Kassel/Braunschweig.
Wie wirkt es sich auf die Einwohner aus, wenn die Kommune Dienstleistungen
und städtische Unternehmen privatisiert? In Kassel gab es öfter
solche Pläne. Bisher ohne großen Erfolg - auch wegen
des Widerstandes in der Stadtverordnetenversammlung.
Anders
sieht es in Braunschweig aus: Dort wurden in sechs Jahren über
300 Millionen Euro Schulden abgebaut - zum größten Teil über
Privatisierungen. Mit einem, der dagegen gekämpft hat und noch
immer kämpft, haben wir gesprochen: Peter Rosenbaum von der
Bürgerinitiative für Braunschweig, Bibs, die auch im
Stadtrat vertreten ist.
Herr
Rosenbaum, die Einwohner Braunschweigs müssten doch froh
sein, dass ihre Stadt Schulden abbaut. So kann das Geld künftig
statt für Zinsen für vernünftige Dinge ausgegeben
werden. Etwa für Schulsanierung. Oder?
Peter Rosenbaum: Das wäre vernünftig. Nur: Am Beispiel
des Verkaufs der Versorgungs-AG an die Firma Veolia kann man nachrechnen,
dass wir jetzt unter dem Strich weniger für Schulen haben.
Warum?
Rosenbaum:
Es gehen uns jährlich 30 Millionen Euro an Gewinnanteilen
verloren, also an Gebühren, die ans Energieunternehmen
gezahlt werden. Die bekam früher die Stadt.
Früher
aber waren es Zinsen, durch die Geld verloren ging.
Rosenbaum:
Aber nicht so viel: Die Zinsenbelastung hätte beim
ursprünglichen Schuldenstand von 466 Millionen Euro bei 18 bis
20 Millionen Euro jährlich gelegen. Das heißt: Nach dem
Verkauf der Versorgungs-AG fehlen der Stadt nun zehn Millionen Euro
jährlich. Es gibt aber noch weitere Nachteile
des Verkaufs des Energiesektors.
Welche?
Rosenbaum:
Die Stadt hat alle Optionen abgegeben.
Welche
Optionen?
Rosenbaum:
Optionen der dezentralen Energiegestaltung zum Beispiel. Jetzt,
nach dem Verkauf, werden
bei uns keine
regenerativen Energien von Einwohnern mehr gefördert.
Das hat die Stadt zuvor getan.
Wie
merken denn die Einwohner Braunschweigs noch, dass so viel des
städtischen Eigentums verkauft
worden ist?
Rosenbaum:
Etwa dadurch, dass der Preis für Fernwärme unter
der Firma Veolia in den letzten drei Jahren um 45 bis 50 Prozent
gestiegen ist - stärker als bei Gas. Vorher bedurfte die Preisänderung
der Zustimmung des Rates. Jetzt hat er nichts mehr zu sagen. Und
so die Bürgerschaft auch nicht.
War
das die einzige Preiserhöhung?
Rosenbaum:
Nein. Auch die über die Haus- und Mietnebenkosten
eingenommenen Gebühren sind gestiegen: für Müll und
Wasser. Und trotz Versprechens und Preisgarantie wurde auch der Preis
des Abwassers erhöht.
Wird
die Privatisierungswelle noch stärker spürbar
werden?
Rosenbaum:
Ja, wenn das Geld, das die Stadt jetzt durch Verkäufe
eingenommen hat, weg ist. Denn dann hat sie auch keine Einnahmen
mehr. Aber auch nicht mehr so hohe Ausgaben wie zu Zeiten des Schuldenbergs.
Oder? Rosenbaum: Es kann auch anders kommen. Ein Beispiel dafür
ist Bolivien in Südamerika: In den 80er-Jahren ist es von der
Weltbank gezwungen worden, Schulden abzubauen. Dann ist alles verkauft
worden, Fluggesellschaft, Eisenbahnnetz, Telekommunikation. Die Schulden
waren damit bezahlt, es gab aber fast keine Einnahmen mehr. Und in
nicht mal zehn Jahren waren die neuen Schulden über den Stand
gestiegen, den das Land vor den Verkäufen
hatte.
Von
Bolivien nach Braunschweig: Mal ehrlich, muss denn eine Stadt
ein
Seniorenzentrum
betreiben? Ihre
Stadt
hat es verkauft.
Rosenbaum:
Ich bin nicht generell dagegen, dass man solche Einrichtungen
an Firmen
abgibt, die
das auch
professionell
betreiben. Ich bin
grundsätzlich
aber gegen Privatisierungen in den Bereichen der Daseinsvorsorge.
Energie, Wasser, Luft dürfen
nicht dem alleinigen Gewinnstreben
einzelner
und monopolisierter
Finanzgruppen
unterliegen.
Ein
zweiter Teil der Entschuldung Braunschweigs liegt bei den
freiwilligen Zuschüssen: 20 Prozent weniger für
Vereine, Kultur, soziale
Einrichtungen. Wie weh hat
das getan?
Rosenbaum: Viele Beratungsstellen
mussten ihr Angebot stark
zurückfahren.
Zum Beispiel für Familien, für Suchtkranke, allein Erziehende.
Es hat zudem das bürgerliche Engagement im Kultur- und im Sozialbereich
erschwert. Denn die Menschen, die sich da ehrenamtlich engagieren,
können das, was die Stadt gekürzt
hat, nicht durch noch mehr
Engagement auffangen.
Wie
hätte Braunschweig denn sonst sparen können?
Rosenbaum:
Braunschweig war ja nun nicht in einer
Lage,
in der
die Stadt
zahlungsunfähig gewesen wäre.
Es
hätte also so weitergehen können?
Rosenbaum:
Das will ich so auch nicht
sagen. Unsere Fraktion arbeitet
an
einer Liste
mit Sparvorschlägen. Ein Beispiel: Die geplante
Ausweitung des Forschungsflughafens Braunschweig. Da ist die Stadt
bereit, kostenlos Grundstücke und für die Erweiterung der
Landebahn zehn Millionen Euro zur Verfügung
zu stellen.
Peter
Rosenbaum (57)
ist Vorsitzender
der Fraktion
Bibs, Bürgerinitiative
für Braunschweig, die mit vier Sitzen im Stadtrat vertreten
ist. Er ist sei 1995 selbständiger Immobilienkaufmann. Nach
seinem Physik- und Mathematikstudium war es zunächst Gymnasiallehrer.
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