"Unser Wasser- Kassel"
Initiative Bürgerbegehren gegen die Privatisierung von Wasser in der Region

HNA 19.5.2007


"Ein abgekartetes Spiel der E.ON"

Ex-Landrat Karl Ihmels im Interview:
Stromkonzern stellte Weichen für Ausstieg aus Trockenstabilat


Von Frank Thonicke

 

 

 

 

 

 

 

Im Zusammenhang mit der Landräte-Affäre um eine Reise nach Venedig packt der Angeklagte aus: Der Ex-Landrat des Lahn-Dill-Kreises, Dr. Karl Ihmels, erhebt im Exklusivinterview unserer Zeitung schwere Vorwürfe gegen den Stromriesen E.ON.

Herr Dr. Ihmels, Ihre Kollegen Landräte zahlen, Sie nicht. Sie werden damit vor Gericht stehen. Warum machen Sie das?

Dr. Karl Ihmels: Wissen Sie, ich habe mich mein ganzes Leben gegen Machtmissbrauch gewehrt. Das mache ich auch jetzt noch.

Wer hat denn seine Macht missbraucht?

Ihmels: Der Energiekonzern E.ON. Wenn er das Trockenstabilatverfahren nicht als Gefährdung seiner Marktposition bei der Müllverbrennung gesehen hätte, hätte niemand über so etwas wie die Reise nach Italien ein Wort verloren. Und kein Staatsanwalt hätte sich darum gekümmert.

Was werfen Sie E.ON konkret vor?

Ihmels: Der frühere EAM-Chef Udo Cahn von Seelen hatte alle Vorkehrungen dafür getroffen, dass das Trockenstabilatverfahren wie zuvor schon die Herhof-Bio-Kompostierung Marktführer wird. Als E.ON die EAM übernahm, wehte plötzlich ein anderer Wind. Der neue Vorstandsvorsitzende Christian Simon hatte offensichtlich den Auftrag, das Stabilatverfahren zu Fall zu bringen. Das deutete damals beim Abschied von Cahn von Seelen schon der damalige Aufsichtsratsvorsitzende, Harich, an.

Wie geschah das konkret?

Ihmels: Schon bevor Simon Vorstandsvorsitzender wurde, beauftragte er einen früheren Kollegen aus der Zusammenarbeit bei der Treuhand mit der Vorbereitung des Ausstiegs. Der Freund bekam dafür 5000 Euro am Tag.

Es war also ein abgekartetes Spiel?

Ihmels: Ja. Schon bevor gutachtlich die angebliche wirtschaftliche Unvertretbarkeit des Stabilatverfahrens "nachgewiesen" wurde, waren in aller Brutalität die Weichen für den Ausstieg gestellt worden. Dass dies unbegründet war, zeigt sich jetzt am Beispiel Witzenhausen. Der Restmüll aus dem Werra-Meißner-Kreis wird in der Trockenstabilatanlage in Rennerod zu Brennstoff verarbeitet, der demnächst in der SCA-Anlage in Witzenhausen in Energie umgewandelt wird.

Also verhinderte E.ON ein erfolgreiches Verfahren?

Ihmels. Ja. Die geplante hessische Restmüllentsorgung in Mecklar kombiniert mit der energetischen SCA-Anlage wäre eine ökonomische und ökologische Toplösung für Nordhessen gewesen. Auch hätte die EAM ihren besten Kunden als Abnehmer behalten. Das wollte auch Udo Cahn von Seelen. Stattdessen wurde er mit mehreren Gerichtsverfahren überzogen.

Welche Rolle spielte dabei Christian Simon?

Ihmels: Das jetzige "Venedig"-Verfahren beruht auf seiner Initiative, offensichtlich in der Absicht, seinem Vorgänger Cahn von Seelen Dreck nachzuwerfen und dem Ausstieg aus dem Stabilatverfahren mehr Nachdruck zu verschaffen.

Aber plötzlich ermittelte ja die Staatsanwaltschaft nicht nur gegen Cahn von Seelen, sondern gegen den halben Aufsichtsrat.

Ihmels: Ja. Das hatte Simon offensichtlich nicht gewollt. Er veranlasste die E.ON-Mutter in München, übrigens gegen meinen Willen, die Reisekosten nach Venedig und ins Elsaß in Höhe von rund 70 000 Euro zu übernehmen. Die Folge war, dass die Staatsanwaltschaft zwischenzeitlich die Angelegenheit nicht weiter verfolgte.

Und jetzt, Jahre später, kommt es dennoch zur Anklage.

Ihmels: Ja. Die Anklage ist unabhängig von der Vorgeschichte nicht begründet.

Sie meinen also, die Venedig-Fahrt war eine Dienst- und keine Vergnügungsreise?

Ihmels: Ja, in der Tat. Wir sind sonntags mit dem Flugzeug und in Begleitung der Ehefrauen angereist. Übrigens nicht nach Venedig, sondern nach Treviso. Montags haben wir die Anlage in Mestre - das erste Auslandsengagement der EAM - besichtigt und dann kurz diskutiert. Dem folgten ausführliche Gespräche im Rahmen eines Empfangs durch den Oberbürgermeister von Venedig im Rathaus. Dann gab es Mittagessen. Da wir in Italien waren, dauerte das alles vier Stunden. Vertreter des Betreibers der Anlage hatten uns den ganzen Tag begleitet. Mit ihnen aßen wir zu Abend.

Der nächste Tag war in Deutschland ja ein Feiertag. Für Sie gab es in Italien ein Kulturprogramm, beispielsweise mit einem Ausstellungsbesuch.

Ihmels: Ja, wir haben die Dienstreise um einen Tag und eine Nacht verlängert.

Gab es noch andere Reisen?

Ihmels: Ja. Wir waren in Hamburg zum Abschied von Cahn von Seelen, davor im Elsass. Es gab jedes Jahr eine Reise für die kommunalen Aktionäre.

Wenn es wirklich eine Arbeitsreise war - warum zahlen dann Ihre Kollegen das Bußgeld? Ist das nicht eine Art Schuldeingeständnis?

Ihmels: Sie wollen einfach das Spießrutenlaufen so klein wie möglich halten. Der Staatsanwalt hat offensichtlich darauf spekuliert. Er hat sich gar nicht erst die Mühe gemacht, die Straftatbestände genau zu beschreiben. Er hat darauf vertraut, dass die Kommunalpolitiker wie üblich sich es nicht erlauben können, auf rechtlicher Klärung zu bestehen.

Sie haben also keine Angst vor einem schlechten Image?

Ihmels: Nein. Ich bin überzeugt, mich nicht strafbar gemacht zu haben, und möchte das gerichtlich bescheinigt bekommen.