"Unser Wasser- Kassel"
Initiative Bürgerbegehren gegen die Privatisierung von Wasser in der Region

taz 5.10.2006


CDU-Minister: Enteignet Eon!

Vorbild sind die USA. Dort wurden bereits Stromkonzerne durch den
Druck des Kartellrechts zum Verkauf von Kraftwerken gebracht

VON TARIK AHMIA

Die vier großen Stromkonzerne
 
Bruttostromerzeugung in Mrd. kWh in Deutschland 2005
Anteil in Deutschland
RWE
183
30 %
Eon
128
21 %
Vattenfall
82
13 %
EnBW
74
12 %


Summe der vier Konzerne


468

76 %
Deutschland gesamt
619
100 %

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sechs Tage vor dem Energiegipfel der Bundesregierung fährt das Land Hessen schwere Geschütze gegen die Herrscher auf dem deutschen Strommarkt auf. Eon, RWE, Vattenfall und EnBW könnten zum Verkauf von Kraftwerken an kleinere Konkurrenten gezwungen werden, um für mehr Wettbewerb auf dem verkrusteten Strommarkt zu sorgen. "Notfalls muss der Staat das Oligopol zerschlagen", sagte der hessische Wirtschaftsminister Alois Riehl (CDU) gestern, als er in Berlin Hessens Initiative für mehr Wettbewerb auf dem deutschen Strommarkt vorstellte.

Acht Jahre nach der formellen Liberalisierung in Deutschland funktioniert der Wettbewerb auf dem deutschen Strommarkt noch immer nicht.

Nur noch vier Konzerne halten fast 80 Prozent der deutschen Stromerzeugung in ihrer Hand. Ihre Marktmacht nutzen die großen vier, um konkurrierende Anbieter klein- und die Strompreise dauerhaft hochzuhalten. Nirgendwo in Europa ist Strom heute so teuer wie in Deutschland. Die Verbraucherpreise haben sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt. Die vier großen profitieren glänzend von der gescheiterten Marktöffnung. Allein Branchenprimus Eon machte als weltweit größter privater Energiekonzern im Jahr 2005 7,3 Milliarden Euro Gewinn vor Steuern.

Weil auch in Zukunft nicht damit zu rechnen ist, dass die Stromkonzerne freiwillig von ihrer Macht etwas abgeben, will Riehl den Wettbewerb nun erzwingen. Riehls Ziel: "Wir wollen die Ausbeutung der Energieverbraucher unterbinden."

Erreichen will Riehl das durch eine Verschärfung des deutschen Kartellrechts. Die Gesetzesänderung soll dem Staat bei marktbeherrschenden Unternehmen die Möglichkeit geben, eine Änderung der Besitzverhältnisse zu erzwingen. "Wir wollen für die Wettbewerbspolitik ein scharfes Schwert schmieden", sagte Riehl. Einen Antrag für eine entsprechende Bundesratsinitiative werde Hessen bei der nächsten Konferenz der Wirtschaftsminister der Länder am 7. Dezember einbringen.

"Die Strompreise sind nicht so, wie sie im richtigen Wettbewerb wären", sagt Christian von Hirschhausen, Professor für Energiewirtschaft und Public Sector Management an der TU Dresden. Er begrüßt die geplante Verschärfung des Kartellrechts. "Die Verringerung der Marktmacht ist ein geeignetes Mittel um den Wettbewerb zu fördern", sagte Hirschhausen der taz. "Sie ist auch mit dem europäischen Wettbewerbsrecht vereinbar." Wenn man ordnungspolitische Grundsätze ernst nehme, dann sei so ein Vorgehen legitim, denn es steigere die Wohlfahrt der ganzen Gesellschaft.

Auch der Vorsitzende der Monopolkommission, Jürgen Basedow, hält die Entflechtung wettbewerbspolitisch für richtig, weil die strukturelle Veränderung den Wettbewerb auf dem Strommarkt fördere. Allerdings warnt Basedow vor den rechtlichen Risiken, die vom Zwangsverkauf von Kraftwerken ausgeht. Eine Enteignung werfe zahlreiche rechtliche Probleme bei der Durchführung und Entschädigung auf. "Das ist sehr schwierig zu verwirklichen." Da seien Gerichtsverfahren durch den Eingriff in das Eigentumsrecht der Unternehmen vorprogrammiert.

Diese oligopolistische Marktsituation, sagt Basedow, sei erst im Lauf der letzten Jahre mit Unterstützung der früheren Bundesregierungen verstärkt und zementiert worden. Die Anzahl der großen Energieversorger auf dem deutschen Markt sei von neun in den 90er-Jahren auf heute vier gesunken. "Jetzt muss man zu schärferen Geschützen greifen".

Basedow setzt dabei auf Europa. "Wir sollten die Vielfalt der Anbieter auf dem EU-Markt nutzen". Dazu müssten Kapazitäten der Koppelstellen zwischen den nationalen Stromnetzen ausgebaut werden, denn diese stellen einen Flaschenhals beim Stromimport dar. "Das wirft weniger rechtliche Probleme auf und erhöht die Absatzmöglichkeiten für andere Anbieter."

Grundlage für die glänzenden Erträge der deutschen Stromkonzerne ist auch, dass die großen vier nicht nur im Besitz der meisten Kraftwerke sind, sondern dass sie auch über die Stromnetze herrschen. 24 von 25 europäischen Strommarkt-Regulierern haben sich deshalb für die eigentumsrechtliche Trennung von Stromerzeugung und -transport ausgesprochen. Schon heute ist nach Angaben der EU-Kommission in jedem zweiten EU-Land der Besitz des Stromnetzes von dem der Kraftwerke getrennt. In Österreich, England und Skandinavien regeln staatliche Behörden das Stromnetz. Die Österreicher zahlen heute 15 bis 20 Prozent weniger für Strom als die Deutschen. Auch im Mutterland der Marktwirschaft, den USA, wurden in der Vergangenheit Konzerne mit Anreizen oder durch den Druck des Kartellrechtes erfolgreich zum Verkauf von Unternehmensteilen gebracht. So hat die Zerschlagung des Telefonriesen AT&T in den 80er-Jahren den US-Telefonmarkt beflügelt.


 

Interview

"Das ist eigentlich eine Riesensauerei"

Solange es in Deutschland nicht mehr Akteure auf dem Strommarkt gibt,
funktioniert der Markt nicht, meint Energiefachmann Uwe Leprich

 

 

taz: Der hessische Wirtschaftsminister Riehl will die großen Stromkonzerne zum Verkauf von Kraftwerken zwingen, um mehr Wettbewerb sicherzustellen. Was halten Sie davon?

Uwe Leprich: Das ist exakt die richtige Idee. In Deutschland haben wir vermachtete Märkte bei der Stromerzeugung und beim Gasimport. Solange wir dort nicht mehr Akteure haben, funktioniert der Wettbewerb nicht. Der Vorstoß zielt zu 100 Prozent auf den richtigen Punkt.

Seit 1998 sind die Märkte formal liberalisiert. Warum sind die Preise heute höher, herrscht heute trotzdem kaum Wettbewerb auf den Energiemärkten?

Das liegt daran, dass es in Deutschland immer ein starkes Bestreben gab, die Liberalisierung nicht umzusetzen - stärker als in anderen europäischen Ländern. Im Gegensatz zu diesen hat man mit der Liberalisierung in Deutschland zum Beispiel darauf verzichtet, eine Regulierungsbehörde für die Netze zu installieren. Es zeigt sich auch daran, dass man die Fusionen sehr wohlwollend begleitet hat, bis hin zum größten ordnungspolitischen Sündenfall, die Fusion Eon und Ruhrgas zu genehmigen. Bei dieser Fusion ist man dann aufgewacht: das Bundeskartellamt und die Monopolkommission haben vernichtende Urteile geschrieben. Dennoch hat die damalige Bundesregierung die Fusion genehmigt.

Was sind die größten wettbewerbshinderlichen Defizite für den deutschen Strommarkt?

Der größte Fehler der Strommarktliberalisierung war, die Übertragungsnetze - also die Hauptschlagader des gesamten Stromsystems - in den Händen der großen Stromerzeuger zu belassen. Damit überließ man diese strategisch wichtigen Hebel den marktbeherrschenden Unternehmen. Diese haben ein Interesse daran, Kraftwerke von Dritten möglichst nicht in das Netz reinzulassen. Dieses Netz muss neutralisiert werden - und das wird man nur schaffen durch eine eigentumsrechtliche Entflechtung. Es muss von den vier Großen verkauft werden.

Reicht das schon für einen tatsächlichen Stromwettbewerb?

Nein, wir haben nicht genug Akteure bei der Stromerzeugung. Vier Oligopolisten stellen mehr als 80 Prozent der Stromerzeugung bereit. Solange dort keine neuen Akteure reinkommen, kann von Wettbewerb keine Rede sein. Vor diesem Hintergrund kann der Vorstoß von Herrn Riehl, die bestehende Marktmacht von Eon, RWE und Co. zu reduzieren, gar nicht positiv genug eingeschätzt werden.

Was bedeuten diese oligopolistischen Strukturen für die Konsumenten?

Wir haben mit die höchsten Netzentgelte europaweit und damit verbunden auch die höchsten Energiepreise sowohl bei Strom als auch bei Gas, für kleine wie auch für große Kunden. Das ist im Bereich Netz ein Fehler. Hier ist die Bundesnetzagentur gefordert, Versäumnisse zu korrigieren. Für die Stromerzeugung gilt: Die Börsenpreisbildung für den Strompreis an der Leipziger Energiebörse ist eigentlich in Ordnung. Es ist nur nicht o.k., dass zum Zeitpunkt der Gründung der Börse im Jahr 2000 schon viele Kraftwerke durch unsere Strompreise der letzten 30 Jahre bereits vollständig bezahlt waren. Die Kraftwerke bezahlen wir jetzt über die Börsenpreise noch einmal. Das ist eigentlich eine Riesensauerei. Das sind riesige unerwartete Profite, die gemacht werden, die müsste man abschöpfen von staatlicher Seite. Der zweite Fehler: Die CO2-Zertifikate werden eingepreist in den Strompreis. Das ist gut so, damit CO2 endlich einen Preis hat, nur darf man die Zertifikate nicht kostenlos abgeben, sie müssten auktioniert werden. So entstehen erneut Profite in Milliardenhöhe, die vorzugsweise im Ausland investiert werden und der deutschen Volkswirtschaft erhebliche Nachfrageausfälle bescheren.

Gibt es in Europa ein Land, das man als beispielhaft bezeichnen könnte?

In Großbritannien ist man sehr weit und hat ein ausgeklügeltes, intelligentes Regulierungskonzept. Dort wurde der Besitz des Stromnetzes von den Energiekonzernen getrennt. Die britische Regulierungsbehörde Ofgem funktioniert gut, kontrolliert überzeugend die Netze. Von 1995 bis 2005 sind die Netzentgelte in Großbritannien etwa halbiert worden. Gleichzeitig bietet man auch Raum für innovative Netzbetreiber, die ihr Netz möglichst dezentral optimieren wollen. Das ist ziemlich vorbildlich.

INTERVIEW: TARIK AHMIA


UWE LEPRICH ist Professor und Vize des Instituts für ZukunftsEnergieSysteme der HTW Saarland