taz 27.10.2007
Kassel
dreht den Dreckstrom ab
Die
Stadtwerke Kassel stellen ab nächsten Monat auf Strom aus Wasserkraft
um. Damit veliert der Eon-Konzern erstmals die Privatkunden
einer kompletten Großstadt. Die neue Ökoidee wurde aus der
Angst der Stadtwerke geboren, verkauft zu werden.
Kassel
wird sauber
Von
K. Schöneberg, S. Kosch, C. Schnorfeil |
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Der
Eon-Konzern versorgt ab nächster Woche 97.000 Kasseler Stromkunden
weniger. Dann wird in Kassel das erste Stadtwerk einer deutschen
Großstadt seine sämtlichen Kunden nur noch mit sauberem
Strom aus regenerativen Energien beliefern. Wie die taz aus Branchenkreisen
erfuhr, will die Städtische Werke AG ihren Strom für
Haushaltskunden nicht mehr von Eon beziehen, sondern aus schwedischen
Wasserkraftwerken. Ob deren Betreiber Vattenfall ist, wollte
ein Sprecher der Stadtwerke weder bestätigen noch dementieren.
Die Umstellung soll am 30. Oktober offiziell bekannt gegeben
werden, eine Preiserhöhung sei mit dem Wechsel zum Ökostrom
nicht verbunden. Ein Eon-Sprecher sagte der taz: "Wir werden
den Stadtwerken Kassel weiter verbunden bleiben."
Hermann
Scheer, Energieexperte der SPD, sagte der taz: "Das
ist ein grundlegendes Bekenntnis zu erneuerbarer Energie und ein
wichtiger erster Schritt." Und der zweite Schritt? "Entweder
selbst Erzeuger von erneuerbarer Energie werden oder mit einem Ökostromanbieter
zusammenarbeiten, der den Gesamtanteil erneuerbarer Energie in Deutschland
wirklich steigen lässt."
Die
Absage von Kohle- und Atomstrom ist nicht nur aus Sorge um das
Weltklima entstanden, sondern aus der Sorge der Stadtwerke,
verkauft
zu werden. Oberbürgermeister Bertram Hilgen (SPD) hatte schon
im vergangenen Jahr gedroht, den kommunalen Kasseler Energieversorger
abzustoßen. Noch besitzt die Stadt 75,1 Prozent an ihren Stadtwerken,
der schwedische Stromriese Vattenfall hat den Rest. Noch kann die
Städtische Werke AG Kassel Überschüsse vermelden. "Wir
legen jedes Jahr 15 Millionen auf den Tisch", sagt Stadtwerke-Sprecher
Ingo Pijanka. Dieses Plus ist in Gefahr, weil Bund und Länder
allen Stadtwerken eine Senkung der Betriebskosten verordnet haben,
um die Energierechnungen der Endverbraucher zu senken.
Als
bereits absehbar war, dass es mit einem Verkauf nichts würde,
brachte ein Vertriebsmann auf einer Stadtwerke-Betriebsfeier die Ökoenergie
ins Gespräch. "Der kauft den Strom für uns ein",
erklärt Pijanka. Der Mitarbeiter sei "bei einer Strombörse
drüber gestolpert, wie lukrativ das eigentlich ist".
In
Sachen Anbieterwechsel setzen Hessens Kommunen inzwischen Maßstäbe.
Am Donnerstag hatte die Stadt Wolfhagen bei Kassel mitgeteilt, dass
ihre Kunden ab 2008 ausschließlich mit Strom aus österreichischen
Kraftwerken beliefert werden sollen (die taz berichtete).
In Kassel werden allerdings nur die Privatkunden mit Strom
aus regenerativen
Energien beliefert, sie machen 50 Prozent des Absatzes aus.
Gewerbekunden sollen weiter aus den eigenen Kraftwerken der
Stadtwerke beliefert
werden (siehe Text unten).
Der
Verband kommunaler Unternehmen (VKU) kann in dem kompletten Umstieg
einiger Stadtwerke auf regenerative Energien noch
keinen Trend erkennen.
Die Verbandsmitglieder versuchten halt, ihren Kunden passende
Optionen anzubieten, erklärt Rosemarie Folle vom VKU. Viele Stadtwerke
böten Tarife an, die zum Teil auf Ökostrom setzen.
Ein
Greenpeace-Sprecher sagte der taz, die Energieerzeugung durch
Wasserkraft sei in Europa weitestgehend sauber und
Windkraft- und Solaranlagen gleichwertig. Der Gesetzgeber
setze hohe Standards
für
Wasserkraftwerke. In Deutschland wurde 2006 nach einer Aufstellung
des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
(BMU) 3,5 Prozent des Stromverbrauchs durch Wasserkraft gedeckt.
Auf Windenergie entfallen fünf Prozent des Verbrauchs, auf Solarenergie
0,3 Prozent. Insgesamt werden zwölf Prozent des
deutschen Strombedarfs durch erneuerbare Energien gedeckt.
Am
Dienstag wollen die Kasseler den Umstieg zu erneuerbarer Energie
verkünden.
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Spielend
leichter Wechsel
Was
Kassel jetzt macht, könnte jedes andere
Stadtwerk
auch. Die Kunden merken nicht mal etwas davon
Von
Bernward Janzing
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FREIBURG. Dem
Beispiel Kassel könnte
jedes Stadtwerk folgen. Denn es geht hier lediglich um den Wechsel
des Vorlieferanten, also
um den Abschied von einem alten Vertragspartner zugunsten eines
neuen.
Stadtwerke
produzieren meist nur einen Teil des Stroms selbst, den sie an
ihre Privat- und Gewerbekunden verkaufen, den Rest kaufen
sie zu. Vor der Liberalisierung war genau festgelegt, wer der
jeweilige Vorversorger ist - üblicherweise einer der vier großen
Konzerne. Heute aber können die Stadtwerke sich ihren Strom
kaufen, wo sie wollen, oft sogar bei verschiedenen Lieferanten. Sie
decken sich den absehbaren Bedarf frühzeitig über Jahresverträge
ab und kaufen weitere Kontingente kurzfristig zu, etwa über
die Strombörse.
Weil alle Vertragspartner im schnelllebigen Energiemarkt flexibel
bleiben wollen, sind die Laufzeiten der Lieferverträge kurz,
meist nur ein Jahr, nach EU-Recht maximal fünf Jahre. So hat
jedes Stadtwerk die Möglichkeit, Verträge mit neuen Partnern
abzuschließen.
Für die Kunden ändert sich - wie auch im Fall Kassel -
durch den Wechsel des Vorlieferanten nichts. Die Stromrechnung bekommen
sie wie bisher von ihrem Versorger. Der einzige Unterschied besteht
darin, dass fortan nicht mehr Eon einspeist, sondern dass künftig
schwedischer Wasserkraftstrom durch Kasseler Leitungen fließt.
Bei knapp 100.000 Haushaltskunden und einem Durchschnittsverbrauch
von 3.000 Kilowattstunden im Jahr, geht es dabei um rund 300 Millionen
Kilowattstunden, die Eon nicht mehr in Kassel verkaufen kann. Erschwert
wird manchem Stadtwerk die freie Wahl jedoch durch seine Eigentümerstruktur:
In den letzten Jahren haben sich die großen Konzerne in viele
Stadtwerke eingekauft und können so bei der Strombeschaffung
mitreden. Eon zum Beispiel ist über seine Tochter Thüga
an annähernd hundert Energieversorgern beteiligt. An den Städtischen
Werken Kassel hält die Stadt 75,1 Prozent der Anteile, der Rest
gehörte einst den Hamburgischen Electricitäts-Werken HEW,
die später in der Vattenfall-Gruppe aufgegangen sind. Das dürfte
die Entscheidung des Unternehmens für schwedische Wasserkraft
erleichtert haben.
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Kommentar
Von Bernward
Janzing
KASSELS
UMSTIEG AUF ÖKOSTROM IST EIN SYMBOL, ABER EIN NÜTZLICHES
Zeichen setzen für den Klimaschutz
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Symbole
sind ein Bestandteil der Politik und auch des Marketings. Die
Stadtwerke in Kassel gehen jetzt einen symbolischen Schritt,
indem sie ihren Haushaltskunden nur noch Strom aus Wasserkraft
liefern. Bei einem Strommix, der vorher 37 Prozent Atomkraft
und 48 Prozent fossile Energie enthielt, ist das rein statistisch
betrachtet ein gewaltiger Fortschritt. Doch die Wahrheit ist
komplizierter.
Denn
der Wechsel ist und bleibt nur ein Symbol. Es wird schließlich
dadurch nicht eine einzige Kilowattstunde Ökostrom zusätzlich
erzeugt - der Strom wird nur anders verteilt. Denn während es
fortan nur noch sauberen Strom für Kassels Haushalte gibt, fließt
im Gegenzug mehr Atomstrom an andere Kunden. Vielleicht geht der
Nuklearstrom ja jetzt an Kunden in Schweden. Vielleicht bleibt
er auch in Deutschland und wird dann geballt an jene Industriebetriebe
verkauft, die sich um ihren Strommix nicht scheren. Gewonnen ist
damit am Ende gar nichts.
Die
bekannten, bundesweit tätigen Ökostromanbieter wissen
das: Das schlichte Verschieben von Strommengen hilft weder dem Klima,
noch senkt es den Atomstromanteil. Deswegen legen die Ökostromer
auch immer Wert auf den Zubau von Ökokraftwerken. Nur eine Kilowattstunde
Wind-, Wasser-, Solar oder Biomassestrom, die zusätzlich ins
Netz fließt und damit eine schmutzige Kilowattstunde verdrängt,
bringt wirklichen Fortschritt im europäischen Strommix.
Von Zubau war allerdings in Kassel bislang nicht die Rede.
Und
dennoch ist der Schritt des Kasseler Versorgers zu begrüßen
- eben weil das Unternehmen damit ein Zeichen setzt. Hier demonstriert
ein Versorger für eine neue Energiepolitik, nach all den Risiken
und ungelösten Entsorgungsproblemen der Atomkraft und
nach all den dramatischen Klimaszenarien.
Obwohl
sich akut am Strommix durch die Umstellung nichts ändert,
geht von Kassel ein eindeutiges Signal aus in Richtung Berlin für
Atomausstieg und wirksamen Klimaschutz. Wenn sich nun viele Stadtwerke
dem Beispiel anschließen und die Botschaft in der Politik ankommt,
könnte am Ende sogar ein tatsächlicher Fortschritt für
die Umwelt herausspringen.
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