"Unser Wasser- Kassel"
Initiative Bürgerbegehren gegen die Privatisierung von Wasser in der Region

HNA 27.8.2007


Hilgen ohne Mehrheit

Bieterverfahren für eventuellen weiteren
Stadtwerke-Verkauf stößt auf Ablehnung

Von Jörg Steinbach

 

 

 

 

 

 

 

Kassel. Ein Bieterverfahren für einen eventuellen weiteren Verkauf der Kasseler Stadtwerke wird es nicht geben. In der jüngsten Sitzung des Stadtverordneten-Ausschusses für Finanzen, Wirtschaft und Grundsatzfragen fand das Ansinnen des Oberbürgermeisters keine Mehrheit.

Damit ist abzusehen, dass der umstrittene Antrag auch in der nächsten Stadtverordnetensitzung am 3. September durchfällt. Der Vorschlag von Oberbürgermeister Bertram Hilgen und Stadtkämmerer Dr. Jürgen Barthel (beide SPD) zielt darauf, mit einem europaweiten Bieterverfahren Aufschluss darüber zu bekommen, ob es Interessenten gibt, die weitere Anteile der Städtische Werke AG übernehmen wollen. Dabei geht es nicht nur darum, einen starken Partner im Energiemarkt zu finden, sondern auch mit einem möglichst hohen Verkaufserlös einen Beitrag zur Tilgung der hohen Schulden der Stadt zu leisten und gleichzeitig Zusagen für die Sicherung der Arbeitsplätze bei den Stadtwerken zu bekommen.

Hilgen machte in der Ausschusssitzung erneut eindringlich deutlich, dass die Stadtwerke den dramatischen Veränderungen auf dem Energiemarkt zum Opfer fallen könnten, wenn nicht schnell gegengesteuert werde. "Das Risiko, dass wir die Stadtwerke nicht mehr wirtschaftlich führen können, ist gestiegen", so der OB. Es sei "unverzichtbar, zu prüfen, ob wir durch die Hereinnahme eines starken Partners die Marktsituation verbessern können". Das sei keine vorweggenommene Entscheidung für einen Verkauf, betonte Hilgen. Doch "erst wenn Zahlen auf dem Tisch sind, kann seriös entschieden werden".

Auch Stadtkämmerer Barthel mahnte: "Wir brauchen diese Untersuchung." Die Stadtverordneten und der Magistrat hätten die Aufgabe, "vorausschauend zu handeln und das Vermögen der Stadt nicht zu schmälern".

Doch das Bieterverfahren wollen nur die Fraktionen von SPD und FDP mittragen. CDU, Bündnisgrüne, Linke.ASG und FWG wollen den Antrag ablehnen. Oberbürgermeister Hilgen bat die Nein-Sager darum, ihre Entscheidung bis zum 3. September zu überdenken. Wenn nichts getan werde und es mit den Stadtwerken bergab gehe, "liegt die Verantwortung bei den Stadtverordneten, die eine Prüfung nicht wollten".

 

 


Hintergrund

Durch die Kürzung der Netzentgelte werden die Stadtwerke etwa fünf Millionen jährlich weniger Ertrag haben - dann wäre ein Drittel des Gewinns weg. Dazu kommt, dass Politiker und Verbraucherschützer Strom- und Gaskunden auffordern, zum günstigsten Anbieter zu wechseln, um den Markt zu beleben und überhöhte Preise zu kippen.

E.ON hat bereits angekündigt, die Kasseler Stadtwerketarife regelmäßig zu unterbieten, um im Wettbewerb neue Kunden zu gewinnen. Zudem sind immer weniger Kunden bereit, über die Strom- und Gaspreise die KVG-Verluste auszugleichen. (ach)

 


Das sagt die SPD

 

Es geht um Zukunft

"Wir führen keine Verkaufsdebatte, sondern eine Diskussion um die Zukunft der Stadt und der Stadtwerke", so SPD-Fraktionschef Uwe Frankenberger. Es sei höchst verwerflich von den Gegnern des Bieterverfahrens, mit den Ängsten der Beschäftigten zu spielen und populistisch zu agieren.
Man müsse sich in guten Zeiten Gedanken um die Zukunft machen. "Wer Angst vor dem Ergebnis dieses Prüfungsauftrages hat, der traut dem Unternehmen nicht viel zu", so Frankenberger. Er kritisiert "Realitätsverweigerung": "Da will sich ein Teil der Stadtverordnetenversammlung vor der Verantwortung drücken." (ach)

Das sagt die CDU

 

Strikt gegen Verkauf

"Mit uns wird es keinen Verkauf der Werke geben", sagt CDU-Fraktionschefin Eva Kühne-Hörmann. Das von Oberbürgermeister und Kämmerer angestrebte Bieterverfahren ziele ganz klar auf einen Verkauf, aber die Stadtwerke seien ein "gesundes Unternehmen, das man nicht verkauft".
Die Stadt stünde heute besser da, wenn nicht im Jahr 2000 schon ein Viertel der Stadtwerke-Anteile verkauft worden wäre, so Kühne-Hörmann selbstkritisch. Der Energiemarkt sei zwar unbestritten in Bewegung, aber die CDU sei der Überzeugung, dass die Städtische Werke AG eine Chance habe, im Markt zu bestehen. (ach)

Das sagen Grüne

 

Nein zum Verkauf

Ein klares Nein zum Bieterverfahren kommt von der Rathausfraktion der Bündnisgrünen. Ein solches Verfahren sei nicht gerechtfertigt, so Fraktionschefin Karin Müller.
Oberbürgermeister und Stadtkämmerer würden von einem weiteren Verkauf der Kasseler Stadtwerke ausgehen, und der sei mit den Bündnisgrünen definitiv nicht zu machen. Ein weiterer Anteileverkauf sei auch deshalb kontraproduktiv, weil die Stadtwerke künftig durchaus zu den Gewinnern im sich ändernden Markt zählen könnten. Deshalb müsse ernsthaft geprüft werden, ob nicht Kasseler Bürger Anteile der Stadtwerke kaufen könnten. (ach)

Das sagen Linke

 

Dreister Antrag

Die Stadtwerke dürften nicht verkauft werden, weil sie ein Teil der öffentlichen Daseinsfürsorge bilden, so der Fraktionsvorsitzende der Linke.ASG, Kai Boeddinghaus.
Die Stadt verliere durch einen weiteren Verkauf von Anteilen die Kontrolle, die Arbeitnehmer der Werke hielten überhaupt nichts von dem Verfahren. Der Antrag für das Verfahren, das 300 000 Euro kosten solle, sei "dreist und unverschämt", weil der Magistrat zudem für Mehrkosten einen "Blankoscheck" ausgestellt haben wolle. Hingegen werde im Jugend- und Sozialbereich "um jeden Euro gerungen". Boeddinghaus: "Das ist nicht in Ordnung." (ach)

Das sagt die FDP

 

Entschuldung nötig

"Es geht darum, das Beste für die Stadt und für die Stadtwerke herauszuholen", so FDP-Fraktionschef Frank Oberbrunner. Kassel sei "exorbitant verschuldet", die Situation werde von Tag zu Tag schlechter.
Deshalb sei das geplante Bieterverfahren richtig, und es müsse ein Verkauf geprüft werden, um die Stadt zu entschulden. Er sei überrascht, "mit welcher Feigheit die Probleme umgangen werden". Von den Nein-Sagern unter den Stadtverordneten sei keiner bereit, über seinen Schatten zu springen. "Wir müssen aber auch unpopuläre Maßnahmen ergreifen, um zu Lösungen zu kommen", mahnte Oberbrunner. (ach)

Das sagt die FWG

 

Verfahren nicht nötig

"Wer nicht verkaufen will, braucht auch kein Bieterverfahren zu veranstalten", sagt der Stadtverordnete der Freien Wähler-Gemeinschaft (FWG), Bernd W. Häfner.
Er macht darauf aufmerksam, dass die Sozialdemokraten vor der Kommunalwahl im vergangenen Jahr 2006 noch klar gesagt hätten, ein weiterer Verkauf von Anteilen der Kasseler Stadtwerke komme nicht in Betracht. Jetzt aber mache sich die SPD-Fraktion für ein Bieterverfahren stark, kritisierte Häfner. Jetzt räche sich für den Kasseler Oberbürgermeister auch sein politisches Prinzip, in Kassel mit wechselnden Mehrheiten regieren zu wollen. (ach)


Kommentar
Von Jörg Steinbach

 

Die Mehrheit der Stadtverordneten will keine Klarheit. Vor allem die CDU, ansonsten dem Thema Privatisierung eher zugeneigt, schielt auf Wählerstimmen. Und weil auch Grüne und Linke unpopuläre Entscheidungen scheuen, wird es vermutlich kein Bieterverfahren geben. Wir werden nicht erfahren, ob es Interessenten für einen weiteren Verkauf der Werke gibt, was sie zahlen und welche Arbeitsplatzgarantien sie geben würden. Es wird nicht zu entscheiden sein, ob ein Verkauf einen Batzen Geld zur Entschuldung der bankrotten Stadt und einen starken Partner für die Stadtwerke bringen soll. Oder ob es doch besser wäre, die Stadtwerke als kommunales Unternehmen weiterzuführen.

Nicht wenige Fachleute sind in großer Sorge um die Werke. Doch die Mehrheit unserer Kommunalpolitiker ignoriert das. Dabei ist klar: Wer gar nichts macht, gibt die Chance zum Handeln aus der Hand. Und läuft das größte Risiko. Hoffentlich senken jene Stadtverordneten, die schon die bloße Sachermittlung ablehnen, nicht zugleich den Daumen über den Stadtwerken. Gerät das Unternehmen in Schwierigkeiten, wird das Geschrei groß sein. Helfen kann dann freilich keiner mehr.