"Unser Wasser- Kassel"
Initiative Bürgerbegehren gegen die Privatisierung von Wasser in der Region

Nordhessische Neue Zeitung November 2006


Zukunft der Städtischen Werke

„Privatisiert: Ruiniert!“
Gewerkschaften und Betriebsrat sind gegen Verkauf

Gespräch

 

 

 

 

 

 

 

 

Kassel - Um einen Ausweg aus der schwierigen Finanzlage zu finden, denken viele Kämmerer daran, das kommunale Eigentum ihrer Stadt zu veräußern. In Kassel hat sich jetzt ein Bündnis gegen Privatisierung gegründet, das sich vehement gegen diese Bestrebungen zur Wehr setzt. Über die Beweggründe und Ziele des Bündnisses sprach Jörg-Peter Bayer mit der DGB-Regionsvorsitzenden Katharina Seewald und dem Betriebsratsvorsitzenden der Städtischen Werke AG, Klaus Horn.

 

„Privatisiert! – Ruiniert!“ ist das Motto ihres Bündnisses. Was sind die Schwerpunkte seiner Arbeit?

Katharina Seewald: Schwerpunkt unserer Arbeit ist im Moment die Auseinandersetzung um die Veräußerung weiterer Anteile an den Städtischen Werken. Aber wir befürchten genauso einen wachsenden Privatisierungsdruck auf die Beschäftigten beim Klinikum Kassel und im Bildungsbereich.

Die Pläne des Anteilsverkaufs der Städtischen Werke werden konkreter. Wie beurteilen Sie die derzeitige Situation?

Klaus Horn: Die Verkaufsüberlegungen wurden schon zum dritten Mal angestellt. Erstmalig 1993, weil die Stadt Geld brauchte. Nach der Fusion mit der EAM kam es 2001 zum Verkauf von 24,9 Prozent der Anteile an die Hamburger Elektrizitätswerke (HEW), einem kommunalen Unternehmen, das wiederum von Vattenfall übernommen wurde. Im Moment werden drei mögliche Alternativen diskutiert: Entweder sollen ihre derzeitigen Anteile als Tauschobjekt gegen Vermögenswerte, etwa Kraftwerksbeteiligungen, eingetauscht werden oder es soll die Mehrheit an den Städtischen Werken erlangt werden, um mehr Einfluss auf das Unternehmen ausüben zu können. Als dritte Alternative ist die Veräußerung der Anteile zu einem höchstmöglichen Preis angedacht. Wir als Arbeitnehmer möchten die Städtischen Werke als Ganzes erhalten. Die Städtischen Werke sind gut aufgestellt und ein erfolgreiches Unternehmen.

Seewald: Die Städtischen Werke sind eine der lukrativen Einnahmequellen der Stadt, deshalb würde sie sich auch selber bei einem Verkauf schaden. Darüber hinaus ist zu befürchten, dass Leistungsstandards abgesenkt werden.

Der SPD-Unterbezirksvorsitzende Bernd Hoppe hat eine kommunale Zusammenarbeit mit anderen Versorgern ins Gespräch gebracht. Eine gute Idee?

Horn: Wir können über alles reden, aber dazu müssen die Vorschläge konkretisiert werden. Mit der HEW hatten wir ja einen kommunalen Anteilseigner, der kurze Zeit später durch einen privaten aufgekauft wurde. Auch die Erfahrungen in Kiel mit Arbeitsplatzverlusten sind wenig überzeugend. Wir arbeiten bereits mit vielen kleinen Gemeinden zusammen, wie Calden und Vellmar - das läuft sehr positiv. Außerdem sehe ich im Umkreis von 150 Kilometern keinen Wasserversorger, der sich realistisch gesehen an den Städtischen Werken beteiligen würde und uns helfen könnte.

Was hat das Bündnis noch vor?

Seewald: Präsent waren wir ja schon vor den zwei Stadtverordnetenversammlungen, wo wir jeweils Kundgebungen veranstaltet haben. Und da werden wir nicht locker lassen. Wir fordern die Stadtverordneten auf, dem Bieterverfahren auf keinen Fall zuzustimmen. Und wir werden sehr genau hinschauen, wer dafür und wer dagegen ist.

Horn: Am 13. November wird es zunächst eine Konzernbetriebsversammlung geben. Anschließend werden wir in einem Demo-Zug? vom Betriebshof in der Sandershäuser Straße bis vor´s Rathaus ziehen. Dort werden wir laut unsere Meinung zu den Verkaufsplänen sagen!

Und wenn die Stadtverordneten trotzdem zustimmen ...

Seewald: ...dann wird es die Stadt rund 300.000 Euro kosten!

Horn: Die Erfahrungen in anderen Ländern, etwa mit der Stromversorgung in den USA oder der Bahn in Großbritannien, zeigen die Konsequenzen von Privatisierung sehr deutlich. Gewinne werden privatisiert und Verluste kommunalisiert.


Interview
„Mein größter politischer Fehler"

 

Der Rechtsanwalt Hans-Werner Tovar (SPD) hat im Jahr 2001 dem Verkauf von 51 Prozent der Anteile an den Kieler Stadtwerken zugestimmt. Heute bereut er seine Entscheidung. Der Nordhessischen sagte er, warum.

Welche Gründe haben Sie und ihre Fraktion im Jahr 2001 dazu veranlasst, einen Käufer für die Kieler Stadtwerke zu suchen?

Hans-Werner Tovar: Kiel war seinerzeit mit rund 750 Millionen D-Mark verschuldet. Der Reinerlös von 450 Millionen für die Veräußerung von 51 Prozent der Aktien der Stadtwerke Kiel reduzierte den Schuldendienst erheblich. Allein aufgrund der Zinseinsparungen ergaben sich jährliche Entlasungseffekte von etwa 15 Millionen Mark.
Zudem hatte ein Gutachten einer renommierten Beratungsgesellschaft ergeben, dass die Liberalisierung des Strommarktes die Gewinnmarge der Kieler Stadtwerke einbrechen lassen würde und die Werke deshalb einen starken Partner bräuchten. Wie wir heute wissen, war diese Prognose vom „großen Stadtwerke Sterben” ein großer Irrtum.

Hat es im Zuge der Verkaufsverhand¬lungen Widerstand in der Bevölkerung gegen einen Verkauf gegeben?

Erstaunlicherweise gab es keinen nennenswerten Widerstand. Innerhalb meiner Partei, der SPD, gab es allerdings Widerstände, die jedoch auf einem Kreisparteitag mit großer Mehrheit überstimmt wurden. Selbst der Betriebsrat der Städtischen Werke stimmte der Veräußerung zu.

Was würden Sie auf Grund ihrer Erfahrungen heute anders machen?

Ich betrachte meinen damaligen Einsatz in Partei und Ratsversammlung für den Anteilsverkauf als meinen größten politischen Fehler meiner 20-jährigen Mit¬gliedschaft in der Kieler Ratsversammlung. Die Gutachtenprognose bewahrheitete sich nicht. Die Werke hätten die Probleme der Liberalisierung auch aus eigener Kraft bewältigen können. Tafelsilber kann man nur einmal verkaufen. Im Gegenzug verzichtet man jedoch dauerhaft auf die politische Einflussnahme auf ein städtisches Unternehmen, das der Daseinsvorsorge dient.
Der Entschuldungserfolg hat sich in Kiel ohnehin relativiert, da das jährliche Defizit der Landeshauptstadt trotz alledem auf mittlerweile rund 30 Millionen Euro angewachsen ist. Ich würde heute, statt Anteile zu verkaufen, auf eine effektivere Arbeit in den Aufsichtsgremien drängen.

Welche Ratschläge oder Empfehlungen würden Sie heute ihren Kollegen in anderen deutschen Städten geben, die vor einer ähnlich schwierigen Entscheidung stehen?

Ich kann nur dringend empfehlen, jedem Gutachter und jedem Investment-Banker mit großer Skepsis gegenüberzutreten. Was Dritte können, kann die öffentliche Hand auch. Man muss es nur anpacken.

Interview: Jörg-Peter Bayer

 


Wem sollen die Städtische Werke Kassel gehören?

Sollen weitere Anteile der Städtischen Werke verkauft werden? Im Rathaus wird seit einiger Zeit über den Verkauf weiterer Anteile der Städtischen Werke kontrovers diskutiert. Stadtkämmerer Dr. Jürgen Barthel will mindestens 25,1 Prozent der Anteile halten - ist also offen für einen weiteren Verkauf von Anteilen. Bündnis 90/Die Grünen denken hingegen laut über den Rückkauf der 24,9 Prozent nach, die derzeit dem Energiekonzern Vattenfall gehören.

Dr. Jürgen Barthel (SPD),
Kämmerer der Stadt Kassel

 

 

 

Die in der Einleitung aufgestellte These trifft den Sachstand nur unvollständig. Richtig ist, dass Vattenfall Europe der Stadt Kassel mitgeteilt hat, über einen Verkauf der von diesem Konzern gehaltenen 24,9 Prozent der Anteile an der Städtische Werke AG nachzudenken. Dieses an die Stadt Kassel herangetragene Vorhaben möchten wir im Interesse der Sicherung der Arbeitsplätze und einer auf guter wirtschaftlicher Basis stehenden Energieversorgung begleiten. Deshalb diskutiert derzeit eine Arbeitsgruppe der Stadtverordnetenversammlung darüber, wie die Stadt den von Vattenfall angestoßenen Prozess zur Zukunftssicherung nutzbar machen kann.

Wenn bereits jetzt behauptet wird, die Stadt Kassel wolle weitere Anteile veräußern, ist dies falsch und wird den laufenden Überlegungen nicht gerecht. Die Stadt muss sich strategisch positionieren, wenn der Mitaktionär über die Veräußerung seiner Anteile nachdenkt. Trotz Aktienmehrheit kann es der Stadt nicht egal sein, wer Aktien an einem seiner bedeutendsten Unternehmen hält. Wir wollen einen Partner haben, der konstruktiv und vorwärts gerichtet die Unternehmensführung unterstützt und die Belange der Bevölkerung sowie die Arbeitsmarktlage in Kassel positiv berücksichtigt.

Die Suche nach diesem strategischem Partner muss deshalb ein zentrales Anliegen aller Kasseler Bürgerinnen und Bürger sein. Das Gebot ist, die Verschuldensfalle zu stoppen und Generationengerechtigkeit auszuüben. Die Schulden der Stadt zu reduzieren ist ein Ziel und Kriterium des Entscheidungsprozesses. Im Sinne einer zukunftsgerichteten Strategie muss der Anstoß von Vattenfall Europe genutzt werden, unsere Städtischen Werke für die Zukunft sicher und nutzbringend für alle Bürger der Stadt Kassel zu positionieren.

Der jetzt von Vattenfall Europe angestoßene Prozess muss strategisch genutzt werden, um auch über die städtischen Anteile nachzudenken. Klar ist bereits jetzt, dass die Stadt in jedem Fall mindestens 25,1 Prozent der Aktien behalten und die Wasserversorgung als wichtiger Bestandteil der kommunalen Daseinsvorsorge nicht veräußert wird. Ich bin mir sicher, dass die Stadtverordnetenversammlung ihrer Verantwortung für die jetzige und für die künftigen Generationen gerecht werden wird.


 

Wolfgang Friedrich (Bündnis 90/Die Grünen),
Stadtverordneter

 

 

 


Das Ansinnen, weitere Anteile der Städtischen Werke zu verkaufen, hat einen schönen Titel: „Strukturiertes Bieterverfahren” steht auf der Verpackung. Das klingt seriös und ergebnisoffen. „Immer alles im Griff, jederzeit beendbar” lautet die Botschaft. Zweifel sind angebracht. Sie gelten einmal dem Verfahren: Wird man die Geister, die man rief, wirklich wieder los? Kann man jederzeit „nein danke” sagen? Die Zweifel gelten aber vor allem den Gründen für dieses Verkaufspaket. Diese Gründe halten einer kritischen Überprüfung nicht stand.

Statt eines weiteren Verkaufes sollte der Rückkauf des Vattenfallanteiles von 24,9 Prozent geprüft werden. Die Städtischen Werke sind ein gesundes Unternehmen. In den vergangenen fünf Jahren lag das Jahresergebnis immer deutlich über 16 Millionen Euro. Das muss nicht so bleiben. Risiken bestehen ohne Zweifel. Die aktuelle Debatte um die Netzentgelte zeigt dies deutlich. Aber bei allen Risiken im Strom- und Gasmarkt, für eine Substanzgefährdung besteht nun wirklich kein Anlass. Auch wenn die Netzentgelte gesenkt werden müssten, Geld wird damit auch zukünftig verdient werden. Sonst hätte diese Republik über Nacht eine andere Wirtschaftsordnung bekommen.

Ein Verkauf bringt keine nachhaltige Entlastung des Kasseler Haushaltes. Der Kämmerer könnte zwar einmalig einen beachtlichen Verkaufserlös verbuchen. Es fehlte aber künftig die jährliche Dividende ebenso wie die Verlustabdeckung für die Kasseler Verkehrsgesellschaft (KVG), die durch den steuerlichen Querverbund im KVV-Konzerns möglich ist. Diese Vorteile sind weit größer als mögliche Zinseinsparungen aus einem Verkaufserlös. Auch wenn der Regierungspräsident die Prüfung des Verkaufes städtischen Eigentums verlangt hat - wirtschaftlich unsinniges Handeln kann er nicht verlangen. Schon diese nüchterne fiskalische Betrachtung zeigt, dass ein weiterer Anteilsverkauf sich finanziell nicht rechnet. Darüber hinaus liefe ein Verkauf faktisch auf die Zerschlagung des städtischen KVV-Konzernes hinaus, würde mit erheblichen Arbeitsplatzverlusten verbunden sein und eine eigenständige Energiepolitik unmöglich machen. Die Verkaufsentscheidung von Vattenfall darf die Stadtpolitik nicht in die falsche Richtung treiben.