"Unser Wasser- Kassel"
Initiative Bürgerbegehren gegen die Privatisierung von Wasser in der Region

HNA 17.4.2009


Zu klein zum Überleben ?

Internes Papier: Städtische Werke wollen wachsen und unabhängiger werden

Von Claas Michaelis

 

 

 

 

 

 

 

Kassel. Überleben können die Städtischen Werke nur, wenn es dem Unternehmen gelingt zu wachsen. Das lässt sich aus einem internen Strategiepapier lesen, das der HNA vorliegt. Im September 2007 hatte die Stadtverordnetenversammlung das Konzept zur langfristigen Bestandssicherung gefordert.

Öffentlich ist das Konzept noch nicht. Aufsichtsrat und der Magistrat der Stadt Kassel kennen das Papier seit dem vergangenen Frühjahr. Derzeit nehmen es externe Wirtschaftsprüfer unter die Lupe.

Die Ziele darin sind ambitioniert: Bis 2012 soll der Umsatz von derzeit 334 Millionen Euro um etwa ein Drittel gesteigert werden. Dazu haben die Städtischen Werke im vergangenen Jahr ein Wachstumsprojekt gestartet. Bis 2012 sollen daraus 144 Millionen Euro umgesetzt werden. Somit würde der Umsatz dann zu 40 Prozent aus der Wachstumsstrategie stammen. Im Umkehrschluss hieße das: Wachsen die Städtischen Werke nicht, würde sich der Umsatz erheblich verringern.

"Kassel und die Region werden unter der Betriebsführung der Städtischen Werke unabhängig versorgt." Vision für 2020 aus dem Konzept der Werke

Unter dem Strich würden dann wohl keine schwarzen Zahlen mehr stehen, sondern Verluste. Der Gewinn ist im vergangenen Jahr auf 16 Millionen Euro gewachsen - davon gehen 4,4 Millionen Euro an den schwedischen Energieriesen Vattenfall. Eine weitere Steigerung ist bis 2012 nicht vorgesehen. Die Erlöse sollen sich bei 13 bis 17 Millionen Euro stabilisieren.
Hintergrund für die Pläne ist die Liberalisierung der Energiemärkte, wodurch die Monopole regionaler Versorger aufgehoben worden sind. Jeder darf an jeden liefern. Regionale Versorger müssen Konkurrenten erlauben, ihre Netze zu nutzen - und das zu niedrigeren Preisen als bisher.

Für die Städtischen Werke bedeutet das mittelfristig sinkende Einnahmen. Organisatorisch, technisch und personell müsse daher weiter rationalisiert werden, heißt es in dem Konzept.

Mehr selbst produzieren

Aber die Werke wollen auch unabhängiger werden. Statt ihre Energie teuer von Konzernen wie EnBW, E.on, RWE und Vattenfall einzukaufen, soll mehr selbst produziert werden. Der Eigenanteil soll dem Vernehmen nach von bislang 50 auf 75 Prozent wachsen. Damit sagen sich die Städtischen Werke auch von Vattenfall los. Der Energieriese will seine Beteiligung von 24,9 Prozent verkaufen.

Vielmehr wollen sich die Werke als Versorger für die Region positionieren. Noch hat E.on Mitte Konzessionsverträge für die Netze der Umlandgemeinden. "Mit dem Auslaufen der Konzessionsverträge der Städte und Gemeinden im Umland von Kassel ergibt sich (...) die Chance einer Neuordnung der Energieversorgung (...)", heißt es in dem Konzept. Dem Vernehmen nach verhandelt die Geschäftsführung bereits mit Gemeinden nicht nur über die jeweiligen Netze. Es geht auch um eine mögliche Beteiligung der Kommunen an den Städtischen Werken.

Bei dem Konzept hat die Geschäftsführung das Schlimmste unterstellt: "Es zeigt sich, dass die Chancen zur dauerhaften Bestandssicherung mindestens so hoch sind wie die bekannten Risiken."


DIE STRATEGIE
Weniger Personal trotz Wachstum

 
Fünf Optionen nennt das Strategiepapier, mit denen die Städtischen Werke Erfolg haben wollen. Teile davon im Folgenden:
  1. Wachsen
    Das Geschäft soll in neuen Regionen und Zielgruppen vergrößert werden. Die Werke wollen selbst produzierte Energie verkaufen, Netz- und Wartungsdienstleistungen bundesweit anbieten woei mehr Wärme- und Kälteanlagen für Industrie und Gewerbe planen.
  2. Mehr Fernwärme
    Die Leistung von Kraft-Wärme-Kopplungsprojekten soll unter anderem in Wilhelmshöhe, Waldau und Fasanenhof ausgebaut werden.
  3. Neue Lieferquellen
    - Bau eines Biomasseheizkraftwerks in Kassel,
    - Bau der größten hessischen Biogasanlage in Homberg
    - Beteiligung am Neubau von Kohlekraftwerken,
    - Unterstützung von Forschungsprojekten
    - Millionenschwere Beteiligungen an Windparkprojekten an der See
  4. Kooperieren
    - Zusammenarbeit mit Umlandgemeinden bei Wasser, Abwasser, Netzdienstleistungen und Abrechnungsservice,
    - Zusammenarbeit im Entsorgungsmarkt
  5. Kosten senken
    - Bis Ende 2009 wollen die Werke alleiniger Gesellschafter des Fernwärmekraftwerks an der Dennhäuser Straße sein. Noch hält E.on daran 50 Prozent.
    - Ausbildung von Monteuren zu spartenübergreifenden Mechatronikern.
    - Senkung der Personalkosten in Verwaltung und Betrieb durch neuen Tarifvertrag, Abbau übertariflicher Leistungen, Outsourcing und Ausgründen einfacher Arbeiten.
    - Kein Personalaufbau trotz steigender Anforderungen und neuer Geschäftsfelder.


HINTERGRUND
Politikertraum: Regionalversorger

 

Im Jahr 2007 diskutierten Politiker in Kassel, weiter Anteile an den Städtischen Werken zu verkaufen. Dem schwedischen Energieversorger Vattenfall reichte die Beteiligung von 24,9 Prozent nicht aus. Mit den Stimmen von CDU, Grünen und Linken lehnte die Stadtverordnetenversammlung einen weiteren Verkauf ab. Die SPD stimmte damals mit der FDP für einen Verkauf weiterer Anteile.

Nicht nur der Kasseler SPD-Vorsitzende Dr. Bernd Hoppe hat sich jetzt für einen Rückkauf der 24,9 Prozent von Vattenfall ausgesprochen. Ihm schwebt ebenso wie Grünen und Linken ein Einstieg von Gemeinden aus dem Umland vor. Die Städtischen Werke würden dann zu einem Energieversorger für die Region. Die FDP lehnt das weiter ab. Und auch in der SPD bezweifeln einige, ob die Kaufsumme von 60 Millionen Euro finanzierbar wäre. (clm)


PRO: Das Risiko eingehen

Uli Hagemeier (36), Redaktionsleiter der HNA, ist für einen Rückkauf der Anteile von Vattenfall.

 

Was ist besser – eigenständige Städtische Werke oder ein Energieversorger, an dem sich ein Energiekonzern beteiligt?

Lösung eins bietet viele Vorteile. Es wäre nämlich ein Plus für die Werke, wenn sie schalten und walten können, ohne auf die Geschäftspolitik eines großen Partners Rücksicht nehmen zu müssen.

Wie organisiert man den Einkauf von Strom und Gas? Die Antwort würde in Kassel getroffen. Wer erhält den Gewinn? Ohne fremde Anteilseigner bliebe das Geld in der Region. Aus welchen Quellen würde die Energie gewonnen, die in Kassel verbraucht wird? Darüber könnte in Kassel entschieden werden, ohne die Interessen anderer Energiekonzerne zu hinterfragen. Es spricht also vieles für den Rückkauf der Anteile.

Bleibt die Frage, wie und ob die 60 Millionen Euro dafür finanziert werden können. Aber manchmal muss man auch Risikern eingehen.

hai@hna.de


KONTRA: Nur mit Partner stark

Claas Michaelis (31), Lokalredakteur der HNA, ist gegen einen Rückkauf der Anteile von Vattenfall.

 

Ein sicherer Selbstgänger ist der Weg in die Zukunft für die Städtischen Werke nicht. Das hat der Vorstand richtig analysiert, als er Chancen und Risiken in seinem Konzept zur Bestandssicherung abgewofen hat. Gerade für Kommunalversorger lauern viele Unwägbarkeiten auf den liberalisierten Energiemärkten. Niemand kann sagen, ob die Wachstumsstrategie funktioniert wie geplant. Um in diesem Haifischbecken zu überleben, brauchen die Städtischen Werke starke Partner mit Sachverstand und dem nötigen Kleingeld für Investitionen.

Vattenfall will seine Beteiligung loswerden. Also muss ein neuer Partner her, dem man mehr als eine Minderheitsbeteiligung ohne Perspektive bieten muss. Statt viele neue Schulden aufzunehmen, um die Vattenfall-Anteile zurückzukaufen, sollte die Stadt darüber nachdenken, weitere Anteile zu veräußern. Nur so bleiben die Werke auch als Arbeitgeber in der Region stark.

clm@hna.de