Im
Zusammenhang mit der Landräte-Affäre um eine Reise
nach Venedig packt der Angeklagte aus: Der Ex-Landrat des Lahn-Dill-Kreises,
Dr. Karl Ihmels, erhebt im Exklusivinterview unserer Zeitung
schwere Vorwürfe gegen den Stromriesen E.ON.
Herr
Dr. Ihmels, Ihre Kollegen Landräte zahlen, Sie nicht. Sie
werden damit vor Gericht stehen. Warum machen Sie das?
Dr.
Karl Ihmels: Wissen Sie, ich habe mich mein ganzes Leben
gegen Machtmissbrauch gewehrt. Das mache ich auch jetzt noch.
Wer
hat denn seine Macht missbraucht?
Ihmels: Der Energiekonzern E.ON. Wenn er das Trockenstabilatverfahren
nicht als Gefährdung seiner Marktposition bei der Müllverbrennung
gesehen hätte, hätte niemand über so etwas wie die
Reise nach Italien ein Wort verloren. Und kein Staatsanwalt hätte
sich darum gekümmert.
Was
werfen Sie E.ON konkret vor?
Ihmels: Der frühere EAM-Chef Udo Cahn von Seelen hatte alle
Vorkehrungen dafür getroffen, dass das Trockenstabilatverfahren
wie zuvor schon die Herhof-Bio-Kompostierung Marktführer wird.
Als E.ON die EAM übernahm, wehte plötzlich
ein anderer Wind. Der neue Vorstandsvorsitzende Christian
Simon
hatte offensichtlich
den Auftrag, das Stabilatverfahren zu Fall zu bringen.
Das deutete damals beim Abschied von Cahn von Seelen
schon der
damalige Aufsichtsratsvorsitzende,
Harich, an.
Wie
geschah das konkret?
Ihmels: Schon bevor Simon Vorstandsvorsitzender wurde, beauftragte er
einen früheren Kollegen aus der Zusammenarbeit bei der Treuhand
mit der Vorbereitung des Ausstiegs. Der Freund bekam dafür
5000 Euro am Tag.
Es
war also ein abgekartetes Spiel?
Ihmels: Ja. Schon bevor gutachtlich die angebliche wirtschaftliche Unvertretbarkeit
des Stabilatverfahrens "nachgewiesen" wurde,
waren in aller Brutalität die Weichen für den Ausstieg
gestellt worden. Dass dies unbegründet war, zeigt sich jetzt
am Beispiel Witzenhausen. Der Restmüll aus dem Werra-Meißner-Kreis
wird in der Trockenstabilatanlage in Rennerod zu Brennstoff verarbeitet,
der demnächst in der SCA-Anlage in Witzenhausen
in Energie umgewandelt wird.
Also
verhinderte E.ON ein erfolgreiches Verfahren?
Ihmels. Ja. Die geplante hessische Restmüllentsorgung in Mecklar
kombiniert mit der energetischen SCA-Anlage wäre eine ökonomische
und ökologische Toplösung für Nordhessen gewesen.
Auch hätte die EAM ihren besten Kunden als Abnehmer behalten.
Das wollte auch Udo Cahn von Seelen. Stattdessen wurde er mit mehreren
Gerichtsverfahren überzogen.
Welche
Rolle spielte dabei Christian Simon?
Ihmels: Das jetzige "Venedig"-Verfahren beruht auf seiner
Initiative, offensichtlich in der Absicht, seinem Vorgänger
Cahn von Seelen Dreck nachzuwerfen und
dem Ausstieg aus dem Stabilatverfahren
mehr Nachdruck
zu verschaffen.
Aber
plötzlich ermittelte ja die
Staatsanwaltschaft nicht nur gegen
Cahn von Seelen, sondern
gegen den halben Aufsichtsrat.
Ihmels: Ja. Das hatte Simon offensichtlich nicht gewollt. Er veranlasste
die E.ON-Mutter
in München, übrigens gegen meinen Willen,
die Reisekosten nach Venedig und ins Elsaß in Höhe von
rund 70 000 Euro zu übernehmen.
Die Folge war, dass die Staatsanwaltschaft
zwischenzeitlich
die
Angelegenheit
nicht weiter verfolgte.
Und
jetzt, Jahre später, kommt
es dennoch zur Anklage.
Ihmels: Ja. Die Anklage ist unabhängig von der Vorgeschichte
nicht begründet.
Sie
meinen also, die Venedig-Fahrt war eine Dienst- und keine Vergnügungsreise?
Ihmels: Ja, in der Tat. Wir sind sonntags mit dem Flugzeug
und
in Begleitung
der Ehefrauen angereist. Übrigens nicht nach Venedig,
sondern nach Treviso. Montags haben wir die Anlage in Mestre - das
erste Auslandsengagement der EAM - besichtigt und dann kurz diskutiert.
Dem folgten ausführliche Gespräche im Rahmen eines Empfangs
durch den Oberbürgermeister von Venedig im Rathaus. Dann gab
es Mittagessen. Da wir in Italien waren, dauerte das alles vier Stunden.
Vertreter des Betreibers der Anlage hatten uns den ganzen Tag begleitet.
Mit ihnen aßen wir
zu Abend.
Der
nächste Tag war in Deutschland ja ein Feiertag. Für
Sie gab es in Italien ein
Kulturprogramm, beispielsweise
mit einem Ausstellungsbesuch.
Ihmels: Ja, wir haben die Dienstreise um einen Tag
und eine Nacht
verlängert.
Gab
es noch andere Reisen?
Ihmels: Ja. Wir waren in Hamburg zum Abschied
von Cahn von
Seelen, davor
im Elsass.
Es gab jedes
Jahr eine
Reise für die kommunalen
Aktionäre.
Wenn
es wirklich eine Arbeitsreise
war -
warum zahlen dann
Ihre Kollegen das
Bußgeld? Ist das nicht eine Art Schuldeingeständnis?
Ihmels: Sie wollen einfach das Spießrutenlaufen so klein wie
möglich halten. Der Staatsanwalt hat offensichtlich darauf spekuliert.
Er hat sich gar nicht erst die Mühe gemacht, die Straftatbestände
genau zu beschreiben. Er hat darauf vertraut, dass die Kommunalpolitiker
wie üblich sich es nicht erlauben können, auf rechtlicher
Klärung
zu bestehen.
Sie
haben also keine Angst vor
einem schlechten
Image?
Ihmels: Nein. Ich bin überzeugt, mich nicht strafbar gemacht
zu haben, und möchte
das gerichtlich
bescheinigt
bekommen.
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