"Unser Wasser- Kassel"
Initiative Bürgerbegehren gegen die Privatisierung von Wasser in der Region

taz 11.6..2007


Warum der Strom teurer wird

Ab 1. Juli müssen die Energiekonzerne ihre Preiskalkulation nicht länger von den Bundesländern absegnen lassen. Die Folge: deutliche Preissteigerungen für Strom um über 30 Prozent. Politiker erneuern daher die Forderung nach mehr Markttransparenz.

 

Ende einer Ordnung

Von Nick Reimer

 

 

 

 

 

 

 

Strom wird vielerorts ab 1. Juli deutlich teurer. Nach Angaben des Branchenverbands Verivox müssten manche Haushalte bis zu 34 Prozent mehr zahlen. Die Wirtschaftszeitung Euro am Sonntag berichtete, dass bereits 67 Versorgungsunternehmen Tariferhöhungen angekündigt haben.

Jedes halbe Jahr steigen die Strompreise. "Höhere Rohstoffkosten, steigende Kosten durch das Erneuerbare Energien-Gesetz, der Emissionshandel - die Energiekonzerne führen alle möglichen Begründungen für ihre Preisbildung ins Feld", urteilt Bärbel Höhn, Verbraucherschutz-Politikerin der Bündnisgrünen. Diesmal heißt eine Begründung für die besonders drastisch ausfallende Preisrunde: das Ende der "Bundestarifordnung Elektrizität". Nach dieser Verordnung mussten die etwa 900 deutschen Stromanbieter ihre Preiskalkulation bislang bei den zuständigen Landesministerien zur Genehmigung einreichen. "Die Kalkulationen waren meist so angelegt, dass die Ministerien ein bisschen kritisierten, die Anbieter ein bisschen nachgaben. Wirklich verändert hat das die Preisbildung nicht", urteilt Höhn. Ab Juli fällt dieser Genehmigungsschritt weg. "Die Systemumstellung ergab sich aus dem Energiewirtschaftsgesetz", erklärt eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums.

Die Umstellung des Regelmechanismus soll zu mehr Wettbewerb führen. "Ab Juli werden die Strompreise vom Markt bestimmt", sagt Gero Lücking, Prokurist des Ökostromanbieters Lichtblick aus Hamburg. Das bedeute, der Kunde werde mehr gefordert. Die Versorger entscheiden selbst, wie viel sie sich ihr Produkt Strom kosten lassen wollen, der Verbraucher bestellt das für ihn Günstigste. Lücking: "Weil die Kontrolle der Länder wegfällt, nutzen viele Anbieter das Datum, um ihre Preise drastisch anzuheben". Augenscheinlich würden sie damit rechnen, dass die Kunden die Preisanhebung nicht bemerken - oder einfach tolerieren. "Ich kann jedem nur zu einem Preisvergleich raten", sagt Lücking. Lichtblick jedenfalls, Deutschlands größter Anbieter von 100-prozentigem Ökostrom, wird seine Preise nicht zum 1. Juli ändern. "Wir werden dann vielerorts günstiger klimafreundlichen Strom anbieten als die etablierten Anbieter dreckigen Kohlestrom", so der Lichtblick-Manager.

Allerdings fällt ab Juli nicht jedwede Preiskontrolle weg. Überprüft werden weiterhin die sogenannten Durchleitungsgebühren. Die Bundesnetzagentur untersucht jenen Anteil an der Strompreiskalkulation, den die Kunden für die Nutzung der Stromnetze zahlen müssen - immerhin 30 bis 40 Prozent des Endpreises. Diese Netze - Hoch- bis Niedrigspannungsleitungen, nebst den dazugehörigen Umspannstationen - sind im Besitz der vier großen Stromkonzerne Eon, RWE, Vattenfall und EnBW. Immer wieder hatte die Netzagentur den Konzernen einen Missbrauch ihrer Monopolstellung nachgewiesen.

Die EU-Kommission hatte jüngst eine Enteignung der vier großen Konzerne gefordert. Fachchinesisch nennt sie das "unbundling": Die ehemals staatlichen Stromnetze, aufgebaut und finanziert von der Allgemeinheit, sollen demnach nicht mehr im Besitz der Konzerne verbleiben, sondern von unabhängiger Seite - oder dem Staat - betrieben und unterhalten werden. Energiekommissar Piebalgs hatte erklärt, er sei weiter davon überzeugt, dass die beste Lösung für sinkende Preise die rechtliche Abtrennung der Leitungsnetze von den Stromkonzernen wäre. "Das wäre ein echter Fortschritt", sagt Höhn, "einer, der wenigstens zu fairen Preisen führen würde." Die Bundesregierung lehnt dies allerdings bislang ab.


Ende einer Ordnung

Die Energiekonzerne begründen ihre Preiserhöhungen gern mit den Kosten für den Klimaschutz

Von Nick Reimer

 

BERLIN taz Kohlendioxid einen Preis geben: Das ist die Idee des sogenannten Emissions-Zertifikate-Handels. Demnach erhalten Unternehmen ein bestimmtes Maß an Verschmutzungsrechten - Zertifikaten - die an der Börse gehandelt werden. Wer weniger Kohlendioxid ausstößt als ihm zugestanden wird, hat Verschmutzungsrechte frei, die er verkaufen kann. Wer mehr ausstößt als zugebilligt, muss dafür zahlen. Nach jeder Handelsperiode wird die Menge der ausgegebenen Zertifikate reduziert, Klimaschutz soll so zu einem festen Bestandteil des Wirtschaftslebens werden.

Mit Verweis auf diesen Mechanismus haben die Energieversorger die Strompreise wiederholt erhöht, obwohl die Verschmutzungsrechte seit 2005 kostenlos ausgegeben werden. Nach Darstellung des Verbandes der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft VIK stieg der Strompreis in Deutschland seit der Ausgabe der Zertifikate um 50 Prozent. Schätzungen zu Folge bescherte diese Praxis allein den vier großen Stromkonzernen Eon, RWE, Vattenfall und EnBW einen Extragewinn in Höhe von bislang über 2 Milliarden Euro. Weshalb jetzt über die Versteigerung der Zertifikate gesprochen wird: Die EU hat genehmigt, 10 Prozent der Verschmutzungsrechte zu verkaufen, statt zu verschenken.

Natürlich tobt die Industrie angesichts dieser Pläne. Unisono warnen Energieriesen wie RWE oder Vattenfall oder der VIK: Eine Versteigerung würde die Strompreise noch weiter in die Höhe treiben. Was sie aber ja so oder so tun.

Tatsache ist, dass der Handelsmechanismus wegen zu lascher Vorgaben noch nicht funktioniert. So stieg der Treibhausgas-Ausstoß von Fabriken und Kraftwerken in der EU im vergangenen Jahr erneut an. Trotz Emissionshandel bliesen Industrie und Energiewirtschaft im vergangenen Jahr 0,3 Prozent mehr klimaschädliches Kohlendioxid in die Luft als 2005, wie die EU-Kommission mitteilte.

In Deutschland stieg der Kohlendioxidausstoß von rund 475 Millionen Tonnen im Jahr 2005 auf etwa 477 Millionen Tonnen im Jahr 2006. In absoluten Zahlen ist die deutsche Industrie damit der größte Klimasünder in der EU. Damit wackelt auch das im Kioto-Protokoll verabredete Reduktionsziel.