"Unser Wasser- Kassel"
Initiative Bürgerbegehren gegen die Privatisierung von Wasser in der Region

HNA 24.3.2006

„Wasser geht alle an”
Experte schlägt demokratische Kontrolle der Trinkwasserversorgung vor

Von Jürgen Scholle

 

Wasser kommt aus der Leitung - und die ist in neun von zehn Städten und Gemeinden in öffentlicher Hand. Doch die Privatisierungswelle hat längst die kommunale Wasserversorgung erfasst. In Zeiten knapper Kassen wittern klamme Kommunen hier das große Geld. Ein Trugschluss, meint Alexis Passadakis. Wir haben mit dem Experten für Trinkwasser-Privatisierung gesprochen.

Was hat die Privatisierung von Trinkwasser in Deutschland und Europa bisher gebracht?

Passadakis: Es gibt da einen Trend: Dort, wo privatisiert wurde, steigen die Preise. Das hat damit zu tun, dass private Unternehmen natürlich profitorientiert arbeiten und ihren Aktionären gegenüber Rendite erzielen müssen. Das führt zu einem Preistreiben. In Berlin zum Beispiel durften die Preise nach einer Teilprivatisierung erstmal nicht steigen. Danach begann aber der Preisanstieg rapide. Die Situation ist überall ähnlich. Mir ist keine Privatisierung beim Trinkwasser bekannt, weder in Deutschland noch international, bei der die Preise gesunken wären.

Darf das Allgemeingut Wasser ohne weiteres privatisiert werden, oder gibt es da ethische Grenzen?

Passadakis: Wasser ist eine öffentliche Dienstleistung, an die man besondere wirtschaftliche, soziale und demokratische Ansprüche stellen muss. Bei einer Privatisierung werden sie unter dem Renditezwang massiv zurückgedrängt. Harry Roels, der Vorstandsvorsitzende des größten deutschen Wasserunternehmens RWE, erwartet nach eigenen Angaben zwölf bis 16 Prozent Rendite. So viel lässt sich im Wasserbereich höchstens dann erzielen, wenn man spart: beim Personal und beim Umweltschutz. Das haben wir in Berlin so erlebt. Doch wer gutes, sauberes Wasser haben will, braucht genügend Leute, die sich drum kümmern. Sonst läuft es nicht.

Wasser ist das am besten kontrollierte Lebensmittel. Können sich hier private Betreiber Pfusch überhaupt leisten?

Passadakis: Das passiert ja nicht von einem Tag auf den anderen, sondern schleichend. Eine privatisierte Wasserversorgung gibt es in Deutschland erst seit rund zehn Jahren. In dieser Zeit musste ich aber feststellen, dass die Unternehmen die rechtlichen Grenzen stärker ausreizen. Wenn Unfälle passieren, weisen sie die Schuld von sich.

Wir leben in einer Marktwirtschaft. Warum sollte beim Trinkwasser kein Wettbewerb erlaubt sein?

Passadakis: Privatisierung heißt nicht mehr Wettbewerb! Wenn ich einen Schokoriegel essen will, kann ich mich zwischen verschiedenen Sorten entscheiden. Im Gegensatz dazu habe ich nur eine Wasserleitung. Will ich den Anbieter wechseln, muss ich umziehen. Das Unternehmen hat also in seinem Gebiet das Monopol. Ein Mix, ähnlich wie im Strommarkt, ist nicht geplant. Das wäre gesundheitlich auch höchst bedenklich und würde gar nicht funktionieren - Wasser ist ein sensibles Gut. Außerdem sind die Vertragslaufzeiten mit 25 bis dreißig Jahren relativ lang, sodass es auch in der Hinsicht keinen Wettbewerb gibt.

Was sollte die Politik tun, um eine hochwertige und bezahlbare Wasserversorgung zu garantieren?

Passadakis: Fast alle Parteien sind mittlerweile auf den Liberalisierungszug aufgesprungen. Ich bin der Meinung, es wird Zeit, dass man ihn stoppt. Es gab in Deutschland in den letzten Jahren 24 Volksbegehren gegen Wasserprivatisierung, die alle von den Gegnern gewonnen wurden. Die Politik sollte sich also Alternativen zur Öffnung des Wassermarktes überlegen. Andererseits ist auch das bisherige öffentliche Modell den veränderten Anforderungen nicht mehr gewachsen. Da besteht Reformbedarf. Wasserversorgung geht alle an. Warum lässt man nicht den Vorstand des öffentlichen Versorgers demokratisch wählen - von allen Bürgern einer Gemeinde? Auch sollten die Wasserpreise gestaffelt werden. Es darf nicht sein, dass hier Familien mit Kindern immer stärker zur Kasse gebeten werden, Großunternehmen dagegen immer weniger.

In den Kassen von Städten und Gemeinden herrscht Ebbe. Der Verkauf der Wasserversorgung könnte wieder Geld hineinspülen.

Passadakis: Kurzfristig lässt sich damit sicher Geld verdienen, langfristig zahlen die Kommunen drauf. Nochmal das Beispiel Berlin: Da gibt die Stadt den beiden privaten Wasserversorgern eine Renditegarantie von acht Prozent. Das heißt, wenn die beteiligten Firmen RWE und Violia beim Wasserverkauf nicht mindestens diesen Gewinn machen, muss die Stadt für den Rest aufkommen. Man darf auch nicht vergessen, dass gerade der Wasserbereich die Kassen der Kommunen immer gefüllt hat, um damit andere Bereiche zu finanzieren. Nach einer Privatisierung steigen in der Regel die Wasserpreise, sodass auch noch die Verbraucher geschröpft werden.

An Wassermangel sterben täglich tausende Menschen, besonders in Entwicklungsländern. Könnten da nicht Private investieren, damit wieder Wasser aus dem Hahn läuft?

Passadakis: Die Sache hat einen Haken: In Entwicklungsländern steigen private Versorger nur in den Städten ins Wassergeschäft ein. Dort gibt es bereits ein ordentliches Leitungsnetz und ausreichend gutes Wasser. Probleme bestehen vor allem auf dem Land und in den Slums der Großstädte. Dort ist die Infrastruktur sehr marode, deshalb sterben viele Menschen. Aber gerade hier investieren die Privaten nicht, weil es überhaupt nicht lukrativ für sie wäre. Das Kapital, das sie in die Länder mitbringen, fließt nur zu einem ganz geringen Teil in echte Entwicklungshilfe.


Zur Person

Alexis Passadakis (29) hat Politikwissenschaft studiert. Er arbeitet als Experte für Welthandel und Investitionen bei der Nicht-Regierungsorganisation WEED (Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung e.V.) in Berlin.