HNA 24.5.2006
Hilgen
lässt den Verkauf
weiterer Anteile an den Städtischen Werken prüfen
Wer
kriegt die Mehrheit?
Uli
Hagemeier und Jörg Steinbach
|
|
Kassel. Ein
Brief aus Schweden hat im Kasseler Rathaus dafür gesorgt,
bisher Undenkbares zu denken. Es geht um den weit gehenden Verkauf
der Städtische Werke AG. Oberbürgermeister Bertram
Hilgen (SPD) und Kämmerer Dr. Jürgen Barthel (SPD)
prüfen, ob ein Verkauf von 49,9 oder gar 74,9 Prozent der
Aktien möglich und sinnvoll ist.
Der
schwedische Energiekonzern Vattenfall hat mitgeteilt, dass man
mit der Stadt beratschlagen möchte, was mit dem 24,9-prozentigen
Anteil der Stadtwerke geschehen könne, den die Schweden
halten. Der Energiemulti hat die Beteiligung von der Hamburgischen
Electricitäts-Werke AG (HEW) übernommen, die mittlerweile
zu Vattenfall gehört. Möglicherweise möchte sich
Vattenfall von der Minderheitsbeteiligung trennen, die nicht
mehr so recht ins strategische Unternehmenskonzept passt. Eine
solche Verkaufsabsicht sei aber noch nicht beschlossen, sagte
ein Unternehmenssprecher gegenüber der HNA. Deshalb könnte
es auch sein, dass die Schweden an einer stärkeren Beteiligung
Interesse haben. Vattenfall kann die Aktien zudem nur mit Zustimmung
der Stadt weiterverkaufen.
Das
Aktienpaket mit einem Wert von schätzungsweise 60 Millionen
Euro zurückzukaufen, ist für Kassel eine eher theoretische Überlegung
- der Stadt fehlt dafür das Geld. Mit dem Verkauf eines
größeren Pakets hat die Stadt freilich viel Geld eingenommen,
um Schulden zu tilgen. Der Gesamtwert der Stadtwerke war vor
dem Anteileverkauf an HEW im Frühjahr 2000 auf 250 Millionen
Euro taxiert worden.
Zu
möglichen Erlösen sagen Hilgen und Barthel nichts.
Für die beiden stehen aber die Eckpunkte der Denkspiele
fest: Kassel wird eine Sperrminorität von 25,1 Prozent behalten,
das Trinkwassergeschäft bleibt in den Händen der Stadt.
Und: "Die Interessen der Arbeitnehmer spielen eine wichtige
Rolle", sagte Hilgen. Kassel könne sich nicht leisten,
Arbeitsplätze zu verlieren. Ein Käufer müsste
eine Standortgarantie und die weit gehende Sicherung von Arbeitsplätzen
akzeptieren.
Bei
den Überlegungen spielt auch eine Rolle, dass es für
die Stadtwerke künftig schwieriger wird, Millionengewinne
einzufahren. Bereits in diesem Jahr dürften die enormen
Preissteigerungen bei Strom und Gas die Bilanz verschlechtern.
Und wenn die Netzentgelte wie geplant sänken, würden
auch die Gewinne deutlich geschmälert.
Werke-Vorstandschef
Andreas Helbig lehnte gestern eine Stellungnahme ab. Eine klare
Position gibt es auch von der E.on-Mitte AG nicht, deren Vorläufer
EAM in der Vergangenheit Anteile an den Städtischen Werken
kaufen wollte. Aber: "An unserem grundsätzlichen Interesse
an sinnvollen Partnerschaften hat sich nichts geändert",
sagte E.on-Sprecherin Birgit Lohuis.
Ein
wichtiger Hintergrund der gestern begonnenen Verkaufsdebatte
ist das Auslaufen zweier Verträge: Der Konsolidierungsvertrag,
in dem die Gewinnabführung der Städtischen Werke an
Verlustbringer wie das kommunale Verkehrsunternehmen KVG geregelt
ist, läuft nur noch bis zum Jahresende und muss neu ausgehandelt
werden.
Auch
der so genannte Unternehmenssicherungsvertrag mit der Arbeitnehmerseite
verliert am 31. Dezember 2006 seine Gültigkeit. In diesem
Vertrag ist unter anderem festgelegt, dass nur 24,9 Prozent der
Anteile am Energieversorger ohne Zustimmung des Betriebsrates
verkauft werden dürfen. 49,9 Prozent dürfen verkauft
werden, wenn der Betriebsrat zustimmt. Über eine Fortsetzung
dieses Vertrages müsse zwar gesprochen werden, sagte Stadtkämmerer
Dr. Jürgen Barthel, der Vertrag entfalte aber "keine
Rechtsbindung über den 31.12. hinaus".
|
Denken erlaubt
Kommentar
von Jörg Steinbach
|
|
Mut gehört dazu, wenn sich gerade der sozialdemokratische Oberbürgermeister
und sein Parteikollege Stadtkämmerer an ein solch heikles Thema wagen.
Das Tafelsilber der Stadt zu verscherbeln, gibt nicht nur vielen Genossen
als Sündenfall, gibt doch die Kommune damit Einfluss und Gewinnmöglichkeiten
an private Investoren ab.
Es gibt aber gute Gründe, bei der Frage des weiteren Verkaufs von
Aktienanteilen der Stadtwerke von den bisherigen Denkverboten abzuweichen.
Denn die fette Milchkuh für sichere Millionengewinne könnte angesichts
der Entwicklung bei den Netzentgelten und der Explosion der Energiekosten
schnell zum gerupften Huhn mutieren. Da wäre es nicht falsch, einen
starken Partner im Energiemarkt an der Seite zu haben.
Jedes Jahr zahlt die Stadt 25 Millionen Euro Schuldzinsen - ohne
Tilgung und bei historisch niedrigen Zinssätzen. Jetzt darf gerechnet
werden: Gewinnt die Stadt, wenn sie mit dem Verkaufserlös Schulden
tilgt und wieder handlungsfähig werden kann? Oder verliert sie durch
einen Verkauf auf lange Sicht Geld? Allein davon und nicht mehr von
Denkverboten muss die Entscheidung der Stadtverordneten abhängen.
|
Stellungnahmen
der Rathausparteien |
SPD:
|
|
|
Erst
prüfen,
dann entscheiden
Die stellvertretende
Fraktionsvorsitzende der Kasseler Sozialdemikraten, Gabriele
Jakat, hat sich skeptisch gegenüber einem Verkauf der Städtischen
Werke geäußert. Zwar gebe es dazu noch keine Position der Kasseler
SPD. Sie persönlich sei grundsätzlich gegen den Verkauf öffentlicher
Einrichtungen, wenn dies nicht zwingend nötig sei. Nun müsse
die Fraktion das Thema diskutieren und die Fakten prüfen. Vor-
und Nachteile eines Verkaufs müssten auch mit Blick auf die hohe
Kasseler Verschuldung abgewogen werden. (TPA)
|
CDU
|
|
|
will
konkrete Zahlen sehen
"Wir
stehem dem offen gegenüber", sagt CDU-Fraktionschefin Eva Kühne-Hörmann
zu den Gedankenspielen des Magistrats. Allerdings müssten die
Ideen jetzt erst einmal konkret verhandelt werden. "Wir wollen
Zahlen sehen." Denn erst dann, wenn klar sei, was für die Stadt
Kassel bei einem Verkauf als Erlös herauskomme, könne in der
Stadtverordnetenversammlung entschieden werden. Derzeit habe
man nichts in der Hand, um konkret diskutieren zu können. Wichtig
sei zudem, ein Gesamtkonzept zu entwickeln. (ACH)
|
Grüne
|
|
|
sind
grundsätzlich skeptisch
"grundsätzlich
skeptisch" sehen die Bündnisgrünen einen weiteren Verkauf
von Anteilen der Städtische Werke AG. "Wir wollen uns nicht an
einem Monopoly-Spiel beteiligen", sagt Fraktionschefin Karin
Müller. Am Nachdenken wollen sich die Grünen beteiligen. "Wir
sagen nicht Hurra, aber auch nicht grundsätzlich Nein". Die Grünen
wollen zum Beispiel auch über die Möglichkeit diskutieren, Aktien
der Stadtwerke den Bürgern der Stadt zum Kauf anzubieten, um
die Idee der Bürgerkommune weiter voranzubringen. (ACH) |
|
|
|
strikt
gegen weiteren Verkauf
Die
Fraktion Kasseler Linke.ASG ist definitiv gegen einen Verkauf
weiterer Aktienanteile der Stadtwerke. Und ein denkbarer Verkauf
an E.on gilt den Linken "als Sündenfall", so Kai Boeddinghaus.
Denn dann säße der Energiemulti als Lieferant und Anteilseigner
auf beiden Seiten des Tisches - zulasten der Kunden und Bürger
der Stadt, so die Befürchtung. Die Linken wollen eine kreative
Suche starten nach Möglichkeiten, das derzeit von Vattenfall
gehaltene Aktienpaket in die Stadt zurückzuholen, kündigt Kai
Boeddinghaus an. (ACH) |
|
|
|
Müssen
raus aus den Schulden
Die
Rathausfraktion der Kasseler Liberalen sieht den Vorstoß des
Oberbürgermeisters zu einem möglichen Verkauf Werkeverkauf als
wichtiges Signal, dass die dringend nötige Entschuldung der Stadt
endlich angegangen wird. Der FDP-Fraktionsvorsitzende
Frank Oberbrunner lobt den Schritt Hilgens als einen "Vorstoß
in eine Tabuzone", wie ihn die FDP seit Jahren fordere. Ein Verkauf
müsse ungeachtet der zu erwartenden Auseinandersetzungen mit
Augenmaß angegangen werden. Oberbrunner: "Wir müssen raus aus den
Schulden." (TPA)
|
|
|
|
will
Arbeitsplätze erhalten
Die
Freien Wähler wollen sich die Möglichkeiten ansehen und in Ruhe
diskutieren, so Bernd W. Häfner. Am wichtigsten sei: "Es
dürfen keine Arbeitsplätze verloren gehen". Im plötzlichen
Sinneswandel der beiden hauptamtlichen SPD-Magistratsmitglieder sieht
Häfner einen Skandal: "Die haben die Wähler angelogen bis zum Umfallen."
Für die Diskussion müssten jetzt Fakten auf den Tisch und Zeit zum
Nachdenken eingeräumt werden. Eine Entscheidung in Sachen Aktienpaket
sei " nicht eilbedürftig", so Häfner. (ACH)
|
Kampfansage
vom Betriebsrat
Arbeitnehmervertreter
wurden vom möglichen Verkauf der Städtischen-Werke-Mehrheit überrascht
Jörg Steinbach und Uli Hagemeier |
|
Kassel. "Jetzt bin ich baff, das erstaunt mich wirklich" -
das war die erste Reaktion von Klaus Horn, Betriebsratsvorsitzender
der Städtischen Werke, als er hörte, dass die Stadt Kassel
darüber nachdenkt, bis zu 74,9 Prozent des Energieversorgers
zu verkaufen. Und der zweite Satz Horns: "Der Betriebsrat steht
solchen Verkaufsverhandlungen kritisch ablehnend gegenüber".
Damit die Arbeitnehmervertreter einem Verkauf überhaupt zustimmen
könnten, müsse eine Arbeitsplatzsicherung für die
960 Beschäftigten ebenso festgeschrieben werden wie die Sicherung
des Standortes Kassel. Da das Thema für den Betriebsrat völlig
neu sei, müsse man sich allerdings jetzt erst intensiv mit dem
Sachverhalt beschäftigen.
Ablehnend
ist auch die Haltung von Manfred Eckhardt, Gewerkschaftssekretär
bei Ver.di: "Einen Verkauf von mehr als 49,9 Prozent werden
wir mit Sicherheit nicht mittragen - und selbst das nur an einen
Partner, der den Erhalt der Arbeitsplätze zusichert." Gemeinsam
mit dem Betriebsrat werde man "alles in Bewegung setzen, um
die Stellen zu halten".
Das ist auch
Oberbürgermeister Bertram Hilgen wichtig: "Wenn
es tatsächlich zu einem Verkauf von weiteren Anteilen kommen
sollte, werden wir den Käufer nicht nach den größtmöglichen
Verkaufserlösen aussuchen, sondern auch auf Zusagen bei Standortsicherung
und Beschäftigungssicherung schauen", sagt der SPD-Politiker
und Aufsichtsratschef der Städtischen Werke AG.
Ein möglicher Millionenerlös aus dem Verkauf von bis zu
74,9 Prozent des Versorgungsunternehmens werde zur Entschuldung der
Stadt eingesetzt, die mit weit über 400 Millionen Euro in der
Kreide steht, so Hilgen. Es werde aber nur verkauft, wenn die Entlastung
bei den Zinszahlungen höher sei als die Gewinne, die die Städtischen
Werke jedes Jahr abführen, um Verluste anderer kommunaler
Unternehmen auszugleichen. Im Jahr 2004 gingen beispielsweise
13,5 Millionen
Euro an die Kasseler Verkehrsgesellschaft (KVG).
Gewinne der
Städtischen Werke
1997 |
13,0
Millionen Euro |
1998 |
15,0
Millionen Euro |
1999 |
15,7
Millionen Euro |
2000 |
15,7
Millionen Euro |
2001 |
16,4
Millionen Euro |
2002 |
17,0
Millionen Euro |
2003 |
17,4
Millionen Euro |
2004 |
18,0
Millionen Euro |
Ein Viertel der Gewinne wird seit dem Jahr 2000 an den Anteilseigner
Vattenfall abgeführt, der Rest wird verwendet, um Verluste anderer
kommunaler Unternehmen zumindest teilweise auszugleichen.
|
Gefahr
der "Abzocke"
Professor
Dr. Hanz-Gottfried Nutzinger zum Firmenverkauf
Jörg
Steinbach |
|
Kassel.
Der Vorteil eines weiteren Verkaufs von Aktien der Städtischen
Werke
AG liegt auf der Hand: " Die Stadt erhält Geld, um ihren finanziellen
Spielraum zu vergrößern, der nicht so gewaltig ist", sagt Hans-Gottfried
Nutzinger. Er ist Professor an der Universität Kassel und beschäftigt
sich im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften mit der Theorie
öffentlicher und privater Unternehmen. Der Nachteil eines weit
gehenden Verkaufs
der Wekre: " Die Stadt verzichtet damit auf künftige Erträge."
Früher galt
für Privatisierungen meist, dass ein Investor weit mehr zahlte,
als eine Kommune aus dem Unternehmen ziehen konnte. Doch das
spiele heute kien Rolle mehr. Denn die öffentlichen Unternehmen
seien inzwischen sehr viel effizienter geworden. Weil es kaum
noch unnötige Kosten oder zu viel Personal gebe, könne ein Käufer
in dieser Hinsicht kaum mehr seine Investitionen wieder hereinspielen.
"Jeder Investor will aber immer sein Geld wiedersehen", stellt
Nutzinger klar.
Hier sieht
der Professor eine neue Gefahr bei der Veränderung von öffentlichen
hin zu privaten Unternehmen. Denn wenn für den Investor auf der
Kostenseite nichts mehr zu holen ist, bleibe nur noch die Ertragsseite,
um mehr Geld zu sehen. Wenn für eine Beteiligung viel Geld bezahlt
worden sei, bestehe die Gefahr, dass der Investor eine "aggressive
Preispolitik" betreibe, um auf seine Kosten zu kommen. Dann müssten
die Kunden höhere Preise bezahlen. Da würde selbst eine der Stadt
verbleibende Sperrminorität nicht mehr helfen - "die Kommune
könnte nichts mehr machen".
Um eine solche
"mal unwissenschaftlich gesagt Abzocke beim Bürger" zu verhindern,
sei bei einem Verkauf von öffentlichen Unternehmen wine Absicherung
in dieser Hinsicht wichtig. Überzogene Preissteigerungen müssten
vertraglich wirksam verhindert werden, gibt Nutzinger zu bedenken.
|
HNA 25.5.2006
Helbig
fordert Garantie
Stadtwerke-Chef
will Arbeitsplätze
sichern
|
|
Kassel.
Andreas Helbig, Vorstandschef der Kasseler Verkehrs- und Versorgungs-GmbH
(KVV),
bedauert die Absicht des Anteilseigners
Vattenfall, "die
gut funktionierende Partnerschaft zwischen dem Konzern und der Städtische
Werke AG zu überdenken oder zu beenden". Vattenfall hatte
die Stadt zu Gesprächen über den 24,9-Prozent-Anteil an
den Städtischen Werken aufgefordert, im Rathaus gibt es Überlegungen,
weitere Anteile an dem kommunalen Energieversorger zu verkaufen.
Als Eigentümer der Städtischen Werke gehe die KVV davon
aus, dass partnerschaftliche Gespräche zwischen Vattenfall,
Vertretern der Stadt und der Städtischen Werke über die
Zukunft des Unternehmens geführt werden. "Es gilt, die
Arbeitsplätze in Kassel zu halten", heißt es in einer
Pressemitteilung Helbigs, dafür werde der Vorstand kämpfen.
Der stellvertretende
CDU-Fraktionsvorsitzende Dr. Norbert Wett hat ein "tragfähiges Gesamtkonzept" gefordert, das eine
Standortgarantie und eine Arbeitsplatzsicherung beinhaltet. Ein Verkauf
habe nur Sinn, wenn der Saldo der Zins-Einsparungen gegenüber
den Gewinnen der Werke positiv ausfalle. Außerdem müsse
sich ein Verkauf positiv auf die Schuldenentwicklung der Stadt
auswirken. (nix/hai)
|
|