Mike
Nagler kämpft den Kampf seines Lebens. Es geht um Millionen
Euro, es geht gegen das Kartell der Stromkonzerne, es geht um
Energie für seine Heimatstadt. Der 28-jährige Architekt
und Bauingenieur will mit seiner Bürgerinitiative den Verkauf
der Stadtwerke Leipzig verhindern. "Betriebe der Daseinsfürsorge
sollten nicht in den Händen privater Anbieter sein",
sagt er.
Jeder
zwölfte Leipziger hat bisher gegen die Privatisierung
unterschrieben, die Stadtverwaltung möchte jetzt einen Bürgerentscheid
abwarten - das hat am Mittwoch der Stadtrat beschlossen. "Bürgerbeteiligung
ist eine zentrale Säule der Demokratie", sagte Oberbürgermeister
Burkhard Jung (SPD). Der Stadtrat werde nicht gegen den Bürgerwillen
entscheiden. Ein erster Sieg für Nagler. Der Bürgeraufstand
illustriert einen Trend. Bis vor wenigen Jahren galt der Grundsatz:
Private wirtschaften effizienter. Reihenweise verkauften Kommunen
ihre öffentlichen Unternehmen, um ihre Finanzen zu verbessern.
Doch
seit einiger Zeit setzt ein Umdenken ein: Roland Schäfer,
Präsident des Städte- und Gemeindebundes und hauptberuflich
Bürgermeister von Bergkamen, hat "eine Bewegung von Gemeinden,
die Unternehmen wieder rekommunalisieren", beobachtet. "Statt
dem Hang zur automatischen Privatisierung nachzugeben, machen die
es lieber selbst." Viele Städte kaufen zurück
- oder ziehen gleich einen neuen kommunalen Betrieb auf.
Städtebund-Präsident Schäfer hat es in Bergkamen vorgemacht.
Mitte 2006 stieg die 52.000-Einwohner-Stadt im Ruhrgebiet, für
die bis dahin eine Privatfirma den Müll abgefahren hatte, ins
Entsorgungsgeschäft ein. Sie investierte 1,6 Millionen Euro,
kaufte Seitenlader, Kehrmaschinen und stellte 12 Arbeiter an. Die
Bergkamener profitierten: Die Gebühren für die Straßenreinigung
sind seither um 25 Prozent gesunken, die für Müll um 12
Prozent. In anderen Städten des Kreises zahlen die Bürger
120 Euro mehr im Jahr für eine graue 120-Liter-Tonne. "Anstelle
von Shareholder Value geht es bei uns um Citizen Value", sagt
Schäfer.
Der
Entsorgungsbetrieb Bergkamen wirtschaftet so, dass er seine Kosten
gerade deckt - Gewinne legt er auf die Gebühren um. "Bei
uns sind die Wege kürzer als bei einem Privaten, der kilometerweit
anfahren muss", sagt Betriebsleiter Hans-Joachim Peters. Beschwert
sich ein Bürger, wird die Tonne am gleichen Tag nachgeleert.
Schäfer ist ein Vorreiter der Rekommunalisierung. Bergkamen
hat mit den Gemeinden Kamen und Bönen schon 1995 Stadtwerke
gegründet und 1996 dem Multi VEW/RWE die Stromnetze für
50 Millionen Euro abgekauft. Die Gemeinschaftsstadtwerke versorgen
120.000 Einwohner mit Strom und Wärme, auch die defizitären
Schwimmbäder und eine Eishalle sind in ihr aufgegangen. So kann
der Betrieb Gewinne aus dem Stromgeschäft steuerlich mit Verlusten
verrechnen - zum Vorteil der Kommunen. Jährlich schütten
die Stadtwerke knapp 380.000 Euro an Bergkamen aus, sagt Chef Hermann
Josef Görres.
Andere
Kommunen und Landkreise folgten dem Beispiel. Ludwigshafen hat
die Altpapiersammlung rekommunalisiert, der Rhein-Hunsrück-Kreis übernahm
die ehemals private Müllabfuhr ab 2006. Der Kreis Lüneburg
in Niedersachsen beauftragt eine kommunale Gesellschaft mit der Müllabfuhr,
der Kreis Regen im Bayerischen Wald will die Müllentsorgung
im nächsten Jahr umstellen. Durch Strategien mancher Privatfirmen
müssen Kommunen doppelt zahlen. Einerseits verlangen einige
Müllentsorger hohe Gebühren, zahlen aber andererseits so
niedrige Löhne, dass die Stadt über Hartz IV Zuschüsse
leisten muss. "Diese Gefahr drohte auch bei uns", sagt
Klemens Schmitz, Landrat im Kreis Uckermark. Der brandenburgische
Kreis liegt direkt an der polnischen Grenze, die Arbeitslosenquote
beträgt über 20 Prozent. Seit 2006 fährt ein kreiseigener
Entsorger den Müll ab, was seit der Wende ein Privater erledigt
hatte. "Wir sparen im Vergleich 2 Millionen Euro im Jahr und
konnten die Müllgebühren konstant halten", sagt Schmitz.
Wichtig für die von Arbeitslosigkeit geprägte
Gegend: 40 nach Tarif bezahlte Jobs.
Kommunale
und private Müllentsorger machen in Deutschland einen
Umsatz von 30 Milliarden Euro im Jahr. Der Branchenverband der Privatentsorger
BDE sieht die wieder wachsende öffentliche Konkurrenz kritisch. "Es
ist nicht Aufgabe des Staates, in einen funktionierenden Markt einzugreifen",
sagt Verbandssprecher Karsten Hintzmann.
Zwei
Dinge ärgern die Privaten besonders: Kommunalfirmen sind
von der Mehrwertsteuer befreit. Und die Selbstentsorger-Kommunen
schreiben in der Regel das Müllgeschäft nicht aus, sondern
beauftragen durch eine so genannte In-House-Vergabe direkt die eigene
Firma. "Wir haben nichts gegen fairen und transparenten Wettbewerb
mit Kommunalen - leider findet er im Moment nicht statt",
argumentiert Hintzmann.
In
Leipzig beginnt jetzt der Wettbewerb um die Stimmen. Am 27. Januar
werden die Leipziger über die Stadtwerke-Privatisierung entscheiden.
Im ersten Schritt des Bürgerbegehrens haben bereits 42.000 Bürger
gegen die Pläne von Oberbürgermeister Jung unterschrieben.
Der französische Energieriese Gaz de France hat 520 Millionen
Euro für 49,9 Prozent der Stadtwerke geboten, die Jahr für
Jahr ein Plus von rund 40 Millionen Euro einfahren - die die Stadt
zum Großteil in die Verkehrsbetriebe investiert. "Die
Stadt hat kein Konzept vorgelegt, wie sie die Einnahmen ausgleichen
will", sagt Nagler von der Bürgerinitiative.
Oberbürgermeister Jung hingegen sieht den geplanten Deal als "Befreiungsschlag" für
die mit 900 Millionen Euro verschuldete Stadt. Er will das Geld nutzen,
um Kredite der Stadt und der Muttergesellschaft, der Leipziger Versorgungs-
und Verkehrsgesellschaft, zu tilgen und um in Kitas und Schulen zu
investieren. "Ein kleines Stadtwerk kann nicht einer internationalen
Entwicklung Paroli bieten - den steigenden Preisen, den rechtlichen
Rahmenbedingungen, der Liberalisierung des Marktes durch die EU." Die
Bürgerinitiative hingegen gibt sich selbstbewusst. "Das
Thema beschäftigt die Leute sehr", sagt Nager. "Darum
werden wir das schaffen."
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