Kassel.
Halbzeit am runden Tisch zur Werraversalzung: Gestern wurden
20 "Bausteine" ins Internet gestellt, mit denen dem
belasteten Fluss zu helfen wäre - Chancen, Vor- und Nachteile
sollen öffentlich diskutiert werden. Wir sprachen mit
Prof. Dr. Hans Brinckmann, Kassels früherem Unipräsidenten,
der das Gremium aus Behördenmitarbeitern, Vertretern von
Landesregierungen und K+S, Wissenschaftlern sowie Flussanliegern
leitet.
K+S
hat angekündigt, 360 Mio. Euro gegen die Salzabfall-Umweltprobleme
seiner Werke zu investieren. Hat der runde Tisch damit schon
zur Halbzeit der geplanten anderthalb Jahre nichts mehr zu tun?
Hans
Brinckmann: Von wegen - das Maßnahmenpaket von K+S geht
in die richtige Richtung. Aber selbst wenn das Unternehmen wie
angekündigt seine jährliche Abwasserfracht von derzeit
14 Millionen Kubikmetern halbiert, muss das der Werra nicht zwangsläufig
helfen.
Wieso
das - wo der Konzern doch so viel Geld für mehr Umweltschutz
verspricht?
Brinckmann: Die von K+S zugesagte Vermeidung und Verwertung von sieben Millionen
Kubikmetern Salzabwasser ist nur die halbe
Lösung,
weil zugleich Hessen die Versenkung in tiefe Gesteinsschichten über
2011 hinaus höchstens stark eingeschränkt genehmigen
will. In Thüringen wird vermutlich sogar überhaupt keine
Versenkung mehr möglich sein. Der Untergrund im Werraraum
ist mit einer Milliarde Kubikmetern seit 1925 versenkter Salzabwässer übervoll
- das kann das Grundwasser gefährden. Was nicht mehr versenkt
werden darf, muss bei der Kaliproduktion vorneweg vermieden oder
anderweitig entsorgt werden. Vielleicht wird es für eine Übergangszeit
sogar in die Werra geleitet werden.
Zusätzlich
zu dem, was den Fluss schon jetzt belastet? Der runde Tisch ist
doch angetreten, die Werra zu entlasten ...
Brinckmann: Das bleibt auch unser Ziel. Aber mit drastischen, schnellen Rückgängen ist nicht zu rechnen. Selbst wenn K+S die
technisch anspruchsvollen Pläne zur Abwasserreduzierung bis
2015 umsetzen kann, bleiben noch etwa sieben Millionen Kubikmeter.
Also ziemlich genau jene Menge, die jetzt schon jedes Jahr über
Werra und Weser zur Nordsee treibt.
Die
versalzenen Flüsse und die mögliche Besserung waren über
Monate doch das Top-Thema des runden Tisches ....
Brinckmann: ... bis im Herbst plötzlich mit dem drohenden
Aus für den zweiten Entsorgungsweg, die Versenkung eben, ein
zweites Problem aus dem Untergrund heraufdrängte
und unser Anfangsproblem verdoppelt hat. Von der
dritten Umwelthypothek,
den riesigen Salzhalden, ist dabei noch gar nicht
die Rede: Sie sollen - zu Gunsten der Abwasserminderung
- sogar noch ein bisschen
schneller wachsen als bislang geplant.
Welche
Rolle spielt in der Debatte die Nordsee-Pipeline?
Brinckmann: Das Abwasserrohr bleibt eine unverzichtbare Option. Man darf
realistischerweise nicht davon
ausgehen, dass der
Salzabwasseranfall der Werke an der Werra auf
Null gedrückt werden kann. Für
die unvermeidbaren Restmengen wäre die Pipeline ein Entsorgungsweg.
Offen ist, ob das Rohr bis an die Nordsee reichen muss. Je nach
Menge und Inhaltsstoffen wäre irgendwann auch die Einleitung
irgendwo an der Weser vorstellbar, um die Belastung von Leitungsbau
und -betrieb so niedrig wie möglich zu halten.
Das
würde die Werra entlasten - aber die Weseranlieger klagen
auch über Salz im Fluss.
Brinckmann: Wir sprechen von einer Möglichkeit. Sie könnte
ins Spiel kommen an einem Punkt der Weser, wo das Salzwasser im
Fluss so stark verdünnt wird, dass es ökologisch
vertretbar ist. Wir lassen die Details aber
genau untersuchen.
20
Maßnahmenblätter als Bausteine zur Entlastung des
Werraraumes Informationen im Internet unter www.runder-tisch-werra.de
Themenbereich Maßnahmen
Von Wolfgang Riek
hintergrund
K+S-Pläne
bis zum Jahr 2015
Am
Standort Hattorf bei Philippsthal soll ein weiterer "nasser" Produktionsprozess
auf das trockene Esta-Verfahren umgestellt werden. Vorteil laut K+S: Der Salzwasseranfall
schrumpft allein dadurch um 3,5 Mio. Kubikmeter jährlich - die Hälfte
des Sparziels bis 2015. Nachteil: Die Menge des trockenen Abfallsalzes für
die Halde wächst um eine Mio. Tonnen.
In
Hattorf will K+S auch per Tiefkühlung den Abwässern Kaliumchlorid
und Magnesiumsulfat entziehen. Das macht die Fluten für die Werra "weicher" und
kann als Strategie angesichts der Herabsetzung des Härtegrenzwerts
Ende 2009 gelten.
Im
Werk Wintershall (Heringen) will K+S weitere 500 000 Kubikmeter
Abwasser jährlich
vermeiden.
Im
Werk Unterbreizbach soll ein neues Gas- und Dampfkraftwerk
die Abwässer
der dortigen Produktion der Werra komplett ersparen und zu einem dickflüssigen
Brei eindampfen, der nach untertage zurück soll.
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