"Unser Wasser- Kassel"
Initiative Bürgerbegehren gegen die Privatisierung von Wasser in der Region

HNA 10.11..2006


"Selbstmord aus Angst vor dem Tod"

Gutachter Professor Dr. Heinz Josef Bontrup warnt vor
weiterem Verkauf von Anteilen der Städtische Werke AG

von Jörg Steinbach

 

Kassel. Ein Verkauf der Kasseler Stadtwerke "rechnet sich finanzwirtschaftlich überhaupt nicht". Zu diesem Schluss kommt Professor Dr. Heinz Josef Bontrup. Er lehrt Wirtschaftswissenschaften an der Fachhochschule Gelsenkirchen und hat im Auftrag der Gewerkschaft Ver.di Nordhessen in einem Gutachten untersucht, ob ein weiterer Verkauf von Anteilen der Städtische Werke Aktiengesellschaft Vor- oder Nachteile für die Stadt Kassel bringen würde.

Nach den Berechnungen des Wirtschaftswissenschaftlers, der sich selbst bei der Vorstellung des Gutachtens als "neutrale Person" bezeichnete ("Es geht um Objektivität und um nichts anderes"), gibt es nur Nachteile. Bontrup berechnete den Unternehmenswert der Stadtwerke mit rund 150 Millionen Euro und setzte diesen mit einem erzielbaren Verkaufserlös gleich. Weil ein Viertel der Stadtwerke bereits dem Energiemulti Vattenfall gehört, würden davon gerade mal etwa 112 Millionen Euro in der Stadtkasse landen. Angesichts von über einer Milliarde Schulden der Stadt sei der Verkaufserlös zur Schuldentilgung nur ein Tropfen auf den heißen Stein. "Die Stadt", so Bontrup, "hat dann immer noch 900 Millionen Euro Schulden."

Mit einem Verkauf würde die Stadt zudem auf künftige Gewinne der Stadtwerke verzichten. Die sind laut Gutachter auch zukünftig in Höhe von zwölf Millionen Euro jährlich zu erwarten. Denn unabhängig von der geplanten Absenkung der Netzentgelte "werden mit Netzen immer Gewinne gemacht", so Bontrup: "Ein massiver Gewinneinbruch ist nicht zu befürchten."

Ein Verkauf hätte darüber hinaus regionalwirtschaftliche und soziale Folgeschäden, gibt der Hochschullehrer zu bedenken. Von den rund 900 Arbeitsplätzen bei den Stadtwerken würden bei einem Komplettverkauf schätzungsweise 330 abgebaut. Durch einen neuen, privaten Eigentümer würden zudem vermutlich Investitionen in der Region entfallen. Hinzuzurechnen seien als indirekte Folge Kaufkraftverluste. Alles in allem würden der Region jährlich etwa 180 Millionen Euro verloren gehen. Vor diesem Hintergrund sei es bereits ein Fehler gewesen, 24,9 Prozent der Stadtwerke zu verkaufen. Dieser Anteil ist inzwischen durch Übernahmen bei Vattenfall gelandet. Durch die Liberalisierung der Energiemärkte seit 1998, bei der "die Politik jämmerlich versagt" habe, sei es zu "irrationalen ökonomischen Handlungen" gekommen. "Aus Angst vor dem Tod", so Bontrup, "begingen einige Stadtwerke schon kurz nach 1998 Selbstmord, ließen sich aufkaufen." Dafür gebe es keinen Grund, weil die Profitabilität in keiner Weise verloren gehe.

Ver.di, der Betriebsrat der Stadtwerke und weitere Kritiker des Verkaufs sehen sich durch das Gutachten bestätigt. Die Stadtwerke dürften nicht weiter privatisiert werden, weil die Stadt, die Beschäftigten der Werke und die Region damit zu eindeutigen Verlierern würden.