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Strom
wird vielerorts ab 1. Juli deutlich teurer. Nach Angaben des
Branchenverbands Verivox müssten manche Haushalte bis zu
34 Prozent mehr zahlen. Die Wirtschaftszeitung Euro am Sonntag
berichtete, dass bereits 67 Versorgungsunternehmen Tariferhöhungen
angekündigt haben.
Jedes
halbe Jahr steigen die Strompreise. "Höhere Rohstoffkosten,
steigende Kosten durch das Erneuerbare Energien-Gesetz, der Emissionshandel
- die Energiekonzerne führen alle möglichen Begründungen
für ihre Preisbildung ins Feld", urteilt Bärbel Höhn,
Verbraucherschutz-Politikerin der Bündnisgrünen. Diesmal
heißt eine Begründung für die besonders drastisch
ausfallende Preisrunde: das Ende der "Bundestarifordnung Elektrizität".
Nach dieser Verordnung mussten die etwa 900 deutschen Stromanbieter
ihre Preiskalkulation bislang bei den zuständigen Landesministerien
zur Genehmigung einreichen. "Die Kalkulationen waren meist so
angelegt, dass die Ministerien ein bisschen kritisierten, die Anbieter
ein bisschen nachgaben. Wirklich verändert hat das die Preisbildung
nicht", urteilt Höhn. Ab Juli fällt dieser Genehmigungsschritt
weg. "Die Systemumstellung ergab sich aus dem Energiewirtschaftsgesetz",
erklärt eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums.
Die
Umstellung des Regelmechanismus soll zu mehr Wettbewerb führen. "Ab
Juli werden die Strompreise vom Markt bestimmt", sagt Gero Lücking,
Prokurist des Ökostromanbieters Lichtblick aus Hamburg. Das
bedeute, der Kunde werde mehr gefordert. Die Versorger entscheiden
selbst, wie viel sie sich ihr Produkt Strom kosten lassen wollen,
der Verbraucher bestellt das für ihn Günstigste. Lücking: "Weil
die Kontrolle der Länder wegfällt, nutzen viele Anbieter
das Datum, um ihre Preise drastisch anzuheben". Augenscheinlich
würden sie damit rechnen, dass die Kunden die Preisanhebung
nicht bemerken - oder einfach tolerieren. "Ich kann jedem nur
zu einem Preisvergleich raten", sagt Lücking. Lichtblick
jedenfalls, Deutschlands größter Anbieter von 100-prozentigem Ökostrom,
wird seine Preise nicht zum 1. Juli ändern. "Wir werden
dann vielerorts günstiger klimafreundlichen Strom anbieten als
die etablierten Anbieter dreckigen Kohlestrom", so der Lichtblick-Manager.
Allerdings
fällt ab Juli nicht jedwede Preiskontrolle weg. Überprüft
werden weiterhin die sogenannten Durchleitungsgebühren. Die
Bundesnetzagentur untersucht jenen Anteil an der Strompreiskalkulation,
den die Kunden für die Nutzung der Stromnetze zahlen müssen
- immerhin 30 bis 40 Prozent des Endpreises. Diese Netze - Hoch-
bis Niedrigspannungsleitungen, nebst den dazugehörigen Umspannstationen
- sind im Besitz der vier großen Stromkonzerne Eon, RWE,
Vattenfall und EnBW. Immer wieder hatte die Netzagentur den
Konzernen einen
Missbrauch ihrer Monopolstellung nachgewiesen.
Die
EU-Kommission hatte jüngst eine Enteignung der vier großen
Konzerne gefordert. Fachchinesisch nennt sie das "unbundling":
Die ehemals staatlichen Stromnetze, aufgebaut und finanziert von
der Allgemeinheit, sollen demnach nicht mehr im Besitz der Konzerne
verbleiben, sondern von unabhängiger Seite - oder dem Staat
- betrieben und unterhalten werden. Energiekommissar Piebalgs hatte
erklärt, er sei weiter davon überzeugt, dass die beste
Lösung für sinkende Preise die rechtliche Abtrennung der
Leitungsnetze von den Stromkonzernen wäre. "Das wäre
ein echter Fortschritt", sagt Höhn, "einer, der wenigstens
zu fairen Preisen führen würde." Die Bundesregierung
lehnt dies allerdings bislang ab.
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BERLIN taz
Kohlendioxid einen Preis geben: Das ist die Idee des sogenannten
Emissions-Zertifikate-Handels. Demnach erhalten Unternehmen ein
bestimmtes Maß an Verschmutzungsrechten - Zertifikaten
- die an der Börse gehandelt werden. Wer weniger Kohlendioxid
ausstößt als ihm zugestanden wird, hat Verschmutzungsrechte
frei, die er verkaufen kann. Wer mehr ausstößt als
zugebilligt, muss dafür zahlen. Nach jeder Handelsperiode
wird die Menge der ausgegebenen Zertifikate reduziert, Klimaschutz
soll so zu einem festen Bestandteil des Wirtschaftslebens werden.
Mit Verweis auf diesen Mechanismus haben die Energieversorger
die Strompreise wiederholt erhöht, obwohl die Verschmutzungsrechte
seit 2005 kostenlos ausgegeben werden. Nach Darstellung des Verbandes
der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft VIK stieg der Strompreis
in Deutschland seit der Ausgabe der Zertifikate um 50 Prozent.
Schätzungen zu Folge bescherte diese Praxis allein den vier
großen Stromkonzernen Eon, RWE, Vattenfall und EnBW einen
Extragewinn in Höhe von bislang über 2 Milliarden Euro.
Weshalb jetzt über die Versteigerung der Zertifikate gesprochen
wird: Die EU hat genehmigt, 10 Prozent der Verschmutzungsrechte
zu verkaufen, statt zu verschenken.
Natürlich tobt die Industrie angesichts dieser Pläne.
Unisono warnen Energieriesen wie RWE oder Vattenfall oder der VIK:
Eine Versteigerung würde die Strompreise noch weiter in die
Höhe treiben. Was sie aber ja so oder so tun.
Tatsache
ist, dass der Handelsmechanismus wegen zu lascher Vorgaben noch
nicht funktioniert. So stieg der Treibhausgas-Ausstoß von
Fabriken und Kraftwerken in der EU im vergangenen Jahr erneut an.
Trotz Emissionshandel bliesen Industrie und Energiewirtschaft im
vergangenen Jahr 0,3 Prozent mehr klimaschädliches Kohlendioxid
in die Luft als 2005, wie die EU-Kommission mitteilte.
In Deutschland
stieg der Kohlendioxidausstoß von rund 475
Millionen Tonnen im Jahr 2005 auf etwa 477 Millionen Tonnen im
Jahr 2006. In absoluten Zahlen ist die deutsche Industrie damit
der größte Klimasünder in der EU. Damit wackelt
auch das im Kioto-Protokoll verabredete Reduktionsziel.
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