrer 140.000 Beschäftigten gefährden“ wird.
Bei der Umsetzung der „Anreizregulierung“ könnten
bis zu 70.000 Arbeitsplätze in der kommunalen Versorgungswirtschaft
wegbrechen. Und zum Strukturwandel, der durch die „Anreizregulierung“ erzwungen
wird, schreiben die Bürgermeister:
„Eine kundennahe
und kommunalorientierte Energieversorgung wird unter diesem
Zeit- und Kostendruck vielerorts nicht mehr möglich
sein. Netze müssten verkauft werden. Im Ergebnis würden
die großen Monopole gestärkt.“
Darüber hinaus sei fraglich, ob es dann „eine
kommunale Versorgungswirtschaft in der breiten Fläche
künftig überhaupt noch geben wird“. Wegen
der als höchst bedrohlich erachteten Entwicklung haben
sich in den letzten Wochen praktisch alle Stadtwerke an die
jeweiligen Wahlkreisabgeordneten der Koalitionsfraktionen
gewandt und die MdBs zu Gesprächen über die dramatischen
Folgen der „Anreizregulierung“ eingeladen. Der
Ak Kommunalpolitik der SPD-Bundestagsfraktion hat den SPD-Parlamentariern
empfohlen, diesen Einladungen noch in der Sommerpause zu
folgen.
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