"Unser Wasser- Kassel"
Initiative Bürgerbegehren gegen die Privatisierung von Wasser in der Region

HNA 26.2.2007


Vattenfall bietet Geld an

Bieterverfahren um eventuellen Stadtwerke-Verkauf liegt weiter auf Eis


Von Jörg Steinbach

 

KASSEL. Eigentlich war die Frist Ende vergangenen Jahres abgelaufen. Doch die Stadt darf sich weiterhin auf ein Geschenk von maximal 150 000 Euro freuen. Mit dieser Summe will sich die Vattenfall Europe AG zur Hälfte an den Kosten der ersten Verfahrensstufe beteiligen, die 300 000 Euro nicht übersteigen sollen. Es geht um das strukturierte Bieterverfahren zu einem eventuellen Verkauf weiterer Anteile der Stadtwerke. Mit dem Bieterverfahren (siehe Stichwort) soll erkundet werden, ob es Interessenten für eine weitere Privatisierung der Stadtwerke gibt, wie hoch die Gebote sind, und ob es die Bereitschaft zum Beispiel für Arbeitsplatzgarantien gibt.

Ursprünglich hatte Vattenfall das Geldgeschenk auf das Jahresende 2006 terminiert. Wenn das Verfahren nicht bis zum 31. Dezember 2006 begonnen würde, sollte die Vereinbarung enden. Doch Kassels Stadtkämmerer Dr. Jürgen Barthel (SPD) hat in Gesprächen mit Vattenfall erreicht, dass das Angebot verlängert wurde. Der schwedische Staatskonzern Vattenfall hält mit seiner Tochter-AG eine Minderheitsbeteiligung von 24,9 Prozent an der Kasseler Städtische Werke AG und möchte diese Beteiligung neu ordnen.

Der Magistrat sollte eigentlich schon Ende Oktober 2006 über das Bieterverfahren entscheiden. Doch das Papier liegt noch immer in der Schublade.

Barthel und Kassels OB Bertram Hilgen (SPD) stehen weiter zum Bieterverfahren. Beide hatten im Sommer 2006 vorgeschlagen, über einen Verkauf von maximal 74,9 Prozent der Stadtwerke nachzudenken. Voraussetzung dafür sollte sein, dass die Wasserversorgung komplett in städtischer Hand bleibt. Im Bieterverfahren kann die Stadt jederzeit die Reißleine ziehen. Mit den Daten aus dem Verfahren könne verlässlich entschieden werden, ob ein Verkauf tatsächlich einen Batzen Geld zur Entschuldung bringen würde, oder ob es besser wäre, die Stadtwerke als kommunales Unternehmen weiterzuführen.

Bisher würden nur die Fraktionen von SPD und FDP diesen Verfahrensweg mitgehen. Die CDU ist unentschlossen. Bündnisgrüne, Linke.ASG und AUF-Kassel sind strikt gegen einen weiteren Stadtwerke-Verkauf und lehnen auch ein Bieterverfahren ab. Barthel und Hilgen wollen jetzt weitere Gespräche führen und um eine Mehrheit im Stadtparlament für den Start des Verfahrens werben.


Stichwort

Strukturiertes Bieterverfahren

 

Das strukturierte Bieterverfahren besteht aus drei Phasen. Im Konzeptwettbewerb werden Bewerber für den Kauf von Stadtwerke-Anteilen und deren Ziele ermittelt. In der anschließenden Vermarktungsphase erhalten ausgesuchte Bewerber Detailinformationen zu den Stadtwerken und machen konkrete Angebote, wie viel sie zahlen wollen. In der abschließenden Verhandlungsphase werden mit ausgewählten Bietern Vertragsverhandlungen geführt und das attraktivste Angebot ausgewählt. Sind Konzepte oder gebotene Summen nicht befriedigend, kann das Verfahren jederzeit abgebrochen werden. (ach)

 


Kassel fehlt Eigenkapital

Barthel: Ermittelte 100 Mio. Euro "äußerst knapp"
- mögliche Probleme bei Krediten


Von Peter Ketteritzsch

 

Kassel. Die Stadt Kassel verfügt nur über "eine außerordentlich knappe Eigenkapitaldecke". Das sagte Stadtkämmerer Dr. Jürgen Barthel (SPD) gestern während einer Podiumsdiskussion der SPD Kassel-West zum möglichen Verkauf städtischer Betriebe.

Im Zuge der Umstellung von der kameralistischen auf die kaufmännische Buchführung habe die Verwaltung ermittelt, dass das Eigenkapital der Stadt zum Stichtag 31. Dezember 2006 lediglich 100 Millionen Euro betrage.

Die Posten in der Erhebung reichen laut Barthel von Schulen und städtischen Straßen bis zu den auf einen Wert von 30 Millionen Euro bezifferten Märchen-Handexemplaren der Brüder Grimm, um deren Eigentumsrechte gegenwärtig ein heftiger Streit tobt. Die Eigenkapitaldecke müsse verstärkt werden, forderte der Kämmerer. Andernfalls werde die Kreditwürdigkeit der Stadt massiv leiden. Die Debatte über einen Verkauf städtischer Betriebe, allen voran der Städtischen Werke, sei allerdings "eine Diskussion zum falschen Zeitpunkt". Laut Barthel hätte man über die Verkäufe diskutieren müssen, als man die Leistungen beschlossen habe, die heute den Haushalt belasten.

Barthel bekannte sich zu dem Bieterverfahren um einen eventuellen Verkauf der Stadtwerke, das allerdings weiterhin auf Eis liegt.

Der Kämmerer wies Gerüchte zurück, wonach es Sondierungsgespräche mit dem Energieversorgungsunternehmen E.on gibt. "Es gibt keine separaten Gespräche." E.on sei allerdings "ein ganz wichtiges Unternehmen", und die Stadt habe ein "hohes Interesse" daran, dass E.on in Kassel bleibt.

In diesem Zusammenhang kritisierte Barthel die Städtischen Werke. Dort sehe man E.on immer als "bösen Feind". Diese Sicht sei nicht die Sicht der Stadt. Die Energieversorgung in den Umlandgemeinden, dem Geschäftsgebiet von E.on, das räumten im Landkreis lebende Mitarbeiter der Städtischen Werke ein, sei "so schlecht nicht".


Kommentar

Armenhaus Kassel

Peter Ketteritzsch über die Erkenntnisse des Kämmerers

 

Die Stadt hat zweifellos einige Werkte, doch zu verkaufen sind die wenigsten. Schulen, Straßen, Parks, ja sogar die Grimm’schen Handschriften sind totes Kapital. Schlimmer noch: Das Eigentum muss unterhalten werden, kostet also mithin richtig Geld. Die neuen Zahlen belegen: Kassel ist ein Armenhaus. Die Stadt ächzt unter hohen Schulden und hat erschreckend wenig in die Waagschale zu werfen, um in schlechten Zeiten an Kredite zu kommen. Und damit drohte dann endgültig die Pleite – mit fatalen Folgen auch für die städtischen Mitarbeiter: Ihre Gehälter wären in Gefahr. Vor diesem Hintergrund muss die Debatte über einen Verkauf städtischer Unternehmen neu ausgerichtet werden. Um für Zeiten gerüstet zu sein, in denen Gewerbesteuern und Zuweisungen nicht mehr so üppig sprudeln wie heute, braucht die Stadt dringend ein finanzielles Polster. Woher soll es kommen, wenn nicht aus Verkäufen?

ket@hna.de