"Unser Wasser- Kassel"
Initiative Bürgerbegehren gegen die Privatisierung von Wasser in der Region

taz 21.1.2008


Sozialtarif spaltet Stromversorger

Bundesumweltminister Gabriel will billigen Strom für Arme. Einige Stromkonzerne bieten ihn bereits an, andere lehnen diese Idee ab. Bundeskartellamt: "Für soziale Transfers ist der Staat zuständig und nicht die Stromwirtschaft"


von BERNWARD JANZING

 

 

 

 

 

 

 

FREIBURG. Die Unternehmen der Energiewirtschaft haben unterschiedlich auf den Vorstoß Sigmar Gabriels nach einem Sozialtarif für Stromkunden reagiert. Der Umweltminister hatte vor dem Wochenende gefordert, alle Energieversorger sollten dauerhaft einen solchen reduzierten Tarif anbieten.

Gabriel bezog sich dabei explizit auf die Regionalgesellschaften von Eon, die inzwischen allesamt einen entsprechenden "Sozialrabatt" offerieren. Eon Bayern war im April 2006 die erste der sieben Eon-Vertriebsgesellschaften, die vergünstigten Strom für Arme anbot, die anderen folgten nun in den vergangenen Monaten. Voraussetzung für den Rabatt ist eine Befreiung von der Rundfunkgebühr.

Beispiel Eon edis: Der Versorger mit Schwerpunkt Ostdeutschland beziffert den Preisvorteil auf etwa 74,58 Euro pro Jahr. Der Sozialrabatt ist auf zwölf Monate befristet und soll für maximal 5.000 Kunden zur Verfügung stehen. Alle sieben Eon-Gesellschaften zusammen genommen haben die Zahl ihrer Rabattverträge auf 32.000 gedeckelt - bei insgesamt 7,7 Millionen Kunden. Auch der Essener Stromkonzern RWE hat unterdessen erklärt, man nehme "den Vorstoß des Umweltministers sehr ernst" und denke über einen entsprechenden Tarif nach. Die EnBW und Vattenfall hingegen lehnen einen Sozialtarif grundsätzlich ab.

Außerhalb der Stromwirtschaft waren die Reaktionen auf Gabriels Vorstoß gespalten. Von reinem "Wahlkampfgeklingel" sprach zum Beispiel Bärbel Höhn von den Grünen. Und das Bundeskartellamt erklärte nüchtern, für soziale Transfers sei der Staat zuständig und nicht die Stromwirtschaft. Zuspruch für seinen Vorschlag bekam Gabriel vom Deutschen Mieterbund.

Nach Zahlen des Bundes der Energieverbraucher schalten die Gas- und Stromversorger in Deutschland jährlich in über 800.000 Fällen die Energieversorgung ab. Vattenfall spricht alleine für Berlin von rund 20.000 Stromabschaltungen jährlich. Welche Gründe dafür jeweils ausschlaggebend sind, geht aus den Statistiken nicht hervor.

Der Bund der Energieverbraucher propagiert unterdessen einen Sozialtarif, nach dem "eine bestimmte Strom- oder Gasmenge, zum Beispiel 1.000 Kilowattstunden", jährlich für jeden Anschluss kostenlos abgegeben werden soll. Sei diese Menge aufgebraucht, dann werde im Gegenzug jede zusätzliche Kilowattstunde geringfügig teurer angeboten als im bisherigen Preissystem. Durchsetzbar ist ein solcher Vorschlag jedoch allein schon deswegen nicht, weil die Stromanbieter im liberalisierten Markt ihre Tarifstruktur selbst gestalten können.

 


Warum ein Sozialtarif für bedürftige Stromkunden absurd ist
Plumpes Ablenkungsmanöver

Kommentar von BERNWARD JANZING

 

Sollen Hartz-IV-Empfänger einen Rabatt auf die Stromrechnung bekommen? Der Vorschlag mag zunächst gut klingen. Tatsächlich ist er reichlich bizarr. Nach dieser Logik könnte irgendein Armutsbescheid - etwa die Befreiung von der Rundfunkgebühr - zum allgemeinen Rabattschein werden. Warum nicht auch für billigere Brötchen beim Bäcker oder Salat auf dem Wochenmarkt?

Ein verquerer Gedanke. Und er lenkt ab von der Verantwortung des Staates: Wenn sich Menschen in einem reichen Land wie dem unseren Lebensnotwendiges wie Licht und Strom nicht mehr leisten können, dann ist der Staat gefragt, dies abzustellen. Dann muss er eben die Sozialhilfe erhöhen. Alles andere ist plumpes Ablenkungsmanöver.

Man fragt sich, welche Vorstellung von Politik und Ökonomie herrscht, wenn Unternehmen aufgefordert werden, eine bestimmte Kundengruppe zu subventionieren. Denn so viel ist klar: Ein Stromanbieter, der für bestimmte Kunden den Strompreis um 70 Euro im Jahr senkt, zahlt bei jedem dieser Kunden drauf. Dass Eon dies trotzdem praktiziert, hat natürlich einen Grund. Denn durch diese Wohltat nimmt der Konzern der Diskussion um seine satten Gewinne die Schärfe.

Aus Politikermund aber wirkt die Forderung nach Strom-Sozialtarifen grotesk. Sie lenkt sogar doppelt von den Versäumnissen des Staates ab: nicht nur im Hinblick auf die Höhe der Sozialhilfe, sondern auch im Hinblick auf die Gesetzgebung im Strommarkt. Denn der Staat hat die Riesengewinne der Konzerne erst möglich gemacht.

Was also ist zu tun? Es gibt eine vernünftige Lösung, die zwar ein wenig komplexer ist als der populistische Ruf nach einem Sozialtarif, dafür ist sie von der Politik leicht umsetzbar: Der Staat verkauft den Stromkonzernen künftig die Zertifikate, die sie für ihren CO2-Ausstoß benötigen, statt sie zu verschenken. So beschneidet er erstens die absurd hohen Gewinne der Konzerne. Zweitens erzielt er genug Einnahmen, um sich einen auskömmlichen Sozialetat leisten zu können - damit auch Arme ihre volle Stromrechnung künftig wieder selbst bezahlen können.