BBU-Wasserrundbrief,
3.5.2009
Lassen
die Kommunen ihr Rohrnetz verrotten?
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"Schon
heute versickere aus schadhaften Leitungen täglich eine
Wassermenge im Boden, die dem gesamten Tagesverbrauch von
Berlin, Hamburg, München und Köln entspricht“,
kritisierte
auf einer Podiumsdiskussion anlässlich der Wasserfachlichen
Aussprachetagung (WAT2009) am 1. April 2009 der Präsident
des Deutschen Rohrleitungsbauverband (rbv). Trotz europaweit
niedriger Rohrnetzverluste sei eine Überalterung der Wasserleitungen
in Deutschland absehbar.
„Angesichts
der aktuellen Erneuerungsrate von weniger als 0,5 Prozent
bei vielen Versorgern wird sich der Zustand des Rohrleitungsnetzes
dramatisch verschlechtern“, warnte rbv-Präsident
KLAUS KÜSEL die zuhörenden Wasserwerker: “Wir
bekommen Londoner Verhältnisse!“ (siehe
RUNDBR. 822/1, 816/3).
KÜSEL
verwies auf eine Studie des österreichischen Ingenieurbüros
Gerhard Kiesselbach, nach der eigentlich jährlich mindestens
1,5 bis zwei Prozent des Leitungsnetzes erneuert werden müsste,
um den Zustand der Leitungen annähernd auf dem heutigen
Niveau zu halten. Eine Verbesserung des Netzes trete erst ein,
wenn die Erneuerungsrate zwei bis 2,5 Prozent betrage. Insgesamt
werde der Investitionsbedarf ins deutsche Leitungsnetz bereits
auf einen zweistelligen Milliarden-Euro-Betrag geschätzt,
sagte KÜSEL. Die öffentlich rechtliche Verantwortung
für die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser
liege aber bei den Kommunen.
„Diese
Verantwortung bleibt auch dann bestehen, wenn die Kommunen
Versorgungsdienstleistungen einem Privatunternehmen übertragen“,
betonte der rbv-Präsident.
HORST
SCHLICHT, hochrangiger Mitarbeiter der GELSENWASSER AG, hielt
daraufhin dem rbv-Präsidenten vor, dass der Rohrleitungsbauverband „Schreckenszenarien“ male.
Und auch JÖRG SIMON, Vorstandsvorsitzender der Berliner
Wasserbetriebe, warnte vor dem Predigen pauschaler Prozentsätze
zur Rohrnetzerneuerung. In Berlin sei eine Rohrnetzerneuerungsrate
von nur 0,8 Prozent voll verantwortbar – dies vor dem
Hintergrund, dass in Berlin die Leckagerate nachweisbar kontinuierlich
sinke.
Die „richtige“ Rohrnetzerneuerungsrate
sei immer abhängig vom Zustand des jeweiligen Rohrnetzes.
Die Lebensdauer einer Wasserversorgungsleitung sei dabei aber
nicht nur vom Material abhängig. Das Alterungsverhalten
werde beispielsweise auch dadurch bestimmt, ob in der Vergangenheit
verschiedene Wässer mit unterschiedlichen Chemismen durchgeleitet
wurden. Die „Bodenchemie“, also das Bettungsmaterial
der Wasserleitung, bestimme das Alterungsverhalten der Rohre
ebenfalls. Erst wenn man das Alterungsverhalten über
die Schadensentwicklung des jeweiligen Netzes statistisch hinreichend
genau erfasst habe, könne man die geeignete Strategie
zur Rohrnetzrehabilitierung wählen.
Genau
diese Strategie würde aber in viel zu viel Wasserversorgungsunternehmen
noch fehlen, kritisierte KÜSEL. Vielerorts orientiere
man sich bei der Rohrnetzerneuerung „am Bauchgefühl“.
Den Hinweis auf 100 Jahre alte Rohrnetzabschnitte mit voller
Funktionstüchtigkeit ließ KÜSEL nicht gelten: „Wir
hatten immer Wunderrohre!“ Jetzt aber rolle der Auswechselbedarf
aus den 60er Jahren auf die Wasserwerker zu. Die damals eingebauten
Rohre stünden demnächst am Ende ihrer Lebensdauer. „Wenn
wir jetzt nicht aktiv werden, schaffen wir es später nicht
mehr!“
Wenn
das Straßenbauamt und die Bundesnetzagentur
die Rohrnetzsanierung diktieren
Eine
bedrohliche Zuspitzung bei der Rohrnetzerneuerung
befürchtet der Rohrnetzverband nicht nur wegen
der finanziellen Engpässe bei den Kommunen.
Bei einer verschleppten und dann flächenhaft
erforderlichen Rohrnetzerneuerung würde auch
der gesamte Innenstadtverkehr zusammenbrechen. Nach
einer jetzt erfolgten Straßensanierung würden
die Straßenbauämter Veränderungssperren
von zehn bis fünfzehn Jahren verhängen.
Wenn die Rohrnetzerneuerung genau in diesen Zeitabschnitt
falle, sei das Desaster vorprogrammiert.
Der
Präsident des Rohrleitungsbauverbandes forderte
deshalb in der Berliner Podiumsdiskussion, das Rohrnetz
dann zu erneuern, wenn die Straßen ohnehin
aufgerissen werden. Zu dem Zeitpunkt die alten Rohre
liegen zu lassen, nur weil Computermodelle den Rohren
noch eine Lebensdauer von weiteren zehn Jahren attestieren,
sei grob fahrlässig. Angesichts drohender Veränderungssperren
müsse man prophylaktisch handeln, auch wenn
der Rohrschaden noch gar nicht da sei.
Gegenüber
WELT-online vom 29.03.09 gab der rbv-Chef auch der
Bundespolitik Mitverantwortung für den Investitionsstau
im Wasserbereich. Denn die zum 1. Januar 2009 gesetzlich
eingeführte „Anreizregulierung“ im
Energiebereich würde indirekt auch Investitionen
ins Wassernetz unattraktiv machen. Mit der von der
Bun-desnetzagentur in Bonn überwachten Anreizregulierung
werden allen Netzbetreibern der Strom- und Gaswirtschaft
individuelle Erlösobergrenzen vorgegeben (s.
RUNDBR. 839/2-3, 829, 828). Damit will
die Bundesregierung für die Netzbetreiber Anreize
setzen, ihre Kosten zu senken.
Es
sei aber zu befürchten, dass insbesondere die
Gasnetzbetreiber ihre Kosten durch Investitionszurückhaltung
senken, warnte der rbv-Präsident gegenüber
der WELT. Kostenvorteile wie durch die bislang übliche
gemeinsame Verlegung von Gas- und Wasserrohren werde
es künftig also nicht mehr geben, prognostizierte
der Rohrleitungsbauverband. „Kommunen werden
es sich zweimal überlegen, Tiefbauarbeiten allein
für Wasserleitungen zu veranlassen, wenn diese
dadurch im Schnitt um 30 Prozent teurer werden.“
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„Das
Leitungsnetz aus der Erde holen!“
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rbv-Präsident
KLAUS KÜSEL gab in der Debatte über die richtige
Rohrnetzerneuerungsstrategie gerne zu, dass man mit vorsorgendem
Handeln bei den Kommunalpolitikern auf Unverständnis stoße.
Der auf Abhilfe drängende Zustand der unterirdischen Infrastruktur
sei in der Kommunalpolitik nur schwer zu kommunizieren. „Alles
was wir sehen, machen wir viel lieber.“ Man müsse
deshalb in der Kommunalpolitik Zuspruch für die Rohrnetzsanierung
erkämpfen. Der rbv-Präsident schlug zur Akzeptanzgewinnung
den Wasserwerkern vor, „die Rohre nach oben zu bringen!“ Defekte
Rohrleitungsabschnitte müssten den unwilligen Stadträten
und skeptischen Lokalzeitungsreportern zur Schau gestellt werden.
Kämmerer
melken ihre Stadtwerke
Nur
in nicht öffentlicher Diskussion wurde erwähnt,
dass eine mangelnde Rohrnetzerneuerung auch auf die
Kämmerer der Kommunen zurückzuführen
sei: Diese würden wegen der Schieflage der Kommunalfinanzen
die Stadt- und Wasserwerke wie eine Zitrone auspressen.
Angesichts der politisch geforderten Gewinnabführung
würden die Chefs der Stadt- und Wasserwerke dort
sparen, wo es am wenigsten auffalle – und das
sei eben an der unterirdischen Infrastruktur. Wenn
an Wasser- und Kanalrohren gespart würde, falle
dies über viele Jahre nicht auf – zumindest
nicht in der jeweiligen Wahlperiode der Kommunalpolitiker.
In der übernächsten Legislatur-periode sei
dann der Schaden umso größer.
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Rohrnetzzustand:
„Die Nichtkenntnis ist das Übel!“
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Eine
bei vielen Wasserwerken nicht vorhandene Strategie zur optimalen
Rohrnetzerneuerung wurde auf der WAT2009 in unterschiedlichster
Form thematisiert. Nicht wenige Wasserwerker müssten sich
fragen lassen, ob sie überhaupt die Kenntnisse hätten,
um strategisch agieren zu können.
„Weiß man,
welche Daten man braucht? Weiß man, wie man zu den
Mindestdatenbeständen komme, um eine Strategie entwerfen
zu können?“
Wer
seine Schadensdaten in Abhängigkeit der maßgeblichen
Einflussfaktoren nicht über viele Jahre statistisch ausgewertet
habe, sehe jetzt alt aus. Ein Diskutant:
„Die
Nichtkenntnis ist das Übel! Wenn ich nichts weiß,
muss ich mich auch nicht entscheiden und kann über vieles
hinwegsehen.“
Es
reiche auch nicht, sich alleine nur den Zustand der Rohre anzusehen.
Man müsse das ganze System einschließlich Schieber
und anderer Armaturen betrachten. Eine Analyse zur Rohrnetzerneuerung
müsse darüber hinaus auch die strategische Bedeutung
des jeweiligen Rohrleitungsstranges berücksichtigen: Wenn
an einer Rohrleitung ein Krankenhaus angeschlossen sei, sei
dort mehr Rohrnetzpflege erforderlich als an einer Rohrleitung,
die nur eine Reihenhaussiedlung versorge.
Das Arbeitsblatt
W400-3 des DVGW „Instandhaltung von Wasserverteilungsanlagen
plus Schadens- und Netzstatistik“; müsse selbst
in Wasserwerkerkreisen noch mehr popularisiert werden, damit
es endlich auch auf breiter Front in den Wasserversorgungsunternehmen
angewandt werde. Wer selbst nicht in der Lage sei, eine Schadensstatistik
zu erstellen und in eine Netzerhaltungstrategie umzumünzen,
müsse sich einen externen Dienstleister in Haus holen.
Dieser müsse aber auch nachweisen, dass er fähig
sei, eine In-standhaltungsstrategie individuell auf das jeweilige
Versorgungsnetz zuschneiden zu können.
„Rohrnetzverkleinerung
geht nicht!“
Naiverweise
könnte man annehmen, dass bei einem zurückgehenden
Wasserbedarf einfach nur die Rohrnetzdurchmesser
verkleinert werden müssten. Dies stößt
aber zum einen auf finanzielle Schwierigkeiten, weil
viele Rohrnetze noch gar nicht abgeschrieben sind.
Bei
einer technischen Lebensdauer von 80 oder 100 Jahren
müssten zudem viele Rohrleitungsstränge
aus dem Boden gerissen werden, die noch Jahrzehnte
im Untergrund verbleiben könnten. Vielerorts
sei eine Rohrnetzerneuerungsquote von einem Prozent üblich.
Selbst bei einer Verdoppelung auf zwei Prozent würde „die
Verschlankung des Netzes“ 50 Jahre dauern.
Entscheidendes
Argument gegen eine generelle Reduzierung der Rohrnetzdurchmesser
sei aber, dass der „Ungleichmäßigkeitsfaktor“ immer
weiter auseinander driftet: Ständig geringer
werdenden Durchschnittsverbräuchen stehen in
trockenen Sommern Spitzenverbräuche gegenüber,
die nicht im gleichen Maße absinken wie der
Durchschnittsverbrauch. Um
auch in Spitzenbedarfszeiten die hohe Versorgungssicherheit
zu wahren, könne man das Rohrnetz in vielen
Fällen gar nicht kleiner dimensionieren. Die
Wasserwerker gehen davon aus, dass die Schere zwischen
Minimal- und Maximalverbräuchen durch den Klimawandel
künftig noch weiter auseinander gehen könnte.
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Der BBU-WASSER-RUNDBRIEF berichtet
regelmäßig über die Angriffe auf die kommunale
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