KASSEL. Vor
wenigen Tagen bekamen etliche Politiker in der Region unliebsame
Post. Auch Dr. Udo Schlitzberger (SPD), Landrat des Landkreises
Kassel. Die Staatsanwaltschaft informierte am 20. September,
dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde.
Der Tatvorwurf
wiegt schwer: Vorteilsnahme im Amt und Untreue.
Es geht um
eine Reise nach Venedig im Jahr 2001, zu der die damalige Elektrizitäts Aktiengesellschaft Mitteldeutschland (EAM)
eingeladen hatte. Dort sollten sich die Aufsichtsratsmitglieder
der EAM eine
Trockenstabilatanlage ansehen. Das tat man auch - eineinhalb
Stunden lang. Die Reise, bei der die Politiker von den Ehefrauen
begleitet
wurden, dauerte drei Tage.
Gestern nun war dieser Ausflug in die Lagunenstadt Thema im
Kasseler Landratsamt. Denn wir wollten wissen: Was taten Schlitzberger
und Kollegen wirklich in Venedig? Wer war mit? Wer zahlte für
die Frauen? Wie sah das Kulturprogramm aus?
Erklärung
nach Stunden
Nach einigen
Stunden hatte sich der Landrat zu einer Erklärung
durchgerungen. Es habe Fachgespräche in Italien gegeben und
einen Empfang im Rathaus. Der letzte Satz der Stellungnahme: "Landrat
Dr. Schlitzberger geht davon aus, dass die Organisation und die Abrechnung
der Informationsreise vom einladenden Vorstand der EAM ordnungsgemäß nach
Recht und Gesetz abgewickelt wurden."
Von den betroffenen
Politikern, die gestern zu erreichen waren, gaben sich auch andere
wortkarg. Dieter Brosey (SPD),
ehemaliger
Landrat
des Werra-Meißner-Kreises, bestätigte seine
Teilnahme an der Reise, wollte aber keine weitere Stellungnahme
abgeben.
"Keine
Lustreise"
Der frühere Landrat des Schwalm-Eder-Kreises, Jürgen Hasheider,
sagte, es habe sich keineswegs um eine Lustreise gehandelt. Als kommunale
Aktionäre und Aufsichtsratsmitglieder der EAM habe man seinerzeit
Interesse bekundet, sich die Trockenstabilatsanlage der Firma Herhof-Umwelttechnik
im venezianischen Vorort Fusina anzuschauen. Hintergrund seien die
Pläne der inzwischen Pleite gegangenen Firma
Herhof gewesen, auch im Kreis Hersfeld-Rotenburg
eine solche Anlage
zu bauen.
Laut Hasheider standen neben der Besichtigung des
Werkes Gespräche
mit Kommunalpolitikern und Firmen auf dem Programm – unter
anderem auch während eines mehrstündigen Besuchs von Venedig.
Hasheider betonte, dass die Ehefrauen ihren Anteil an den Reisekosten
selbst getragen hätten.
"Keine
Kenntnis"
Der ehemalige
Göttinger Landrat Heinrich Rehbein (SPD) wollte
die Ermittlungen gegen ihn nicht kommentieren. Offiziell habe er
von dem Verfahren noch keine Kenntnis, sagte er. Auch der ehemalige
Northeimer Oberkreisdirektor Ralf-Reiner Wiese, der Ende März
2001 sein Amt niedergelegt hat, aber noch bis zum Jahresende 2001
im Aufsichtsrat des Energieversorgers saß,
war zu einer Stellungnahme nicht bereit.
Der Ende
Oktober aus dem Amt scheidende Göttinger Oberbürgermeister
Jürgen Danielowski (CDU) hat sich in einer kurzen Erklärung
der Darstellung des Wetzlarer Landrats Karl Ihmels angeschlossen,
dass es bei der Reise um die Besichtigung einer Trockenstabilatsanlage
in der Nähe von Venedig gegangen sei. Es sei für ihn selbstverständlich
gewesen, sich kundig zu machen, in welche Umwelttechnik die EAM sich
finanziell so stark engagiere. Das touristische Programm am zweiten
Tag der Reise sei nach seiner Erinnerung nicht aufwändig
gewesen.
Der Oberbürgermeister, der bis zu seinem Amtsantritt im Jahr
2000 Oberstaatsanwalt im thüringischen Mühlhausen war,
räumte aber ein, dass man die Teilnahme daran aus heutiger Sicht
problematisieren könne. (tho/wet/kle/ows)