"Unser Wasser- Kassel"
Initiative Bürgerbegehren gegen die Privatisierung von Wasser in der Region

taz 3.-6.1..2007


Der verkaufte Staat

Kurz vor dem Jahreswechsel hat die Zusammenarbeit zwischen Staat und Privatwirtschaft in Deutschland einen neuen Höhepunkt erreicht: Die Technologiekonzerne Siemens und IBM bekamen vergangene Woche vom Bund den Zuschlag, für 7,1 Milliarden die gesamte Informationstechnik der Bundeswehr zu modernisieren. Das Projekt ist in Europa die größte öffentlich-private Partnerschaft. Deutschland gilt als Nachzügler eines Trends, in dem europaweit immer mehr Firmen aus der Privatwirtschaft an der Ausführung öffentlicher Aufgaben beteiligt werden - sei es der Bau und Betrieb von Schulen, Krankenhäusern oder Gefängnissen. Die taz widmet sich in einer dreiteiligen Serie den Chancen und Risiken der Public Private Partnerships.
Teil 1 beschreibt, wie sich die Bertelsmann-Tochter Arvato neue Geschäftsfelder erschließt, indem sie in England eine Kommune managt.
Teil 2 beschäftigt sich mit der Praxis und den Risiken der Public Private Partnerships in Deutschland.
Teil 3 schildert Strategien für die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung in Deutschland.

 

Das Rathaus wird zum Profitcenter

Die Bertelsmann-Tochter Arvato managt in England eine Kommune mit
320.000 Einwohnern. Ziel des Versuchslabors: die Privatisierung
kommunaler Dienstleistungen in Deutschland


Von Tarik Ahmia

 

BERLIN Im Norden Englands reift die Keimzelle für die Zukunft der öffentlichen Verwaltung. Seit Juli 2005 lässt dort der Bezirk East Riding in der Grafschaft Yorkshire Aufgaben seiner Verwaltung von einem privaten Dienstleister erledigen. Mitarbeiter des Arvato-Konzerns zahlen dort im Auftrag des Bezirks Wohngeld aus, nehmen Steuern ein und betreuen die Bürgerbüros.

Die Kooperation der öffentlichen Hand mit dem kommerziellen Unternehmen soll beiden Seiten nützen: East Riding verspricht sich einen besseren Service für seine 320.000 Bürger, während Arvato wichtige Erfahrungen für einen weltweiten Milliardenmarkt sammelt: die Privatisierung staatlicher Dienstleistungen.

Arvato ist nicht irgendwer: Das Unternehmen ist die Tochter von Europas größtem Medienkonzern, Bertelsmann. Die Kooperation in Yorkshire dient Arvato als Trainingslager. "East Riding ist unser Versuchslabor auch für Deutschland", sagt Arvato-Vorstandmitglied Rolf Buch.

Die Service-Tochter ist das ökonomische Herz des Bertelsmann-Konzerns. 45.700 der insgesamt 88.000 Bertelsmänner arbeiten bei Arvato. Doch der diskrete Medien- und Marketingdienstleister zeigt sich selten den Endkunden und arbeitet vor allem für andere Unternehmen. Jedes zweite DAX-Unternehmen nutzt die Dienste des Konzerns, der 2005 in 270 Tochterfirmen 4,4 Milliarden Euro Umsatz machte. Mit einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von knapp 10 Prozent sucht der Konzern ständig nach neuen Geschäftsfeldern. Die neuesten davon, die Public Private Partnerships (PPP), sind in England stärker verbreitet als in Deutschland. 15 bis 25 Prozent der öffentlichen Investitionen werden dort für PPPs ausgegeben, während es hierzulande gerade einmal 4 Prozent sind. Seit der Amtszeit von Margaret Thatcher werden in Großbritannien Straßen, Krankenhäuser, Gefängnisse, Altenheime und Sozialwohnungen mit Hilfe der Privatwirtschaft gebaut und unterhalten.

Arvato handelt in East Riding auch nach den politischen Maximen des Nachkriegs-Bertelsmann-Chefs Reinhard Mohn. Seine Weltanschauung verklärt die Steuerungsverfahren aus der Betriebswirtschaftslehre zu einem gesellschaftlichen Leitbild: Alle Bereiche, von der Müllentsorgung bis zur Schulpolitik, werden in Mohns Welt der gleichen Systematik von Profitcentern, Budgetierung sowie Leistungsvergleichen unterworfen. Kernpunkte dieser Ideologie: Effizienz, gemessen am finanziellen Erfolg sowie dem Wettbewerb nach der Mohn-Devise: "So wenig Staat wie möglich".

Wie das geht, will Arvato in East Riding demonstrieren. "Wir sind in der Lage, Arbeitsprozesse effektiver zu steuern und die besten Prozesse einzusetzen, die wir auch bei anderen Kunden verwenden", sagt Christoph Baron, der bei Arvato das Geschäftsfeld öffentliche Dienstleistungen in Deutschland leitet. Die Leistung der Kommune in East Riding wird anhand von mehr als 100 Schlüsselindikatoren ermittelt. Dazu gehört etwa, wie oft das Telefon klingelt, bis ein Mitarbeiter den Anruf beantwortet. Etwa 500 Council-Angestellte East Ridings sind für das Projekt zu Arvato gewechselt. "Sie sind nicht schlechter gestellt als Council-Mitarbeiter", versichert Baron. Sollte das Projekt nach acht Jahren nicht verlängert werden, könnten sie wieder auf ihren alten Job zurückkehren. Die ehemals öffentlich Bediensteten direkt zu beschäftigen, erlaubt es dem Konzern, Arbeitsabläufe zu verändern und die Mitarbeiter dort einzusetzen, wo sie benötigt werden.

David Nolan, Vorsitzender der Liberalen Demokraten in East Riding, gehört zu den erklärten Kritikern des Projektes. "Das PPP mit Arvato ist nur eine als Partnerschaft verkleidete Privatisierung", sagt Nolan auch noch heute. Er glaubt, dass es für East Riding keinen Unterschied mache, dass Arvato die Verwaltungsarbeiten nun ausführe. "Rein administrative Aufgaben können sehr gut von Privatfirmen übernommen werden." Entscheidend sei jedoch, dass strategische Entscheidungen weiterhin in der Kontrolle der öffentlichen Hand verblieben. "Dazu gehören zum Beispiel Planungsverfahren, Rechtsvorschriften, aber auch Strategien für IT-Konzepte", so Nolan. Die Zusammenarbeit mit Arvato verlaufe bisher ohne größere Probleme.

Der Arvato-Manager gibt sich bedeckt, wann der Konzern auch in Deutschland seine Dienste in der öffentlichen Verwaltung anbieten wird: "Wir suchen derzeit nach einem Modell, wie man so etwas verwaltungsrechtlich organisieren kann." Das Unternehmen prüfe derzeit, welche nichthoheitlichen Aufgaben der öffentlichen Hand Arvato übernehmen könnte. Kfz-Zulassungen und das Meldewesen wären nach Ansicht der Ministerpräsidenten erste Versuchsfelder für private Dienstleister. "Ob sich in Deutschland ein Markt entwickelt, weiß man noch nicht", so Baron.

 

Teures Jonglieren mit Zahlen und Hoffnungen

Privates Kapital soll helfen, öffentliche Leistungen zu finanzieren.
Immer wieder kommt es jedoch umgekehrt

 

In Deutschland propagierte die rot-grüne Regierung erstmals vor etwa drei Jahren die Kooperation mit dem privaten Sektor. Ihre Hoffnung: trotz Verschuldung der öffentlichen Haushalte finanzpolitisch handlungsfähig zu bleiben.

Der Einstieg in die Public Private Partnerships (PPP) misslang gründlich. Das Autobahnmautsystem Toll Collect endete vor Gericht: Weil das System zunächst nicht funktionierte, fordert die Bundesregierung in einer Klage von den drei Betreibern DaimlerChrysler, Telekom und CofiRoute bis heute eine Entschädigung von 5,1 Milliarden Euro. Der Ausgang ist ungewiss. Nicht einmal die Rechnungshöfe oder Bundestagsabgeordneten bekommen Einblick in den 17.000 Seiten umfassenden Toll-Collect-Vertrag. Das Bundesverkehrsministerium stuft ihn als "geheim" ein. Die meisten Kooperationen mit der Privatwirtschaft in Deutschland gibt es bei Straßen, Brücken, Gefängnissen, Krankenhäusern und anderen öffentlichen Gebäuden. Und sie sorgt für heftige Kritik, denn sie ist ein Schleichweg, große Investitionen an den aktuellen Haushaltsplänen vor allem der Kommunen vorbeizuschmuggeln. Das Prinzip der verdeckten Kreditaufnahme: Der Investor übernimmt die Bau- und Unterhaltskosten, die Kommune verpflichtet sich, über 20 oder 30 Jahre das Bauwerk zu mieten. Nicht selten betragen die Mietkosten das Doppelte des ursprünglich eingesetzten Kapitals. Ein sicheres Geschäft - für den Investor.

Der Bundesrechnungshof warnte deshalb erst vor kurzem in einer Erklärung, PPPs seien keine neue Geldquelle für den Staat: "Langfristig können sie gefährlich sein, weil die Finanzierungslast in die Zukunft verschoben wird."

PPPs sind für den Staat meist teurer als steuerfinanzierte Investitionen, denn Privatunternehmen decken mindestens 80 Prozent der Investitionen mit Hilfe von Krediten. Und Kredite für Privatfirmen sind im Schnitt etwa 2 Prozent teurer als für die öffentliche Hand. Hinzu kommen PPP-spezifische Kosten für Manager und Beratung.

Beispiel Frankfurt am Main: Hier wurde 2005 das Bildungszentrum Ostend als PPP gebaut. Versprochen waren 25 Prozent Einsparungen gegenüber einem rein öffentlichen Projekt. Das Revisionsamt der Stadt bilanzierte jedoch am Ende nüchtern, der Gebäudekomplex mit Abendgymnasium, Volkshochschule und Konservatorium werde die Stadt im Lauf des 20-jährigen Leasingvertrages viel mehr kosten: Letztlich zahle Frankfurt für den 54-Millionen-Euro-Bau 104 Millionen Euro Miete. Honorare für Anwälte, Projektentwickler und Kreditvermittler kommen dazu. "Die Rechnung ist nicht nachvollziehbar", meint SPD-Fraktionschef Klaus Oesterling im Frankfurter Rat.

Etwas besser scheint es beim bundesweit größten PPP-Projekt für öffentliche Schulen zu laufen. Seit Ende 2004 werden im hessischen Landkreis Offenbach 90 Schulen von den Unternehmen Hoch-Tief AG und der Gebäudemanagementfirma SKE privat saniert und bewirtschaftet. 15 Jahre lang sind die Unternehmen für die Bewirtschaftung und den Erhalt der Schulgebäude verantwortlich. Dafür bekommen sie insgesamt 780 Millionen Euro. Weitere 30 Millionen Euro Beraterhonorar kostete der 4.000-seitige geheime Vertrag. "17 Schulen wurden bislang saniert, zeitlich liegen wir voll im Plan", so eine Sprecherin des Kreises Offenbach. Durch die Kooperation sollen die Projektkosten um gut 15 Prozent sinken.

Überprüfen lässt sich diese Zahl kaum. Einsparmöglichkeiten liegen aber nahe - bei den Mitarbeitern: Hausmeister und Reinigungskräfte werden von den Privaten gestellt und unterliegen nicht mehr dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes.

 

Profiteure träger Verwaltungen

Die Modernisierung deutscher Behörden lässt die Bürokratie oft weiter wachsen

 

 

Viele Bereiche von Deutschlands öffentlicher Verwaltung ticken noch wie vor 100 Jahren: undurchschaubar bürokratisch, wenig kundenorientiert und teuer. Gründe dafür gibt es viele: die Verwaltung mit ihren etwa 4,8 Millionen Beschäftigten ist vor allem auf Verlässlichkeit und Zielerfüllung ausgelegt. Laufend erfinden Beamte dabei neue Durchführungsvorschriften, Fachverfahren und Arbeitsgruppen - weniger Effizienz und mehr Administration sind oft die Folge. Ihre eigentlichen Aufgaben können sie dabei leicht aus den Augen verlieren.

" Langfristig beansprucht diese Art der Verwaltung immer mehr Personal. Gleichzeitig werden die Verfahren komplizierter und kundenunfreundlicher", sagt der Unternehmensberater Bernhard Roland (Name von der Redaktion geändert), der die öffentliche Hand bei der Kooperation mit der Privatwirtschaft und der Modernisierung von Verwaltungsverfahren berät. Seit zehn Jahren entwickelt der Consultant Verbesserungen für öffentliche Verwaltungsstrukturen und meint: "Diese Organisationsform scheitert an sich selbst, wenn es darum geht, die effizientesten Verfahren für Dienstleistungen anzubieten."

In der Tat fällt es nicht schwer, fragwürdige Aufgaben und Dienste im deutschen Verwaltungswesen zu finden. Beispiel Kriegsopferfürsorge: Bis heute sind die Kommunen für die Zusatzrente zuständig, obwohl es seit etwa 30 Jahren kaum neue Antragssteller gibt. Für das komplexe Regelwerk müssen die 323 Kommunen eigene Sachbearbeiter vorhalten. Auch der Bund pflegt einen fragwürdigen Umgang mit seinen Ressourcen: So sind bis heute nicht weniger als 400 Bedienstete in eine eigene Bundesbehörde abkommandiert, um sich dem Schicksal von verschollenen Wehrmachtssoldaten zu widmen.

Den Millionen Arbeitslosen widmet sich die Bundesagentur für Arbeit, doch sie ist vor allem eine Jobmaschine für sich selbst: 90.000 Menschen arbeiten dort. In Holland ist die Idee einer solchen Behörde unbekannt. Der Vermittlungsmarkt ist privatisiert, die Arbeitslosenquote mit 6,6 Prozent deutlich niedriger als hierzulande.

Wirklich zermürbend können zähe Verwaltungsverfahren in den Kommunen für Bürger und Bedienstete werden. Zwar hat jede Stadt heute ihre eigene Internetseite. Echte Verwaltungsverfahren wie etwa ein Antrag auf Wohngeld können aber bis heute nicht online abgewickelt werden. "Viele der 180 Fachverfahren in Kommunalverwaltungen sind sehr komplex und werden aufgrund der Einwohnerzahlen meist nur relativ selten genutzt", sagt Bernd Schmitt, Projektleiter von Bürgerservice-Online der Stadt Würzburg. Die Verwaltung der Stadt Würzburg mit ihren 128.000 Einwohnern gehört bundesweit zu den Vorreitern, wenn es darum geht, Verwaltungsverfahren durch den Einsatz von Computerprogrammen zu beschleunigen. "Bei einem Umzug war es bisher nötig, die Adresse eines Bürgers in etwa 30 amtlichen Datenbanken zu ändern", sagt Schmitt.

Das soll sich ändern. "Unser Ziel ist, nur noch eine kommunale Datenbank mit allen Informationen zu haben."

Die Mission, über die Grenzen der Kommune standardisierte Verwaltungssoftware zu etablieren, steckt seit Jahren im bürokratischen Dickicht fest - nicht zuletzt wegen fehlender länderübergreifender Koordinierung.

In Würzburg soll im Rahmen einer Public Private Partnership das erreicht werden, was aus eigenen Kräften bisher nicht gelang. Dabei soll der private Partner das Projekt über 10 Jahre vorfinanzieren und seinen Gewinn aus den erzielten Einsparungen ziehen - Schmitt rechnet mit Summen im zweistelligen Millionen-Euro-Bereich.

Allerdings sind private Dienstleister in diesem Spiel keineswegs die natürlichen Gegner träger Bürokraten. "Ineffiziente Bürokratie und Unternehmen der Privatwirtschaft sind voneinander abhängig. Sie sind zwei Seiten derselben Medaille", sagt Roland. Die Privatwirtschaft profitiere von der Unfähigkeit der öffentlichen Verwaltung, ihre Arbeitsabläufe und Organisationsformen effizient zu gestalten. "Die Privatwirtschaft hat überhaupt kein Interesse am Rückbau des öffentlichen Sektors. Sie will nur die Durchführung ihrer Aufgaben übernehmen", sagt Roland.