"Unser Wasser- Kassel"
Initiative Bürgerbegehren gegen die Privatisierung von Wasser in der Region

HNA 22.11.2007


"Unterm Strich weniger"
Interview: Wie sich Privatisierungen auf die Einwohner einer Stadt auswirken

 

Von Andreas Berger

 

 

 

 

 

 

 

Kassel/Braunschweig. Wie wirkt es sich auf die Einwohner aus, wenn die Kommune Dienstleistungen und städtische Unternehmen privatisiert? In Kassel gab es öfter solche Pläne. Bisher ohne großen Erfolg - auch wegen des Widerstandes in der Stadtverordnetenversammlung.

Anders sieht es in Braunschweig aus: Dort wurden in sechs Jahren über 300 Millionen Euro Schulden abgebaut - zum größten Teil über Privatisierungen. Mit einem, der dagegen gekämpft hat und noch immer kämpft, haben wir gesprochen: Peter Rosenbaum von der Bürgerinitiative für Braunschweig, Bibs, die auch im Stadtrat vertreten ist.

Herr Rosenbaum, die Einwohner Braunschweigs müssten doch froh sein, dass ihre Stadt Schulden abbaut. So kann das Geld künftig statt für Zinsen für vernünftige Dinge ausgegeben werden. Etwa für Schulsanierung. Oder?

Peter Rosenbaum: Das wäre vernünftig. Nur: Am Beispiel des Verkaufs der Versorgungs-AG an die Firma Veolia kann man nachrechnen, dass wir jetzt unter dem Strich weniger für Schulen haben.

Warum?

Rosenbaum: Es gehen uns jährlich 30 Millionen Euro an Gewinnanteilen verloren, also an Gebühren, die ans Energieunternehmen gezahlt werden. Die bekam früher die Stadt.

Früher aber waren es Zinsen, durch die Geld verloren ging.

Rosenbaum: Aber nicht so viel: Die Zinsenbelastung hätte beim ursprünglichen Schuldenstand von 466 Millionen Euro bei 18 bis 20 Millionen Euro jährlich gelegen. Das heißt: Nach dem Verkauf der Versorgungs-AG fehlen der Stadt nun zehn Millionen Euro jährlich. Es gibt aber noch weitere Nachteile des Verkaufs des Energiesektors.

Welche?

Rosenbaum: Die Stadt hat alle Optionen abgegeben.

Welche Optionen?

Rosenbaum: Optionen der dezentralen Energiegestaltung zum Beispiel. Jetzt, nach dem Verkauf, werden bei uns keine regenerativen Energien von Einwohnern mehr gefördert. Das hat die Stadt zuvor getan.

Wie merken denn die Einwohner Braunschweigs noch, dass so viel des städtischen Eigentums verkauft worden ist?

Rosenbaum: Etwa dadurch, dass der Preis für Fernwärme unter der Firma Veolia in den letzten drei Jahren um 45 bis 50 Prozent gestiegen ist - stärker als bei Gas. Vorher bedurfte die Preisänderung der Zustimmung des Rates. Jetzt hat er nichts mehr zu sagen. Und so die Bürgerschaft auch nicht.

War das die einzige Preiserhöhung?

Rosenbaum: Nein. Auch die über die Haus- und Mietnebenkosten eingenommenen Gebühren sind gestiegen: für Müll und Wasser. Und trotz Versprechens und Preisgarantie wurde auch der Preis des Abwassers erhöht.

Wird die Privatisierungswelle noch stärker spürbar werden?

Rosenbaum: Ja, wenn das Geld, das die Stadt jetzt durch Verkäufe eingenommen hat, weg ist. Denn dann hat sie auch keine Einnahmen mehr. Aber auch nicht mehr so hohe Ausgaben wie zu Zeiten des Schuldenbergs. Oder? Rosenbaum: Es kann auch anders kommen. Ein Beispiel dafür ist Bolivien in Südamerika: In den 80er-Jahren ist es von der Weltbank gezwungen worden, Schulden abzubauen. Dann ist alles verkauft worden, Fluggesellschaft, Eisenbahnnetz, Telekommunikation. Die Schulden waren damit bezahlt, es gab aber fast keine Einnahmen mehr. Und in nicht mal zehn Jahren waren die neuen Schulden über den Stand gestiegen, den das Land vor den Verkäufen hatte.

Von Bolivien nach Braunschweig: Mal ehrlich, muss denn eine Stadt ein Seniorenzentrum betreiben? Ihre Stadt hat es verkauft.

Rosenbaum: Ich bin nicht generell dagegen, dass man solche Einrichtungen an Firmen abgibt, die das auch professionell betreiben. Ich bin grundsätzlich aber gegen Privatisierungen in den Bereichen der Daseinsvorsorge. Energie, Wasser, Luft dürfen nicht dem alleinigen Gewinnstreben einzelner und monopolisierter Finanzgruppen unterliegen.

Ein zweiter Teil der Entschuldung Braunschweigs liegt bei den freiwilligen Zuschüssen: 20 Prozent weniger für Vereine, Kultur, soziale Einrichtungen. Wie weh hat das getan?

Rosenbaum: Viele Beratungsstellen mussten ihr Angebot stark zurückfahren. Zum Beispiel für Familien, für Suchtkranke, allein Erziehende. Es hat zudem das bürgerliche Engagement im Kultur- und im Sozialbereich erschwert. Denn die Menschen, die sich da ehrenamtlich engagieren, können das, was die Stadt gekürzt hat, nicht durch noch mehr Engagement auffangen.

Wie hätte Braunschweig denn sonst sparen können?

Rosenbaum: Braunschweig war ja nun nicht in einer Lage, in der die Stadt zahlungsunfähig gewesen wäre.

Es hätte also so weitergehen können?

Rosenbaum: Das will ich so auch nicht sagen. Unsere Fraktion arbeitet an einer Liste mit Sparvorschlägen. Ein Beispiel: Die geplante Ausweitung des Forschungsflughafens Braunschweig. Da ist die Stadt bereit, kostenlos Grundstücke und für die Erweiterung der Landebahn zehn Millionen Euro zur Verfügung zu stellen.

Peter Rosenbaum (57) ist Vorsitzender der Fraktion Bibs, Bürgerinitiative für Braunschweig, die mit vier Sitzen im Stadtrat vertreten ist. Er ist sei 1995 selbständiger Immobilienkaufmann. Nach seinem Physik- und Mathematikstudium war es zunächst Gymnasiallehrer.

 


Sparen mit dem Rasenmäher-Prinzip
Braunschweig hat freiwillige Zuschüsse um 20 Prozent gekürzt und Stellen gestrichen

 

Kassel/Braunschweig. Mit dem Haushaltskonsolidierungskonzept spart die Stadt Braunschweig jährlich 15,6 Millionen Euro. Dieses Konzept besteht vor allem aus zwei Teilen.

Teil 1 – die freiwilligen Zuschüsse: Die hat die Stadt Braunschweig um 20 Prozent gekürzt – unter anderem für Vereine, kulturelle Angebote und soziale Einrichtungen. Ausnahmen sind Kindergärten und Sportstätten. Einsparung pro Jahr: 9,3 Millionen Euro.

Das Rasenmäher-Prinzip sei stark umstritten gewesen, sagt Braunschweigs Erster Stadtrat und Finanzdezernent Carsten Lehmann. Die Befürchtungen einzelner Einrichtungen: Es werde keine Kulturszene mehr geben, wenn die Stadt Zuschüsse kürzt, soziale Einrichtungen würden zumachen, ihre Beratungen einstellen müssen, doch: "Es ist nicht wirklich anders geworden", sagt Lehmann. Dass die Verbraucherzentrale wegen des gekürzten Geldes geschlossen hat, bezeichnet er als nicht schlimm.

Auch in Kassel hat der Regierungspräsident verlangt, dass die Stadt die freiwilligen Ausgaben kürzen muss, damit sie vom hohen Schuldenberg kommt.

Teil 2 – Stellenabbau im Rathaus: 102 Stellen in der Stadtverwaltung sind abgebaut worden – in allen Bereichen vom Sachbearbeiter bis hin zum Sozialarbeiter. Dazu fallen 190 Stellen der Gebäudereinigung fort. Die übernimmt künftig ein Privatunternehmen.

Doch betriebsbedingte Kündigungen habe es nicht gegeben, sagt Stadtsprecher Rainer Keunecke. Vielmehr würden frei werdende Stellen nicht wiederbesetzt. Durch den Stellenabbau und den zusätzlichen Einstellungsstopp spart Braunschweig jedes Jahr 6,3 Millionen Euro. (abg)



Die Serie – Die Stadt Kassel im Vergleich

 

Etwa 100 000 Euro verliert die Stadt Kassel wegen ihrer Schulden – pro Tag durch Zins und Tilgung. Die Gesamtschulden: 690 Millionen Euro. So schauen einige wenige Kommunalpolitiker neidisch nach Braunschweig: Die niedersächsische Stadt hat ihre Schulden in großem Stil abgebaut – den größten Teil durch Privatisierungen von städtischen Unternehmen. So hat sie in sechs Jahren ihren Schuldenstand um über 300 Millionen Euro verringert auf derzeit 166 Millionen Euro.

Verkauft wurden

  • knapp drei Vietel der Anteile an der Braunschweiger Versorgungs-AG, die für Wasser, Gas, Strom und Fernwärme zuständig ist, das ist auch der größte Posten,
  • Anteile einer Wohnungsbaugesellschaft,
  • die Stadtreinigung,
  • das städtische Seniorenzentrum,
  • die Stadtentwässerung,
  • die Straßenbeleuchtung und die Ampeln.

In einer Serie, die in unregelmäßiger Folge erscheint, lassen wir Befürworter wie Kritiker dieser Privatisierungswelle zu Wort kommen – aus Kassel und Braunschweig. Außerdem stellen wir Einzelheiten aus den Verkäufen in Braunschweig vor.